AfD im niedersächsichen Landtag: Aggression und Verweigerung
Die AfD-Politiker im niedersächsischen Landtag inszenieren sich als Kümmerer. Doch der realen täglichen Arbeit in den Ausschüssen verweigern sie sich.

P rovokation und PR-Coup: Die blauen Plakate mit der weißen Aufschrift „Keine Heizung ist illegal“, die die AfD-Abgeordneten im niedersächsischen Landtag hochhielten, waren eine Anspielung auf die Botschaft „Kein Mensch ist illegal“.
Der Fraktion um den Vorsitzenden Stefan Marzischewski-Drewes gelang seit der Landtagswahl sonst kaum eine Inszenierung. Vor gut einem Jahr zog die AfD mit 11 Prozent in das Parlament ein. Sie konnte ihr Ergebnis fast verdoppeln, erreichte 18 Mandate. Die Krise durch den Angriffskrieg auf die Ukraine brachte Zuspruch. Vorher waren Landtagsfraktion und Landesverband zerstritten – die Fraktion zerbrach, der Verband agierte kaum. Mit Marzischewski-Drewes kamen die Einigung und der Erfolg.
Als Arzt inszeniert er sich als Kümmerer. Die vermeintliche sozialpolitische Ausrichtung der Partei, die Sorgen der einfachen Leute aufzugreifen, spiegelt sich jedoch kaum in der parlamentarischen Arbeit wider.
„In den Ausschüssen arbeiten die AfD-Mitglieder nicht mit“, sagt Uwe Schünemann der taz. Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion berichtet, dass die Abgeordneten kämen, aber nichts sagten. In der ersten Phase der Legislaturperiode sei die AfD auch kaum durch „Klamauk“ aufgefallen. Die Zurückhaltung könnte Klaus Wichmann verantworten, sagt Schünemann. Als parlamentarischer Geschäftsführer der AfD ist er im Ältestenrat.
Die Umfragewerte steigen
Doch Schünemann stellt auch fest, dass die Rhetorik schärfer wurde: Nach dem Auffliegen der rechtsterroristischen Gruppe um Heinrich Prinz Reuß Ende 2022 – die Gruppe plante, den Bundestag zu stürmen – schrieb der AfD-Abgeordnete Stephan Bothe bei Facebook, dass dieser „Staatsstreich“ eine „Art des ‚Hauptmann von Köpenick‘“ sei, den die Medien hochputschten. Boris Pistorius (SPD), damals Landesinnenminister, nehme das zum Anlass, um ein AfD-Verbotsverfahren „ins Spiel zu bringen“.
Dass eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete zu den Hautverdächtigen gehörte, ignorierte Bothe. Jüngst unterstellte Bothe der rot-grünen Landesregierung einen „ausländer- und migrationspolitischen Blindflug“ und sprach von einem „ausufernden Aufenthaltsrecht“.
Kleine Anfragen der AfD an die Landesregierung zeigen, dass die Fraktion der Parteiagenda ohne sozialpolitische Ausrichtung folgt. AfD-Abgeordnete Jessica Miriam Schülke ging in ihrer Anfrage die Organisation „Schlau Niedersachsen“ an, die über diverse sexuelle Identitäten aufklärt. Per Anfrage griff die AfD ebenso die Verwendung der „‚Gendersprache‘ an Niedersachsens Schulen“ auf.
Marzischewski-Drewes und Bothe schossen auch gegen den Oldenburger Polizeipräsidenten, der in einem Interview gesagt hatte, dass die AfD ein „Treiber“ für „menschenverachtende Ideologien“ sei. Die Fraktion stellte zudem den Antrag, dem Projekt „Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport“ die Zuschüsse zu entziehen.
Die Inszenierung als Kümmerer ohne reale Praxis genügt: In Niedersachsen liegt die AfD in Umfragen bereits bei 18 Prozent.
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