AfD Berlin beim Bundesparteitag: Lieber Zuschauer bleiben
Die AfD Berlin durfte nicht mitstimmen auf dem Bundesparteitag in Riesa. Die Landeschefin Kristin Brinker will dies aber nicht anfechten – und steht in der Kritik.
Dabei hätten die Berliner Delegierten durchaus einen Unterschied machen können – unter anderem bei der Wahl des von der völkischen Strömung gestützten Bundessprechers Tino Chrupalla: Der nämlich wurde hauchdünn zum AfD-Chef gewählt – mit lediglich 53,45 Prozent. Bei 600 Delegierten hätten die Berliner 4 Prozent der Stimmen sogar bei der wichtigsten Entscheidung des Parteitags einen Unterschied machen können – zumindest wenn sie einheitlich gestimmt hätten.
Dennoch ist die Landeschefin Kristin Brinker dagegen, nach dem Parteitag juristische Schritte gegen den Ausschluss der Berliner Delegierten zu unternehmen und das Ergebnis des Parteitages anzufechten. Dafür werde sie sich auf der Landesvorstandssitzung Anfang Juli einsetzen, sagte Brinker zur taz.
Hintergrund für den Ausschluss ist ein Landesschiedsgerichtsurteil aus dem Mai. Bei der Delegiertenwahl der Berliner AfD im vergangenen Juni hatte es nach Ansicht des Parteigerichts einen „irreparablen schweren Wahlfehler“ gegeben. Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch habe drei Kandidaten auf die Wahlliste setzen lassen, obwohl diese bereits geschlossen gewesen sei – das Bundesschiedsgericht der Partei bestätigte kurz vor dem Bundesparteitag das Urteil. Viele Berliner Delegierte waren dennoch angereist, weil die AfD Berlin das Urteil noch kurzfristig mit einem zivilgerichtlichen Eilantrag des Landgerichts aufheben wollte.
Gäste ohne Stimme
Der Eilantrag scheiterte jedoch – die Berliner*innen waren umsonst in sächsische Riesa gekommen und durften den Parteitag nur als Gäste ohne Stimmrecht verfolgen. Unter ihnen war auch von Storch, die nach dem Debakel ihre geplante Kandidatur als stellvertretende Parteichefin lieber gleich bleiben ließ. Sicher half der Ausschluss der Berliner auch Nicolaus Fest nicht gerade bei seiner Spitzenkandidatur, die dann auch krachend scheiterte. Brinker, von Storch und Fest, sie alle mussten zerknirscht ganz hinten in der Halle Platz nehmen – weiter hinten saß nur noch die Presse.
Nach dem Parteitag sagte Brinker der taz nun, sie übernehme die Verantwortung für das Debakel. Man werde künftig Parteitage aufzeichnen, um strittige Situationen wie diese besser bewerten zu können. Von der Delegiertenwahl im Juni habe es lediglich einen Livestream gegeben, der nicht gespeichert worden sei.
Allerdings hatte Brinker eine einstweilige Anordnung des Landesschiedsgerichtes ignoriert. Das nämlich hatte bereits vergangenen Herbst damit einen Hinweis gegeben, dass die Wahl unsauber abgelaufen sei, und die Entsendung zum später wegen Corona aufgefallenen Parteitag in Wiesbaden untersagt und die Neuwahl der Delegierten empfohlen.
Brinker hatte dies nicht gekümmert, sie war gegen ein schließlich im Mai ergangenes Urteil des Landesschiedsgerichts juristisch vorgegangen. Warum sie sich nicht bereits im Herbst um Neuwahl gekümmert hatte? „Die Empfehlung des Landesschiedsgerichts stellte noch keine juristische Grundlage für eine Neuwahl dar“, sagte Brinker. „Außerdem ist es sehr schwer für uns, in Berlin Räume zu finden.“
Für den Parteitag hatte die AfD Berlin ein Festzelt auf einer Wiese am Stadtrand in Berlin-Biesdorf angemietet und dort an aufeinander folgenden Wochenenden die Listen für die Wahlen und die Delegierten abgehalten. Nach Brinkers Angaben haben beide Wochenenden einen sechsstelligen Betrag gekostet.
Kritik an Brinker
Kritik übte das Abgeordnetenhausmitglied Antonín Brousek. Der Amtsrichter sagte der taz: „Das Ganze ist suboptimal gelaufen. Man hätte nach dem Hinweis des Landesschiedsgerichts vergangenen Herbst außerprozessual die Delegierten neu wählen können, um rechtssicher zu sein. Das hat man unterlassen.“ Das Verfahren sei zu sehr auf die leichte Schulter genommen worden. Brousek klingt enttäuscht vom Umgang des Landesvorstandes um Kristin Brinker mit dem Verfahren: „Das ist von Anfang an ziemlich katastrophal gelaufen. Die AfD Berlin hat von A bis Z keine gute Figur abgegeben.“
Gleichwohl glaubte Brousek nicht, dass die Vorgänge innerparteiliche, etwa personelle Konsequenzen nach sich zögen. An den Erfolg einer mögliche Anfechtung der Parteitagsbeschlüsse, von der einige Berliner Kollegen bereits gesprochen hätten, glaubte der Amtsrichter Brousek ebenso wenig: „Wahlen werden von Gerichten nur in extremen Fällen gekippt, selbst wenn sie mit Fehlern verbunden sind.“ Brousek ist selbst Mitglied des Landesschiedsgerichts, war aber nicht mit dem Fall befasst.
Brinker selbst gilt nicht als übermäßig radikal innerhalb der AfD, paktiert aber mit dem offiziell aufgelösten rechtsextremem Flügel. Bei ihrer Wahl 2021 war sie nur mit Unterstützung der Völkischen zur Landeschefin gewählt worden, die seitdem auch prominent im Landesvorstand vertreten sind. Brinker gewann bei ihrer Wahl hauchdünn gegen Beatrix von Storch.
Mit dem neuen, völkisch dominierten Bundesvorstand hat Brinker offenbar kein Problem, wie sie deutlich macht: „Nach jedem Parteitag wird der Partei ein Rechtsruck zugeschrieben. Das ist müßig.“ Der neue Bundesvorstand solle nun seine Aufgaben verteilen „und sollte sich in 100 Tagen an seinen Arbeitsergebnissen messen“, so Brinker.
Auf dem Parteitag haben sich die Kräfteverhältnisse im obersten Parteigremium dramatisch zum Thüringer Rechtsextremisten Björn Höcke verschoben. Wie zum Beweis änderte Höcke mit seiner Parteitagsmehrheit gleich am Tag nach der Vorstandswahl die Unvereinbarkeitsliste und sprengte den Parteitag mit einer verschwörungsideologischen und russlandfreundlichen „Resolution“, welche die EU-Auflösung forderte.
Beatrix von Storch, die den Rechtsruck im Landesvorstand teilweise richtiggehend schockiert aus dem Gästebereich verfolgte, äußerte sich auf taz-Anfrage bisher nicht. Einige in der AfD vermuten, dass sie nach Riesa den Rückzug aus der Bundespolitik antreten könnte – und eventuell künftig im Landesverband eine größere Rolle einnimmt.
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