Affäre um Bezirksbürgermeister: „Ich trete nicht zurück“
Das Bezirksparlament in Mitte diskutiert am Donnerstagabend über einen Antrag zur Abwahl von Stephan von Dassel. Der weist die Vorwürfe zurück.
Es ist ein Drama in (mindestens) zwei Akten: Am Donnerstag wird über den Antrag debattiert, in zwei Wochen am selben Ort abgestimmt.
Anfang August erst war breiter bekannt geworden, dass es im Bezirk seit mehreren Monaten Ärger um die Besetzung einer wichtigen Leitungsposition im Bezirksamt geht. Der Vorwurf: Von Dassel soll versucht haben, den im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerber von einer Klage abzuhalten, die eine Stellenbesetzung möglicherweise auf Jahre verhindert hätte. Im Zentrum steht eine vom Unterlegenen weitergeleitete SMS von Dassels, die der taz vorliegt. Darin heißt es: „Ich könnte … mir eine privatrechtliche Einigung zwischen uns vorstellen, denn ich will das Verfahren endlich abschließen.“ Von Dassel führt darin weiter aus, dass er sich eine Vakanz auf der für seine Arbeit wichtigen Stelle nicht leisten kann.
Umstritten ist, ob von Dassel für einen Rückzug dem unterlegenen Bewerber Geld aus seiner eigenen Tasche geboten hat, ihn also quasi privat auszahlen wollte. Der Bezirksbürgermeister bestreitet das und will über den prominenten Medienanwalt Christian Schertz rechtliche Schritte gegen jene einleiten lassen, die das behaupten.
Grüne Jugend sieht „Ämterkauf“
Dass die Opposition im Bezirksparlament, wo Grüne und SPD zusammen eine Mehrheit haben, auf von Dassel im besten Fall unkonventionelles Vorgehen ansprang, überraschte nicht. Anders aber, dass sich, lauter noch als CDU und FDP, die eigenen Parteifreunde meldeten: „Ämterkauf, Klüngelei & Bestechung“ hielt ihm die Grüne Jugend via Twitter vor. Die eigene 17-köpfige Fraktion beschloss – offenbar mit acht zu sechs Stimmen, bei zwei Enthaltungen und einer Nichtbeteiligung – einen Abwahlantrag zu stellen oder zu unterstützen.
Das Disziplinarverfahren bei der Regierenden Bürgermeisterin abzuwarten, das von Dassel vor eineinhalb Wochen gegen sich selbst beantragte, wie es der Kreisvorstand der über 2.000 Grünen-Mitglieder in Mitte fordert? Die Fraktion – genauer: die gar nicht mal absolute Anti-von-Dassel-Mehrheit darin – will das anders als die Kreisspitze nicht und hat dafür Rückendeckung vom Landesvorstand bekommen.
Das wirft die Frage auf: Geht es gar nicht um den konkreten Fall, sondern nur darum, den eigenen Bürgermeister im zweiten Anlauf doch noch loszuwerden?
Der erste scheiterte an einem feucht-grauen Septembervormittag 2020 im Poststadion. Dort nominierten die Grünen, Pandemie-bedingt Open Air, ihren Bürgermeisterkandidaten für die Berlinwahl im folgenden Jahr. Und von Dassel, seit 2016 im Amt, hatte als Gegenkandidaten den Chef der eigenen Fraktion im Bezirksparlament.
Die Kritik am Amtsinhaber: Von Dassel sei zu wenig grün. Besonders verärgert waren vorrangig Parteilinke über sein Vorgehen gegen ein Obdachlosencamp und die Forderung, aggressive osteuropäische Obdachlose abschieben zu lassen, über ein Alkoholverbot auf dem Leopoldplatz und Einschränkungen bei der Straßenprostitution. Ein von anderer Seite durchaus begrüßtes robustes Vorgehen passte manchen nicht ins grüne Weltbild.
Dabei durfte das alles kaum überraschen. Von Dassels Grundhaltung bildet schon die Überschrift auf seiner Internetseite ab: „Gute Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“ steht da. Der taz sagte er vor dem Duell im Poststadion zur Kritik von Parteikollegen: „Leider enden Wahlprogramme oft da, wo die Probleme anfangen.“ Politisch eng verbunden war er mit Ramona Pop, der 2021 aus der Landespolitik ausgeschiedenen langjährigen Fraktionschefin und späteren Wirtschaftssenatorin.
Seine Politik betrieb von Dassel nicht im Stil eines charismatischen Volkstribuns, sondern eher nüchtern-akribisch. Ein Menschenfänger war er in seiner ganzen politischen Karriere nicht, die ihn vor dem Bürgermeisteramt als Geschäftsführer der Grünen-Fraktion in Mitte, Referent in der Abgeordnetenhausfraktion und ab 2009 als Stadtrat wiederum in Mitte sah.
Im Poststadion wehrte von Dassel nach zwei Wahlgängen und letztlich 127 zu 115 Stimmen den Angriff seiner Kritiker ab. Unter seiner Führung steigerten die Grünen danach ihr Ergebnis im Bezirk Mitte bei der Wahl am 26. September 2021 deutlich auf 28,5 Prozent, fast fünf Prozentpunkte mehr als 2016.
Nun aber sieht es nicht danach aus, als ob sich von Dassel im Amt halten könnte. Bislang hat sich niemand offenbart, der am Donnerstagabend bei der Debatte für ihn Partei ergreifen will.
Auch von Dassel selbst weiß nach eigenen Worten von keinem, der sich in der Debatte für ihn einsetzen will. „Keine Ahnung, ich lasse mich da überraschen.“ Im Gespräch mit der taz knapp 30 Stunden vor Sitzungsbeginn lehnte er einen freiwilligen Rückzug dennoch weiter ab, weil die Vorwürfe gegen ihn nicht gerechtfertigt seien: „Ich trete nicht zurück.“
Das Amt selbst bliebe bei einer Ab- und folgenden Neuwahl mutmaßlich in grünen Händen: Nur eine höchst unwahrscheinliche Koalition aus SPD, Linkspartei und CDU könnte jemanden gegen den Willen der Grünen als stärkster Fraktion wählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Alice Weidel bei Schweizer „Weltwoche“
Kolumne zuerst!