piwik no script img
taz logo

AfD-Parteitag in Bremen„Wir sind kein Kegelclub“

Die AfD wollte ihre Satzung diskutieren, spricht aber fast ebenso viel über die Geschäftsordnung. Am Ende setzt sich Parteichef Lucke knapp durch.

Der Parteigründer: Bernd Lucke Bild: dpa

BREMEN taz | Jetzt auch noch der Bundesvorstand. Seit Freitag 18 Uhr, als es erstmal nur um die Tagesordnung des AfD-Bundesparteitags geht, hagelt es Anträge zur Geschäftsordnung. Soll die Tagungsleitung einzeln oder kollektiv bestimmt werden? Ist Bernd Kölmel, Landeschef aus Baden-Württemberg, geeignet dafür? Darf elektronisch abgestimmt werden? Soll die Redezeit auf 30, 60 oder 90 Sekunden begrenzt werden? Oder doch auf zehn Minuten? Dann beantragt einer drei Millisekunden.

Schon nach einer Stunde ist die Stimmung genervt, nach zwei setzt einer zum Befreiungsschlag an. Er beantragt, die Tagungsordnung so anzunehmen, wie der Bundesvorstand sie vorgeschlagen hat. Mit einem Schlag sind alle 48 Änderungsanträge zur Tagesordnung vom Tisch. Basisdemokratie a la AfD.

Und jetzt, am nächsten Morgen auch noch der Bundesvorstand. Der will, dass Bernd Lucke seine persönliche Erklärung, anders als es auf der Tagesordnung steht, nun doch öffentlich abgibt. Dagegen hat Lucke sich am Freitag noch gewehrt, am Ende aber bereit erklärt – seine Kritiker hatten es gefordert. Trotzdem: Gegenrede. Und dann natürlich die Abstimmung. Lucke darf.

Sofort reißt der nächste Mann die Arme hoch. Antrag zur Geschäftsordnung. „Nach der Erklärung soll es eine Aussprache geben.“ Jetzt wird es Lucke zu bunt. „Natürlich gibt es eine Aussprache“, sagt er und fragt genervt, „was diese ganzen GO-Anträge sollen.“

Für Lucke steht viel auf dem Spiel

Lucke, bislang einer von drei Sprechern der AfD, wird im Bremer Congress Centrum auf die Leinwand projiziert. Weil nur 2.000 TeilnehmerInnen in den Hanse-Saal passen, hat die AfD zusätzlich das knapp zwei Kilometer entfernte Musicaltheater angemietet, wo Lucke und einige hundert Parteimitglieder nun sind. „Den größten Parteitag der Nachkriegsgeschichte“, hat Frauke Petry, eine der beiden Co-SprecherInnen Luckes, das zu Beginn des Parteitages stolz genannt. Die beiden Orte sind mit einer Videoschaltung miteinander verknüpft.

„Stümperhaft“ sei die Arbeit des Bundesvorstands bislang gewesen, sagt Lucke jetzt. Das sei in der Zeit des Parteiaufbaus verständlich, jetzt aber müsse man professioneller und effizienter werden. Richten soll es ein hauptberuflicher Generalsekretär, den Lucke einführen will. „Wir sind kein Kegelclub oder Kaninchenzüchter-Verein, den man ehrenamtlich führen kann.“ Zudem soll die Anzahl der Sprecher von drei auf einen reduziert werden. Denn ein Generalsekretär könne nur einem Vorsitzenden gegenüber hundertprozentig loyal sein – das aber sei zwingend notwendig.

Für Lucke steht viel auf dem Spiel. Mit der Drohung, sich zurückzuziehen, hat er seine erzkonservativen Gegenspieler im Vorstand, Petry, Konrad Adam, den anderen anderen Co-Sprecher, und Partei-Vize-Chef Alexander Gauland zu einem Kompromiss gezwungen. Bis zum Ende des Jahres, dann soll das Parteiprogramm stehen, soll es zwei Vorsitzende gegeben, ab Dezember dann nur noch einen. Und das dürfte Lucke sein. Das wollten die drei verhindern. Denn hinter der Führungsfrage steht ein Machtkampf um die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Wie weit rechts darf es denn sein? Fällt der Kompromiss bei der Basis durch, müsste Lucke eigentlich die Konsequenzen ziehen.

Aber Lucke setzt darauf, was ohnehin alle denken: Ohne ihn geht es nicht. Er beschreibt sich als das Gesicht der Partei, als ihren Monitor, als Ausputzer, der immer zur Stelle ist und allzu oft andere warten muss. Immer wieder wird er dabei von heftigem Applaus unterbrochen. „Ich habe zur Zeit zwei Hauptberufe, als Europaabgeordneter und Parteisprecher“, sagt er dann, diese Belastung aber könne nicht von Dauer sein. Es gebe „Grenzen der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit“. Eine Dreierspitze sei keine Ent-, sondern wegen notwendigen Absprachen und Reibungsverlusten eher eine zusätzliche Belastung. Applaus.

Streitpunkt Russland-Politik

Den Vorwurf, allein die inhaltliche Bandbreite der Partei nicht zu vertreten, versucht Lucke wegzuwischen. Bis Dezember, wenn der alleinige Vorsitzende Wirklichkeit werden soll, soll es ein Parteiprogramm geben. Der Vorsitzende müsse dann die Linien der Partei vertreten. Lucke schwört den Parteitag auf ein positives Signal ein, das vom Parteitag ausgehen muss. „Die einzige wirkliche Gefahr für die AfD geht von uns selber aus.“ Minutenlanger Applaus in beiden Sälen, die allermeisten Mitglieder stehen auf. Mit beiden Armen winkt Lucke von der Leinwand in den Saal. Petry und Gauland bleiben sitzen.

Petry, die sächsische Landeschefin, die sich gut mit Pegida versteht, stellt sich zwar hinter den Kompromissvorschlag, zielt aber geschickt auf Luckes Schwachpunkte. Wenn sich alle hinter verabschiedete Positionen versammeln sollen, dann dürfe man auch im europäischen Parlament nicht für Sanktionsvorbereitungen stimmen, die die Partei abgelehnt hat, ruft sie ins Mikrofon. Applaus.

Lucke hatte, gemeinsam mit drei anderen Abgeordneten, in Brüssel einen Antrag unterstützt, der sich wegen der Ukrainekrise für Sanktionen gegen Russland ausgesprochen hatte. Der Umgang mit Russland ist eines der großen Streitthemen in der Partei. Petry: „Sie sehen daran, wie groß der Interpretationsspielraum ist.“ Aber es gehe nicht nur um Effizienz, setzt zum nächsten Schlag an. „Man muss die Menschen auch mitnehmen und sie dort platzieren, wo sie ihr Bestes bringen können.“ Dass Lucke einen schwierigen Führungsstil pflegt, ist allgemein bekannt.

An den Saalmikrofonen bilden sich Schlagen, vor allem Männer in karierten Jackets und Pullundern stehen an, aber auch solche mit Einstecktücher und Kapuzenpullis. „Lucke riskiert für seine Lösung die Spaltung der Partei“, ruft einer in den Saal „Er riskiert einen Bürgerkrieg.“ Alle wüssten, sagt ein anderer, dass in der AfD ein Drittel konservativ, ein Drittel liberal und ein Drittel dazwischen seien. „Wenn Lucke Alleinherrscher werden will, vertritt er nur ein Drittel.“ Einer ruft mit hochroten Kopf: „Ich bitte Sie den narzisstischen Anspruch von Herrn Lucke abzulehnen.“ Dazwischen immer wieder Anträge zur Geschäftsordnung. „Sie stellen hier GO-Anträge um den Ablauf zu verschleppen“, sagt einer der Tagungsleiter genervt. „Diesen Antrag haben wir in den letzten 30 Minuten schon zweimal abgestimmt.“

„Die Demonstration ist da, wir sollten die Nationalhymne singen“

Dann endlich steht der Kompromissvorschlag des Vorstands zur Abstimmung. Erst gehen die grünen Abstimmungskarten hoch, das sind viele. Dann die roten. „Maximal 20 Prozent der Gegenstimmen“, sagt einer der Tagungsleiter. „Damit ist der Konsensvorschlag angenommen.“ Stehender Applaus, wieder winkt Lucke mit beiden Armen von der Leinwand in den Hanse-Saal.

Entschieden aber ist die Sache noch nicht. Am Abend muss die ganze Satzung noch angenommen werden, dafür braucht es eine Zweidrittel-Mehrheit. Es folgt ein Nachmittag mit zäher Debatte zu den vielen Paragraphen der Satzung, unzähligen GO-Anträgen und Abstimmungen. Da kann der Überblick schon mal verloren gehen. Die Tagungsleitung könne „nicht immer sicherstellen“, dass alle im Saal „immer alles verstanden haben“, sagt Marcus Pretzell, NRW-Landeschef. Er habe auch schon über etwas abgestimmt, wo er nicht wusste, worum es ging.

Um kurz vor vier stellt die erste Frau einen GO-Antrag. Sie will, dass die Sitzung für eine Viertelstunde unterbrochen wird. „Die Demonstration ist da, wir sollten alle auf den Balkon gehen und die Nationalhymne singen“, fordert sie. Der Antrag wird abgelehnt. Manche gehen trotzdem hinaus und singen, dann rufen sie „Nazis raus“ rüber zu den Antifas.

Abends um halb neun, viele Änderungsanträge zur Satzung sind noch nicht behandelt, schwindet die Geduld. Und die Angst wächst, dass die Satzung nicht mehr verabschiedet werden kann. Dass das Signal nach außen also wäre: Keine Einigung bei der zerstrittenen AfD. Das soll, insbesondere kurz vor der Landtagswahl in Hamburg, unbedingt verhindert werden. Einer beantragt, die restlichen Änderungsanträge nicht mehr zu behandeln und sofort abzustimmen. Zustimmung. „Jetzt kommen wir zu einem historischen Moment“, sagt Tagungsleiter Kölmel, die Satzung wird abgestimmt.

67,5 Prozent der Mitglieder stimmen dafür. Das ist knapp, sehr knapp sogar.

Lucke hat sich damit erst mal durchgesetzt. Inhaltlich aber ist noch nichts entschieden. Der große Zoff steht noch aus. Im November will sich die AfD ein Programm geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Herr Lucke will der alleinige Vorsitzende sein, weil es angeblich Unstimmigkeiten bei den Entscheidungen gibt und die Öffentlichkeit oft davon erfährt. Dabei ist gerade er derjenige, der seine Meinungen und Positionen plotzlich ändert. Zum Beispiel wenn es um Pegida oder Haltung zu Russland geht.

     

    Und wenn die Positionen und Haltungen ständig geändert werden, könnte man denken, dass es der AfD nur um Wahlstimmen geht und die eigentliche Richtung der Partei selber nicht ganz klar ist.