AfD nach Rücktritt von Meuthen: Feigenblatt weg, Einstufung kommt

Die AfD will der Einstufung als Verdachtsfall noch entkommen. Die Distanzierung von den Freien Sachsen hilft dabei wenig – und schürt Konflikte.

Der Ex-AfD-Chef Jörg Meuthen auf einem Parteitag

Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel im Januar Foto: dpa

BERLIN taz | Mit Aktionismus versucht die AfD auf den letzten Metern, eine Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz doch noch abzuwenden. Am 8. und 9. März steht der Showdown bevor – in Köln wird vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Die extrem rechte Partei hat gegen ihre bekannt gewordene Einstufung aus dem März 2021 geklagt, seither darf der Verfassungsschutz über die Einstufung der AfD nicht mehr öffentlich berichten.

Die meisten Be­ob­ach­te­r*in­nen gehen fest davon aus, dass der Verfassungsschutz vor Gericht recht bekommen wird und die Gesamt-AfD offiziell als Verdachtsfall eingestuft ist und nicht mehr nur die bereits offiziell eingestufte Jugendorganisation Junge Alternative sowie das scheinaufgelöste völkische Flügel-Netzwerk um Björn Höcke und einzelne Landesverbände.

Allerdings wirft der Prozess von Köln bereits seinen Schatten voraus. Der ehemalige Bundesvorsitzende Jörg Meuthen etwa hat das aus seiner Sicht sinkende Schiff verlassen und tingelt seither durch Talkshows, um überall zu erzählen, dass er im Kampf gegen die Rechtsextremen innerhalb der Partei alles versucht habe, aber gescheitert sei – obwohl er selbst lange mit den völkischen Netzwerken paktiert hatte.

Der Zeitpunkt seines Austritts ließ dabei aufmerken: Meuthen ging plötzlich, nachdem ihm mit einer auch in der AfD bekannt gewordenen Belegsammlung des Verfassungsschutzes vom 3. Januar spätestens klar gewesen sein müsste, dass eine Beobachtung durch den Geheimdienst nicht mehr abzuwenden sei. Mit zahlreichen Interviews nach dem Austritt liefert Meuthen als Protagonist zusätzliche Belege dafür, dass die Partei beobachtet gehört.

Partei der Skandale

Anlässe dafür gibt es endlos viele. Eine kleine Auswahl nur aus jüngster Vergangenheit: In Bayern ist im Dezember 2021 eine AfD-interne Chat-Gruppe aufgeflogen, in der AfD-Abgeordnete vom Bürgerkrieg träumten, die Legitimation von Wahlen in Frage stellten, ihren Rassismus auslebten und mit Reichsbürger-Ideologie mobilisierten. Mitglieder der Chat-Gruppe waren nicht nur Stephan Protschka, Landeschef und Bundestagsabgeordneter der AfD Bayern, sondern auch der vom Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland befürwortete Kandidat für den Co-Parteivorsitz: Peter Boehringer, ebenfalls im Bundestag.

Die Schlappe Intern in der Kritik steht Parteichef Tino Chrupalla auch mit seinem Alleingang, den CDU-Rechtsausleger Max Otte als Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufzustellen. Chrupalla wollte damit Stimmen aus dem konservativen CDU-Lager abgreifen. Das scheiterte. Zudem wurde bekannt, dass Otte der AfD 30.000 Euro spendete, 10.000 davon an den Kreisverband von Chrupalla.

Die Meuthen-Partei Ex-Parteichef Jörg Meuthen plant nach seinem Rücktritt offenbar, eine neue Partei zu gründen. Laut Medienberichten hat er unter anderem CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen gefragt, ob der eine „wirtschaftsliberale“ und „migra­tionskritische“ (aka rassistische) Partei zwischen AfD und CDU mitgründen wolle. Meuthen soll einen Korb bekommen haben, wolle aber politisch aktiv bleiben. Die ehemaligen AfD-Parteichefs Bernd Lucke und Frauke Petry hatten ihrerseits vergeblich versucht, nach ihrem Austritten neue Parteien zu etablieren. (gjo)

Auch die Personalie Matthias Helferich dürfte dazu beigetragen haben, dass die AfD Punkte im Rechtsextremismus-Ranking gesammelt hat: Der war für die AfD in den Bundestag gezogen, obwohl er sich selbst in Privatchats als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnete sowie als „demokratischen Freisler“.

Zur Erinnerung: Der berüchtigte NS-Richter Roland Freisler fällte nicht nur zahlreiche Todesurteile während der NS-Unrechtsjustiz, sondern zählt als Teilnehmer der Wannseekonferenz auch zu den Organisatoren des Holocaust. Dessen Fanboy Helferich hat die AfD Nordrhein-Westfalen zur Belohnung vor kurzem (5. Februar) in das Landesschiedsgericht gewählt, das höchstselbst über seine Ämtersperre im Zuge des Skandals abstimmen soll.

Und als Vorsitzender der AfD-Fraktion im EU-Parlament wurde als Meuthen-Nachfolger gerade erst vergangene Woche (9. Februar) der ehemalige Springer-Journalist Nicolaus Fest aus dem Berliner Landesverband gewählt. Der ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Als Interimschef im Berliner Landesverband wollte er die völkische Strömung integrieren und lässt auch sonst seiner Menschenverachtung freien Lauf: Fest schrieb nur wenige Stunden nach dem überraschenden Tod von EU-Parlamentspräsident David Sassoli in einem internen Chat: „Endlich ist dieses Drecksschwein weg.“ Meuthen trat kurz danach aus der rechtspopulistischen Fraktion im EU-Parlament ebenfalls aus.

Freie Sachsen auf Unvereinbarkeitsliste

Bei alledem und vielem mehr, was dem Verfassungsschutz vorliegt, dürfte auch wenig helfen, dass der Bundesvorstand der AfD in ungewohnter Einstimmigkeit kürzlich (7. Februar) beschlossen hat, die extrem rechten Freien Sachsen auf die Unvereinbarkeitsliste mit den Richtlinien der AfD zu setzen. Die von bekannten Neonazi-Kadern angeführte und vor allem in Sachsen sehr präsente Organisation weist in ihrem Unterstützerumfeld eine nicht gerade kleine Schnittmenge mit der AfD auf.

Vor allem mit Fokus auf Sachsen haben die Freien Sachsen in den vergangenen Monaten gegen Coronamaßnahmen mobilisiert – gleichzeitig dabei versucht, den häufig zu Gewalt eskalierten Protest als Vehikel für eine extrem rechte Umsturz-Agenda zu nutzen. AfD-Abgeordnete agitieren häufig zu denselben Veranstaltungen, rechter Umsturz ebenfalls eingepreist, versteht sich. Und so erinnerten die Reden etwa vom sachsen-anhaltischen Landeschef Hans-Thomas Tillschneider an dunkle Zeiten und auch Rechtsex­tre­mist Höcke war häufig auf der Straße anzutreffen und verbreitete wie viele AfD-Politiker Beiträge der Freien ­Sachsen.

Besonders martialisch war etwa ein Fackelaufzug der Freien Sachsen vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) Anfang Dezember. Der AfD-Parteichef Tino Chrupalla distanzierte sich danach erstmals von den Freien Sachsen, bestritt aber, die formal als Partei auftretende rechtsextreme Organisation auf eine Unvereinbarkeitsliste setzen zu wollen, nachdem darüber öffentlich spekuliert wurde. Als die Freien Sachsen die medial kolportierten Pläne kritisierten, distanzierte sich Chrupalla umgehend von seiner Distanzierung.

Und nun also geht der Bundesvorstand erneut auf Distanz. Die Gründe dafür dürften wie gewohnt keine inhaltlichen sein, sondern zum einen die Tatsache, dass die militante Systemfeindschaft der Freien Sachsen der AfD inhaltlich Konkurrenz macht. Zum anderen dürfte der bevorstehende Prozess gegen den Verfassungsschutz eine Rolle spielen.

Für eine inhaltliche, aber auch personelle Nähe der Freien Sachsen und der AfD spricht hingegen, dass es an der Basis nicht nur der sächsischen AfD infolge des Unvereinbarkeitsbeschlusses rumort. Die Freien Sachsen riefen ihre Telegram-Gefolgschaft dazu auf, AfD-Abgeordnete anzuschreiben, ebenso leakte die rechtsextreme Organisation ein internes Papier der Parteispitze, mit dem der Vorstand um Chrupalla die neue Unvereinbarkeitsliste gerechtfertigt hat. Auf dem Kanal heißt es: „Für diese 17 Seiten wird sich die AfD-Führung (in Berlin und Sachsen) erklären müssen. Ist das noch Opposition oder schon Geheimdienstverhalten?“

Besonders regt sich die rechtsextreme Gruppe darüber auf, dass in dem Papier kritisiert werde, dass sich die Corona leugnende Gruppe gegen Impfungen aussprächen sowie die Regierung nicht akzeptierten – interessanterweise alles Standpunkte, die auch AfD-Politiker*innen in den letzten Monaten vehement vertreten haben.

Ebenso gibt es für die Freien Sachsen offene Unterstützung aus der AfD – und zwar von prominenter Stelle. ­Höcke hat direkt nach dem Beschluss des Vorstands gefordert, die AfD-Unvereinbarkeitsliste zu überarbeiten. Die Liste sei in ihrem Fokus verengt und sollte nicht der „Gegnermarkierung“ dienen, so Höcke in einem Statement der AfD Thüringen, das auch aus Sachsen vom Landtagsabgeordneten Jörg Dornau unterstützt wurde – also auch im Landesverband des Parteivorsitzenden ­Chrupalla.

Darüber hinaus ging sogar noch die Bundestagsabgeordnete Christina Baum aus Baden-Württemberg. Sie sagte über den Unvereinbarkeitsbeschluss in einem Video des extrem rechten Compact-Magazins: „Das ist eine Bevormundung der Mitglieder. Ich würde mich auch nicht daran halten.“ Bei allen Veranstaltungen, bei denen sie rede oder „Mitläufer“ sei, so Baum, „erkläre ich immer allen, dass wir als AfD der parlamentarische Arm dieser Protestbewegung sind.“ Mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss fiele die Parteiführung der Basis in den Rücken. Baum sagt: „Für mich hat der Parteivorstand überhaupt keine Legitimität mehr.“ Natürlich haben die Freien Sachsen den Beitrag genüsslich geteilt.

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