AfD attackiert DRK in Brandenburg: Der Kampf um Golßen
In Golßen will die AfD ab Juni den Bürgermeister stellen. Schon heute bestimmt die Partei die Agenda in der Stadt mit – und attackiert selbst das DRK.
Dann aber trat Bürgermeisterin Daniela Maurer vor das Haus und verkündete, dass die AfD-Fraktion nicht zur Sitzung erschienen sei und sie ihren Antrag zurückgezogen habe. Applaus brandete in der Kundgebung auf, erinnert sich Maurer. „Mit dem Widerstand hatte die AfD wohl nicht gerechnet.“ Die Partei erklärte in einer Mitteilung, man habe um die eigene Sicherheit gefürchtet, weil bei dem Protest auch die „gewaltbereite Antifa“ zu erwarten gewesen sei. Man brauche künftig ein Sicherheitskonzept und Personenschutz. Maurer kann darüber nur den Kopf schütteln. „Das war ein völlig bürgerlicher Protest.“ Und Personenschutz hätte eher sie gebraucht, als vor zwei Jahren die AfD und Coronaprotestierer vor ihrem Haus standen.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Für Daniela Maurer und andere Golßener aber ist der AfD-Vorstoß ein Vorbote, was da noch kommen kann. Denn in drei Wochen, am 9. Juni, findet auch in der Südbrandenburger Stadt die Kommunalwahl statt, parallel zur Europawahl – und im Herbst die Landtagswahl. Und wie es aussieht, könnte die AfD die große Gewinnerin werden. Brandenburgweit liegt die Partei momentan bei 26 Prozent, vor allen anderen Parteien. Auch in Golßen will die AfD bei der Kommunalwahl stärkste Kraft werden, wirbt für ihren Kandidaten Vincent Fuchs als „Volksbürgermeister“. „Wenn die AfD wirklich gewinnt und den Bürgermeister stellt, dann wirft das Golßen zehn Jahre zurück, mindestens“, sagt Maurer.
Überall in der Stadt hängen blaue Plakate
2.500 Einwohnende zählt Golßen, nicht weit vom Spreewald, ein kleiner Marktplatz, verschlafene Straßen, ein Großvertrieb für Spreewaldgurken. Die SPD stellt hier seit jeher die Bürgermeister. Daniela Maurer ist seit 2019 in diesem Amt, das ein Ehrenamt ist. Damals war die Anfang-Fünfzigjährige, die einen örtlichen Pflegedienst leitet, politische Quereinsteigerin. Vor fünf Jahren holte Maurers SPD 30 Prozent der Stimmen in der Stadt, knapp hinter der Unabhängigen Bürgerliste (UBL) Golßen, einer Gruppe von Mittelständlern, und vor der AfD mit 22 Prozent „Seitdem führe ich hier eine Minderheitenregierung“, erklärt Maurer. Denn AfD und UBL taten sich von Beginn an immer wieder zusammen, setzten schon in der ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung 2019 Vincent Fuchs als Vizebürgermeister durch.
In diesen Tagen sucht vor allem die AfD Präsenz. Überall in der Stadt hängen ihre blauen Plakate. Am Mittwoch baut Bürgermeisterkandidat Vincent Fuchs auf dem Marktplatz einen Wahlkampfstand auf – ein 34-jähriger Lehramtsstudent, der bei der vergangenen Wahl noch gegen Maurer in der Stichwahl scheiterte. Fuchs plaudert mit ein paar Vorbeikommenden, die er schon länger kennt, verteilt Kaffee aus der Pumpkanne, wer will auch Feuerzeuge und „den Blauen Fritz“, die AfD-Zeitung.
Mit dabei ist auch Hans-Christoph Berndt, im weißen Hemd schüttelt auch er Hände. Auch Berndt ist ein AfD-Mann aus dem Golßener Stadtparlament, aber nicht nur irgendeiner. Denn der 68-Jährige ist auch AfD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag und Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Herbst. Sein Büro hat er direkt am Marktplatz, sein Haus steht ein Dorf weiter. Und Berndt ist vom Brandenburger Verfassungsschutz als erwiesener Rechtsextremist eingestuft.
In Golßen kann man erleben, was das bedeuten kann, wenn Leute wie Hans-Christoph Berndt und seine AfD an Macht gewinnen, schon heute. Und aktuell ist es die Sache mit dem Mehrgenerationenhaus. Seit zwei Jahren gibt es das neusanierte Haus in Golßen, betrieben vom Deutschen Roten Kreuz. „Ein Glücksfall“, wie Bürgermeisterin Maurer sagt. Krabbelgruppen treffen sich nun dort, Töpferkurse oder eben die Senior*innen. Auch die Stadtverordnetenversammlung tagt in dem Haus, ab und an auch Parteien. Zuletzt aber behauptete die AfD, dass sie in dem Haus keine Veranstaltungen mehr abhalten dürfe – und reichte ihren Antrag im Stadtparlament ein, dem DRK zu kündigen. Der Verband entscheide „einseitig“, wer sich im Haus treffen dürfe, echauffierte sich die AfD. Auf Nachfrage reagiere er mit einer „völligen Blockadehaltung“. Es sei wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch „unliebsame“ Ausschussvorsitzende keine Sitzungen mehr abhalten dürften – „oder in Zukunft womöglich Bürgermeister“.
Es war ein Antrag, von dem die AfD wohl dachte, sie könnte ihn wieder mit einer Mehrheit mit der UBL durchbringen. Aber dann kamen die Senior*innen. Und auch das DRK widerspricht der AfD. Das Rote Kreuz sei internationalen Grundsätzen verpflichtet, sich „jederzeit neutral und unparteilich“ zu verhalten, erklärt Katrin Tschirner, Sprecherin des DRK-Kreiverbands. Es stehe der Stadt und dem Amt als Eigentümer des Hauses aber frei, die Räume selbst zu vergeben. Und: „Bisher ist unseres Wissens nach keine einzige Veranstaltung ausgefallen“, so Tschirner. Auch Bürgermeisterin Maurer betont: „Wir hätten die Sache ganz normal im Dialog klären können. Aber daran hatte die AfD offensichtlich kein Interesse.“
Hans-Christoph Berndt erklärt dagegen, das DRK und die Stadt hätten sehr wohl AfD-Anfragen abgeblockt. Und Maurer sei „parteiisch und skrupellos“. Nie habe man vorgehabt, den Rentnern ihr Programm zu nehmen – das könne ja auch mit neuem Betreiber stattfinden. Berndt gibt sich gelassen: Dann werde man die Sache eben nach der Wahl klären, mit den neuen Mehrheiten.
Berndt bedient alle rechtsextremen Schlagworte
Eben das ist die Sorge von Daniela Maurer und anderen in Golßen: Dass es so mit der AfD nach der Kommunalwahl weitergeht – und noch schlimmer wird. Und das hat auch mit Hans-Christoph Berndt zu tun. In der Stadtverordnetenversammlung halte sich dieser bedeckt, sagt Maurer. Aber Berndt kann auch anders.
Bereits 2015 organisierte der Labormediziner Anti-Asyl-Proteste in Golßen und Umgebung, mit seinem Verein „Zukunft Heimat“, den der Verfassungsschutz schon lange als rechtsextrem einstuft. Berndt pflegt Kontakte auch zu Pegida oder dem ebenso eingestuften Institut für Staatspolitik. 2018 ging er zur AfD, holte zur Landtagswahl das Direktmandat im Wahlkreis von Golßen und wurde kurz darauf AfD-Fraktionschef im Landtag.
Und dort versteckt Berndt seine Ideologie nicht. Von einem „multikriminellen Sumpf“, ätzte er, vom Verfassungsschutz als „Neo-Stasi“ oder dass man diejenigen „verjagen“ müsse, die „Heimat und Identität zerstören“. Als Berndt im April auf dem AfD-Parteitag in Jüterborg als Spitzenkandidat gewählt wurde, geißelte er den Parteienstaat, „den wir überwinden müssen“ – und pries explizit die Proteste gegen „Asylanten“ 2015 in Golßen – weil diese schon damals eine „Abrechnung“ mit der herrschenden Politik gewesen seien.
Und Berndt machte in Jüterborg klar, was er will, würde die AfD regieren: mehr Geld für Kommunen oder Abbau von Bürokratie, dann aber auch die rechtsextreme Agenda einer „Remigration“, das Kündigen von Rundfunkstaatsverträgen oder die Abschaffung der Briefwahl und des Verfassungsschutz.
Und in Golßen? Berndt erzählt auf dem Marktplatz von der Idee eines medizinischen Versorgungszentrums für die Region, auch um das leerstehende Schloss müsse man sich kümmern. Dann wird es vage. „Wir haben das vor, was wir sagen“, sagt Berndt. Sein Parteifreund Fuchs ergänzt noch, er wolle eine zentrale Straße und das Sportlerheim sanieren.
Wenig Akzente im Stadtparlament
In der Stadtverordnetenversammlung war davon bisher nicht viel zu sehen. Anträge stellte die AfD kaum. Für die Leerung von Laubcontainern setzte sich die Partei ein oder für ein Entwicklungskonzept, ob Golßen noch mehr Zuwachs vertrage – was die AfD verneint. In anderen Anträgen schwenkte die Partei dagegen schlicht auf die Bundespolitik, ätzte über „die schlechteste Regierung seit Existenz der Bundesrepublik“.
Sonst stimmte die AfD vor allem Anträgen der UBL zu, bei denen auch einige über die „Altparteien“ meckern. Anträge von Daniela Maurers SPD-CDU-Bündnis, „Gemeinsam für Golßen“, lehnten beide zumeist ab. Im Sommer 2023 setzten UBL und AfD in der Stadtverordnetenversammlung dann durch, dass Golßen aus dem Amt Unterspreewald austritt und sich künftig selbst verwaltet – ein Novum in Brandenburg. Die Amtsumlage sei zu hoch, argumentierten beide Gruppen. Maurer dagegen lehnt die Entscheidung ab. „Wir müssten jetzt als 2.500-Einwohner-Stadt eine gänzlich neue, eigene Verwaltung aufbauen, das ist doch Unsinn.“ Nun muss Maurer den Beschluss aber umsetzen und die Sache gegen das Land durchklagen. „Sehr zermürbend“ nennt sie das Prozedere im Stadtparlament.
AfD-Vorstöße wie zum Mehrgenerationenhaus hätten nur eine Folge, sagt Maurer im Büro ihres Pflegedienstes, zwischen zwei Terminen: Sie bremsten den Ort aus. „Das alles wirft Golßen nur zurück.“ Und, was Maurer nicht weniger schlimm findet: Die AfD spalte die Stadt. Früher noch habe sie mit Vincent Fuchs Straßenfeste gefeiert, heute werde sein Ton immer unversöhnlicher. Einige wechselten nun die Straßenseite, wenn sie auf Leute des anderen politischen Lagers träfen. Und wenn die AfD selbst das DRK schon angreift, wer komme dann als nächstes? Würde die AfD wirklich die Stadtgeschicke führen, würden sich wohl viele Ehrenamtliche zurückziehen, glaubt die Bürgermeisterin. „Und das würde Golßen wieder lähmen. Das Gemeinsame würde verloren gehen.“
Vielleicht wird die Wahl doch kein Selbstläufer
Aber nicht nur Maurer gibt den Kampf noch nicht verloren. Erst zuletzt ging in Golßen eine neue Wählergruppe an den Start, „Abordnung der Bürger“. Eine handvoll Aktiver um den Rentner Reinhard Knöfel, der lange bei der Linken aktiv war. Auch er war bei der Kundgebung gegen die AfD vor dem Mehrgenerationenhaus dabei. „Natürlich“, sagt Knöfel. Nun will er mit seiner überparteilichen Gruppe bei der Wahl verhindern, dass die AfD eine Mehrheit bekomme. „Die Partei macht so viel Unsinn in der Stadt, das muss verhindert werden.“
Auch die Linke formierte sich zuletzt in Golßen neu, gründete im Frühjahr eine Basisorganisation um den 35-jährigen Helmut Hummel. Er war ebenfalls bei der Kundgebung vor dem Mehrgenerationenhaus dabei, tritt zur Kommunalwahl an. Auch Hummel gibt als Ziel an, dem Erstarken der AfD in der Region entgegenwirken zu wollen.
Und auch das Bündnis von Daniela Maurer will noch ein Kinderfest auf dem Marktplatz veranstalten, wirbt mit Plakaten und Flyern in der Stadt. Sie habe noch viel vor, erzählt Maurer: Die Schule und Straßen sanieren, gemeinsame Projekte mit der Nachbarstadt Baruth. Und vor allem weiter eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinen, Bürgern und Unternehmen. Maurer könnte diese Vernetzung noch nutzen, mit ihrer Tagespflege kommt sie viel herum. Anders als die AfD: Vincent Fuchs ist zwar beim örtlichen Fußballverein aktiv, Christoph Berndt aber scheint lieber seine weit rechten Zirkel zu pflegen. Und so schaffte es die AfD bei der Kommunalwahl auch nur, sechs Kandierende aufzustellen – beim Bündnis von Daniela Maurer sind es 12, bei der UBL 14.
Für Maurer ist es ein Zeichen, dass die Wahl für die AfD vielleicht doch kein Selbstläufer wird. Nach den Erfahrungen aus dem Stadtparlament habe sie länger überlegt, ob sie nochmal antrete, sagt sie. Aber dann sei der Entschluss klar gewesen. „Wir können der AfD doch nicht das Feld überlassen.“
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