Ärzte als Sterbehelfer: "Wir dürfen nicht in den Tod behandeln"
Kranke dürfen sich selbst töten, haben aber keinen Anspruch auf die Dienstleistung eines Arztes: Das meint der Medizinrechtler und Journalist Oliver Tolmein.
taz: Herr Tolmein, was spricht dafür, unheilbar kranken Patienten mit ausdrücklichem Sterbewunsch Hilfe zur Lebensbeendigung zu verwehren?
Oliver Tolmein: Wenn Sie da tätig werden wollen: nur zu!
Die Mehrheit der Ärzte will Kranken, die sich selbst töten möchten, dazu aber physisch nicht in der Lage sind, die ärztliche Hilfe verweigern. Das ist Bevormundung.
Keineswegs. Die Frage ist doch nicht: Wieso brauchen Menschen Assistenz zum Suizid? Sondern: Soll es eine ärztliche Aufgabe sein, neben der Heilung und der palliativen Linderung von Krankheitsbeschwerden auch Dienstleister zu sein, der als klassifizierte Leistung die "ärztliche Ermöglichung eines Suizids" erbringt? Ich finde nicht. Der Patient darf sich töten. Aber er hat keinen Anspruch auf einen Tod als Leistung des Behandlers.
Es geht hier doch nicht um aktive Sterbehilfe. Sondern darum, dass der Arzt Arzneimittel auf Wunsch des Patienten besorgen soll, die der Patient sich nicht mehr selbst besorgen oder nicht mehr selbst schlucken kann. Was ist daran unethisch?
Dem ärztlichen Ethos haftet immer etwas Paternalistisches an. Die Aufgabe, um die es hier ginge, wäre schnell weitaus komplexer, als Sie andeuten. Das sieht man auch am Beispiel des US-Staats Oregon, wo ein entsprechendes Gesetz in Kraft ist: Es müssen Diagnosen gestellt werden, die eine Suizidbeihilfe durch den Arzt akzeptabel erscheinen lassen. Oder sollen auch psychisch Kranke oder Kerngesunde Anspruch auf Natriumpentobarbital-Verordnungen haben? Und wenn nein: warum eigentlich nicht? Und wie soll der Arzt denn beim Schlucken des Arzneimittels, das eigentlich in diesem Fall kein Arzneimittel ist, behilflich sein? Da wird klar, wie schnell, wenn der Arzt mitwirkt, in den Tod behandelt wird. Und der Mensch, der stirbt, hat eben nicht mehr die Tatherrschaft bis zuletzt.
Oliver Tolmein, 49, ist Fachanwalt für Medizinrecht und engagiert sich für die Selbstbestimmung behinderter und schwer kranker Menschen. In seinem Buch "Keiner stirbt für sich allein" setzt er sich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Sterbehilfe auseinander. Weitere Infos unter: www.tolmein.de
Ärzte sind aufgrund ihrer Rolle und Befugnis in der Lage, Dinge tun zu können, die Angehörige, die auch beim Suizid helfen könnten, nicht tun können: Rezepte ausstellen beispielsweise.
Eben. Und wegen dieser besonderen Befugnis, Rolle und Verantwortung gelten für sie an diesem Punkt eben auch besondere Regeln. Und die gründen in der Überzeugung, dass es keine Aufgabe im Gesundheitswesen ist, zu helfen, den Tod gezielt herbeizuführen, sondern dass es hier um Behandlung oder Nichtbehandlung von Krankheiten geht.
In Fällen, in denen selbst die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt: haben Sterbenskranke da nicht ein zumindest moralisches Recht auf angemessene Hilfe durch ihre Ärzte?
Das haben sie - und zwar nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich: Aber der Anspruch richtet sich auf Maßnahmen der Palliativmedizin, wie beispielsweise die - auch umstrittene - terminale Sedierung, also die Gabe stark beruhigender Medikamente, die den Tod beschleunigen können.
Wenn Ärzte den Patientenwillen missachten, dann könnten die Patienten sich kommerziellen Sterbehelfern zuwenden. Sehen Sie diese Gefahr?
Wenn Ärzte Suizidbeihilfe als ärztliche Aufgabe in ihren Behandlungsalltag übernehmen, werden sie zu organisierten, wahrscheinlich auch kommerziellen Sterbehelfern. Das sehe ich als Gefahr.
Mit einem pauschalen berufsrechtlichen Verbot wird Ärzten die freie Gewissensentscheidung im Einzelfall abgesprochen. Wie liberal ist das?
Ärzte können freie Gewissensentscheidungen treffen. Sie gehen aber ein gewisses berufsrechtliches Risiko ein.
Das Berufsrecht, das die Ärzte sich geben wollen, fällt hinter das geltende Strafrecht zurück, das Beihilfe zum Suizid erlaubt. Wie passt das zusammen?
Berufsrecht folgt einer anderen Logik und gilt nur für Angehörige des speziellen Berufsstandes.
Welche Konsequenzen drohen im Fall einer Liberalisierung?
Die Gesellschaft findet sich noch leichter als jetzt mit den "gut erklärlichen" Suiziden ab, der Suizid wird medikalisiert und damit normalisiert - anstatt die Behandlungsverhältnisse und die Lebensmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen und Behinderungen deutlich zu verbessern.
Sollte die Beihilfe zum Suizid generell verboten werden?
Nein. Denn dann müsste man in der Logik unseres Strafrechts auch den Suizid selbst als Straftat behandeln. Und das wäre ungefähr das Letzte, was ich mir wünsche und vorstellen möchte.
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