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Afghanische GeflüchtetePakistan plant neue Massenabschiebungen

Islamabad kündigt den Flüchtlingsschutz für 1,4 Millionen Af­gha­n*in­nen auf und plant eine neue Abschiebephase. Viele leben jedoch seit Jahrzehnten dort.

Afghanische Geflüchtete beladen einen Bus im pakistanischen Karachi Foto: Fareed Khan/AP

Seit 1980 leben Ghulam Muhammad Shersais Brüder in Pakistan. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie mit dem Anbau von Gemüse, das sie auf lokalen Basaren verkaufen. Doch nun sollen sie gehen, nach Afghanistan: „Wir leben legal hier, aber auf einmal sind wir illegal“, hätten sie ihm am Telefon gesagt, berichtet Shersai aus Kabul. Seinen richtigen Namen will er aus Sicherheitsgründen nicht nennen. In Afghanistan hätten seine Brüder keine Wohnung mehr. Nur sechs der 55 Familien­angehörigen seien überhaupt dort geboren.

Shersais Brüder und ihre ­Familien sind von einer neuen Phase von Abschiebungen betroffen. Es ist die dritte und bisher umfangreichste Abschiebewelle, seitdem die Regierung in Islamabad 2023 den Flüchtlingsstatus aller Af­ghan*in­nen widerrief – mit der ­Begründung, seit der Machtübernahmen der Taliban im August 2021 sei der Krieg im Nachbarland vorbei.

In den Abschiebephasen eins und zwei wurden über 800.000 Af­ghan*in­nen gezwungen, das Land zu verlassen. Zunächst betraf das unregistrierte Geflüchtete sowie nach 2005 angekommene. Viele gingen selbst, um den zahlreichen Übergriffen der pakistanischen Polizei zu entgehen. Von Freiwilligkeit, wie die UNO es nennt, kann in diesen Fällen nicht die Rede sein.

Insgesamt geht es diesmal um 1,4 Millionen Menschen: von pakistanischen Behörden und vom UN-Flüchtlingshilfswerk regis­trierte Flüchtlinge. Die meisten sind vor 2005 nach Pakistan geflohen, wie die Shersais kamen sie teilweise vor mehreren Jahrzehnten. Sie flohen vor der sowjetischen Besatzung ihres Landes zwischen 1979 und 1989, während des repressiven ­Regimes der Mudschaheddin 1992 bis 1996 oder der darauffolgenden ersten Talibanherrschaft zwischen 1996 und 2001.

Massenabschiebungen als politisches Druckmittel

400.000 von ihnen leben in Flüchtlingslagern, die sich – ähnlich wie die der Palästinenser im Libanon – zu regelrechten Städten entwickelt haben. Fast 52 Prozent der afghanischen Geflüchteten sind laut UNO Kinder unter 18 Jahren. Bis zuletzt hatte es Hoffnung auf eine mögliche Verlängerung ihres Aufenthalts gegeben, denn Pakistans Regierung hatte die Polizei und andere Behörden angewiesen, sie nicht festzunehmen und ihre Konten und SIM-Karten nicht zu sperren, wie es den vorher Abgeschobenen geschehen war.

Pakistan benutzt die Massenabschiebungen auch als politisches Druckmittel. Über Jahrzehnte unterstützten seine Regierungen bewaffnete afghanische Aufständische wie die Mudschaheddin und die Taliban und beherbergten im Gegenzug Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan. Die bewaffneten Gruppen nutzten Flüchtlingslager als Rückzugsorte und Rekrutierungsbasen. Doch nun ist das bilaterale Verhältnis gespannt: Die Taliban wehren sich gegen Pa­kis­tans Einflussnahme und beherbergen ihrerseits pakistanische Flüchtlingslager, von denen aus ­regierungsfeindliche pakistanische Taliban ­operieren.

Zudem schob auch Iran 1,5 Millionen Af­gha­n*in­nen ab, davon Hunderttausende nach den Luftangriffen Israels und der USA, weil sie unter den Generalverdacht der Spionage gerieten. Inzwischen forderte auch Tadschikistan, ein weiteres Nachbarland, alle afghanischen Geflüchteten zur Ausreise auf und begann mit Abschiebungen. Dort leben bis zu 13.000 Af­ghan*innen, davon fast 10.000 registrierte Flüchtlinge.

Würden die Abschiebungen umgesetzt, wäre eine der größten Flüchtlingsbevölkerungen der Nachkriegszeit – weltweit 6,1 Millionen Menschen – Geschichte. Trotz der Hilfsbemühungen der offensichtlich überforderten Talibanbehörden, trotz Spenden und aktiver Ersthilfe aus der Bevölkerung: Viele der Menschen dürften als De-facto-Vertriebene im eigenen Land enden.

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