Affären in der EU: Abgang mit bitterem Beigeschmack
Das EU-Parlamentsfossil Elmar Brok macht derzeit keine guten Schlagzeilen. Er soll an Besuchergruppen in Brüssel Geld verdient haben.
t az Er ist der einzige deutsche Europaabgeordnete, den wirklich jeder kennt. Denn Elmar Brok gibt es gleich im Doppelpack: einmal als Dauergast in politischen Talkshows, wo der dienstälteste EU-Parlamentarier unermüdlich für ein vereintes Europa wirbt. Und dann als Karikatur, die mal „Horst Schlämmer“ heißt und Schnappatmung hat – oder „Brocken“ und für „178 Kilogramm konzentrierte CDU“ steht.
Doch nun bekommen Hape Kerkeling und Martin Sonneborn ein echtes Problem: Ihr liebster EU-Politiker, an dem sie sich bereits seit Ewigkeiten abarbeiten, tritt von der politischen Bühne ab. Nach 39 Jahren hat Brok seinen Rückzug aus dem Europaparlament angekündigt. „Wer soll denn jetzt mit Schlüsselbund und Schuhen nach Praktikanten werfen?“, fragt der Satiriker Sonneborn. Doch niemand lacht darüber.
Broks Abgang hat einen bitteren Beigeschmack – und er macht reichlich Negativschlagzeilen. In Brüssel wird der nicht ganz so freiwillige Abschied von manchen Beobachtern als Beleg für die „Kanzlerinnendämmerung“ betrachtet – denn Brok gerierte sich stets gern als Sprachrohr der Regierungschefin Angela Merkel. Andere versuchen, Brok einen Reisekostenskandal anzuhängen. Vor allem das Brüsseler Portal Politico tritt kräftig nach.
Dabei hat Brok so viel Aufregung eigentlich gar nicht (mehr) verdient. Die Zeiten, da er als Merkel-Einflüsterer galt, sind längst vorbei. Spätestens als er den Vorsitz des wichtigen außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament verlor, neigte sich Broks Karriere ihrem Ende zu.
An einem Leak gescheitert
Danach wollte er zwar noch Sonderberater für transatlantische Beziehungen werden, doch die Nominierung, die mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vereinbart war, scheiterte letztlich an einem Leak.
Zuletzt war Brok nur noch Brexit-Beauftragter der Europäischen Volkspartei. Doch Einfluss auf die Scheidung von Großbritannien hatte er nicht mehr. Beim Brexit spielt die Musik in der EU-Kommission in Brüssel, nicht jedoch im Parlament in Straßburg.
Am Ende scheiterte Brok allerdigns nicht in Europa, sondern an der deutschen Innenpolitik – und dem Gekungel der acht Bezirksverbände der NRW-CDU. Zuerst bekam er keinen sicheren Listenplatz für die Europawahl, dann drohte eine Kampfabstimmung, schließlich warf der 72-Jährige selbst das Handtuch. „Wie viel Zeit habe ich noch, meiner Familie zurückzugeben, was ich 45 Jahre lang versäumt habe“, begründete er seinen Rückzug. Es sei jetzt an der Zeit, zu gehen.
Eine nachvollziehbare und richtige Entscheidung. Es wird Zeit für einen Generationswechsel – nicht nur in der CDU, sondern auch im Europaparlament. Außerdem hat Brok alles erreicht, was er erreichen konnte. Von Washington bis in Aserbaidschans Hauptstadt Baku reichte sein Einfluss. Er machte Bertelsmann zu einem „Big Player“ in der Brüsseler Blase – und war dem früheren Bertelsmann-Lobbyisten Martin Selmayr bei seinem kometenhaften Aufstieg in der EU-Kommission behilflich.
150 Euro pro Kopf
Der CDU-Mann könnte sich also zufrieden zurückziehen – wenn da nicht diese Reisekostenaffäre wäre. „Europa-Veteran machte Cash mit Parlaments-Besuchern“, titelte Politico. 150 Euro pro Kopf soll Brok kassiert haben. Auf diese Weise sei 2016 und 2017 ein Überschuss von 18.000 Euro erzielt worden, behauptet das Portal – und suggeriert, dieses Geld könne in Broks Taschen geflossen sein.
Diese Geschichte hätte sich die „graue Eminenz des Europaparlaments“ (Süddeutsche Zeitung) gern erspart. Und manches spricht dafür, dass davon auch nichts „hängen“ bleibt. Denn es ist in Straßburg und Brüssel durchaus üblich, dass Besucher einen Eigenanteil zahlen, um die Reisekosten und die Verpflegung zu decken. Die vom Europaparlament gezahlten Pauschalen von 40 Euro für die Verpflegung und 60 Euro fürs Hotel reichen nicht aus.
Bisher gibt es auch keine Hinweise darauf, dass sich Brok oder andere Abgeordnete persönlich bereichert haben könnten. „Das Geld fließt nicht in die Taschen der Abgeordneten, sondern an die Leiter der Reisegruppen“, sagt ein Parlamentssprecher. Die Gruppenleiter sind auch für die korrekte Abrechnung zuständig. Brok hat nun einen Rechnungsprüfer eingeschaltet, der alles überprüfen soll.
Ein Nachspiel dürfte die Affäre nicht haben, eine parlamentarische Untersuchung ist nicht geplant. Dennoch ist der Wirbel für Brok ärgerlich. Er wollte als ein großer, überzeugter Europäer abtreten – und muss sich nun verspotten lassen.
„Brocken, wir stehen hinter Ihnen“, hat ihm Sonneborn zugerufen, als er seinem neuen Mitstreiter Nico Semsrott das Parlament zeigte. „Ich brauche Sie hier, kämpfen Sie!“ Brok fand das jedoch überhaupt nicht witzig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste