piwik no script img

AfD-Parteitag in DresdenSpitzenkandidatenfrage vertagt

Die AfD will – klassisch selbstverharmlosend – mit dem Slogan „Deutschland. Aber normal“ in den Wahlkampf ziehen. Die Personalfrage bleibt ungeklärt.

Wie geht es weiter mit der AfD? Alice Weidel auf dem Parteitag in Dresden Foto: dpa

Berlin taz | Jörg Meuthen setzt dieses Mal einen gänzlich anderen Ton. Während der AfD-Chef beim Parteitag Ende vergangenen Jahres in Kalkar Teilen seiner Partei scharf die Leviten las, ist jetzt der politische Gegner das Ziel. „Die Union ist nach 16 Jahren Merkel leer, entkernt, skandalgeschüttelt und ohne jede verbliebene Substanz – und zwar inhaltlich wie personell“, ruft Meuthen in den Saal der Dresdner Messe, wo sich fast 600 Delegierte an diesem Wochenende zu einem Präsenzparteitag versammelt haben. Überraschend ist sein Fokus nicht. Schließlich soll der Parteitag der Einstieg der AfD in den Bundestagswahlkampf sein. Da will die zutiefst gespaltene Partei Geschlossenheit ausstrahlen so gut es eben geht.

Als eigentlichen Gegner macht Meuthen aber nicht wie früher die Union, sondern die Grünen aus. Und holt dafür einen alten CDU-Slogan aus der Mottenkiste: „Freiheit statt Sozialismus“. Für Freiheit steht aus Sicht des Parteichefs die AfD, die Grünen sind demnach für den Sozialismus zuständig. „Maximaler Einsatz“ aber sei in diesem Jahr nicht nur für die Bundestagswahl im September notwendig, fährt Meuthen fort, sondern auch für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni. Bei dieser Wahl habe die AfD die große Chance, erstmals stärkste Kraft zu werden, was ein Auftrag zur Regierungsbildung sei. Die AfD müsse geschlossen in diese Wahlkämpfe ziehen.

Das sehen selbst seine parteiinternen Gegner vom „Flügel“-Netzwerk so. Und so schafft es ein Antrag, der Meuthens Abwahl fordert und ihn außerdem für Strafzahlungen wegen der Annahme illegaler Spenden persönlich belangen will, gar nicht erst auf die Tagesordnung. Am Sonntag könnte jedoch über den Vorschlag abgestimmt werden, die Wiederwahl von Mitgliedern des Parteivorstands in Zukunft nur noch zweimal zu ermöglichen. Damit dürfte Meuthen bei der Ende des Jahres anstehenden Neuwahl der Parteispitze nicht mehr antreten.

Auch ein anderer Antrag scheitert: Vier ostdeutsche Landesverbände hatten sich dafür ausgesprochen, in Dresden nicht nur das Programm für den Bundestagswahlkampf zu beschließen, sondern auch die Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen dafür. Dass dies zu Beginn nicht auf der Tagesordnung steht, liegt an einem machtstrategischen Schachzug des Meuthen-Lagers im Bundesvorstand, der jetzt allerdings nach hinten loszugehen droht.

Duo soll AfD in die Wahl führen

Weil sie die erneute Kür von Alice Weidel als Spitzenkandidatin verhindern wollten, setzten sie eine Onlinebefragung der Mitglieder durch. An dieser nahm zwar nur etwa ein Viertel der AfDle­r:in­nen teil, diese aber sprachen sich in sehr großer Mehrheit dafür aus, die Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen nicht auf dem Parteitag, sondern in einer Urwahl zu bestimmen. Weil sich viele an dieses Votum gebunden fühlen, scheitert der Antrag aus dem Osten auf dem Parteitag knapp.

Der Parteitag beschließt lediglich, dass ein Duo die AfD in die Wahl führen soll. Wahrscheinlich ist, dass einer der beiden Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla sein wird. Der „Flügel“-nahe Malermeister gilt als Kandidat der Ostverbände, auch hat ihn sein Verband in Sachsen an die Spitze der Landesliste gewählt. Chrupalla hat außerdem Alexander Gaulands Segen, der selbst zwar wieder für den Bundestag kandidiert, aber aus Altersgründen nicht mehr für den Spitzenjob antreten will.

Offen aber ist die zweite Person. Nur so viel ist klar: Sie soll wohl aus den Westverbänden kommen. Weidel hatte kurz vor Beginn des Parteitags am Samstagvormittag mitgeteilt, dass sie auf der Zusammenkunft nicht als Kandidatin zur Verfügung stehe. Ob sie jedoch bei der Urwahl antrete, sei noch nicht entschieden, teilt ihr Sprecher der taz später auf Anfrage mit. Weidel, die in der AfD wirtschaftsliberal gestartet, inzwischen aber durchaus „Flügel“-kompatibel ist, steht in der Partei in der Kritik: Wie Meuthen ist sie in eine Spendenaffäre verstrickt, in der Fraktion wird der Chefin Führungsschwäche und häufige Abwesenheit nachgesagt. Auch dass Markus Lanz jüngst öffentlich machte, dass er Weidel mehrfach in seine Talkshow eingeladen, aber immer Absagen kassiert hatte, macht die Lage nicht besser für sie. Zudem steckt Weidel in einem Kleinkrieg mit Meuthen, in dem sie bislang wenig Punkte gemacht hat.

Was normal ist, will letztlich natürlich die AfD bestimmen

Als mögliche Gegenkandidatin schickt das Meuthen-Lager die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar ins Rennen, die erst in Kalkar in den Bundesvorstand gewählt worden ist. Ihr Nachteil: Tritt Weidel an, könnten sich viele Mitglieder für diese entscheiden, schon allein weil sie die Bekanntere ist. Zudem steht Cotar in Hessen nur auf Listenplatz 2. Weidel allerdings ist in Baden-Württemberg noch gar nicht gewählt, der Landesverband hat noch keine Liste aufgestellt. Er hat sich, wie die AfD in Bayern, für ein schriftliches Verfahren entschieden, was aber dauern kann – und möglicherweise nicht abgeschlossen ist, wenn die Mitglieder über die bundesweiten Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen abstimmen. Das Ergebnis der Urwahl dafür soll Ende Mai vorliegen.

Weil Kan­di­da­t:in­nen sich einzeln oder als Team bewerben könnten, dürfte viel davon abhängen, ob Chrupalla sich für eine Partnerin entscheidet. Die Spitzenkandidatur 2017 hat Weidel auch Gauland zu verdanken, der mit ihr im Team angetreten ist. Chrupalla kritisiert in seiner Rede die „innerparteilichen Kleinkriege“ der vergangenen Monate, von denen die politischen Gegner profitiert hätten, und forderte „Schluss mit dem Lagerdenken“ in der AfD. Das Sticheln gegen seinen Co-Chef Meuthen allerdings kann Chrupalla nicht lassen. Dieser habe ja Recht, wenn er mehr parteiinterne Disziplin einfordere. Aber diese müssen eben auch für den Bundesvorsitzenden gelten.

Chrupalla schlägt in der ihm eigenen hölzernen Art auch den Bogen zur Wahlkampagne der AfD, die bereits am Freitagabend vorgestellt worden ist. Ihr Slogan: „Deutschland. Aber normal“. Das folgt einerseits der Strategie der Selbstverharmlosung, die, wie es der neurechte Kleinverleger Götz Kubitschek formulierte, die Barriere zu den Nor­mal­bür­ge­r:in­nen einreißen will. Aber was normal ist, will letztlich natürlich die AfD bestimmen.

Indirekter Angriff auf Meuthen

Am Samstagnachmittag und am Sonntag debattiert der Parteitag das Wahlprogramm, dessen Entwurf sich wenig von dem aus dem Jahr 2017 unterscheidet. Der wichtigste Unterschied: Corona. Den Ton dafür hatte Meuthen bereits in seiner Begrüßungsrede gesetzt. Die AfD wolle „zeigen, dass diese Verbotsorgien, dieses Einsperren, diesen Lockdown-Wahnsinn, dass es all das nicht braucht, wenn man den Menschen vertraut“, so Meuthen.

Vor der Programmdebatte verabschieden die Delegierten eine „Corona-Resolution“. Darin fordert die Partei „jedweden, auch indirekten, Zwang zur Durchführung von Tests, Impfungen, unter anderem durch Einführung sogenannter Schnelltest-Apps und des grünen Impfpasses, sowie Benachteiligungen für Maskenbefreite zu unterlassen“. Dazu meldet sich auch Björn Höcke, einstiger „Flügel“-Anführer und Landes- und Fraktionsvorsitzender in Thüringen, zu Wort: „Die Testung und die Anzahl der Testungen führt überhaupt dazu, dass wir eine Pandemie haben.“

Überhaupt tritt Höcke, der sonst auf Bundesparteitagen meist schweigt, in Dresden häufig ans Saalmikrofon. Der Bundesvorstandsmehrheit um Meuthen wirft er vor, er habe den Bundestagsabgeordneten Roland Hartwig als Leiter einer Arbeitsgruppe, die sich mit dem Verfassungsschutz beschäftigt, „aus machtpolitischen Gründen abberufen“. Dabei habe Hartwig in dieser Rolle eine „großartige Leistung“ erbracht. Es dürfte auch an Höcke liegen, dass sich der Parteitag am Sonntag mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung Hartwigs beschäftigen wird. Was – allen Aufrufen nach Geschlossenheit zum Trotz – ein indirekter Angriff auf Meuthen ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 0G
    04369 (Profil gelöscht)

    Die Sarah Wagenknecht hätte bis gestern noch zu Verfügung gestanden, aber der Thierse hat grad nicht so viel zu tun. Einfach mal anfragen.

    • 7G
      75787 (Profil gelöscht)
      @04369 (Profil gelöscht):

      Evtl. springt auch Hans-Georg ein.

    • @04369 (Profil gelöscht):

      "Die Sarah Wagenknecht hätte bis gestern noch zu Verfügung gestanden, aber der Thierse hat grad nicht so viel zu tun. Einfach mal anfragen."



      Echt jetzt, finden Sie das tatsächlich witzig?