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Ägypten vor den WahlenIm Zweifel für das Bewährte

Laut einer Studie beurteilen viele Ägypter die Rolle des Militärs, der Regierung und der Polizei als positiv. In der Wählergunst liegen Islamisten und die liberale Partei Wafd vorne.

Wahlplakate drucken in Kairo. Bild: reuters

Während auf dem Tahrirplatz die Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten toben, ist eine gute Woche vor den Wahlen immer noch unklar, wie die Mehrheit der Ägypter diesbezüglich denkt. Ein Teil macht die Militärführung für den schleppenden Fortschritt verantwortlich, ein anderer zeigt mit dem Finger auf die Demonstranten, die mit ihren Protesten das Land lahmlegen.

Eine Umfrage des Al-Ahram-Zentrums für Politische und Strategische Studien, in Zusammenarbeit mit dem Dänisch-Ägyptischen Dialog-Institut, versucht nun, etwas Licht in die Haltung der Bevölkerung nach dem Sturz von Expräsident Husni Mubarak zu bringen.

Von den 2.400 Befragten in 22 Provinzen des Landes halten 36 Prozent Sicherheit und Stabilität für die wichtigsten Themen. Ein Viertel gibt die Inflation und steigende Preise als ihr größtes Problem an, 26 Prozent die Arbeitslosigkeit. Themen wie das Entfernen von Vertretern des alten Regimes aus den staatlichen Institutionen und die Herstellung demokratischer Verhältnisse rangieren unter 1 Prozent.

Laut dieser Umfrage wollen fast 36 Prozent die Freiheit- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüderschaft wählen. Im Vormonat lag die Zahl noch bei 40 Prozent. Immerhin fast 9 Prozent der Bevölkerung wollen den radikalen Islamisten, den Salafisten, ihre Stimme geben.

Neue Parteien bleiben unter fünf Prozent

Das stärkste Gegengewicht zu den Islamisten bildet nach der Anfang November veröffentlichten Studie die traditionelle liberale Al-Wafd-Partei mit 26 Prozent, die in den 1920er Jahren gegründet wurde und unter Mubarak eine der offiziell zugelassenen Oppositionsparteien war.

Keine der seit dem Sturz Mubaraks neu gegründeten Parteien schafft es laut der Umfrage auf über 5 Prozent. Damit wird deutlich, dass die Ägypter sich den altbekannten Parteien und Gruppierungen zuwenden und der neu formierten politischen Landschaft skeptisch gegenüberstehen, deren Parteien und Repräsentanten zudem wenig bekannt sind.

Interessant ist auch das Vertrauen in staatliche Institutionen, die in dem Land am Nil auf eine über tausendjährige Tradition zurückblicken. 86 Prozent der Befragten bewerteten die Rolle des herrschenden Militärrats als positiv, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Umfrage vor den jüngsten Auseinandersetzungen auf dem Tahrirplatz durchgeführt wurde. 62 Prozent sehen auch die Arbeit der Regierung von Essam Scharaf positiv. Immerhin 42 Prozent schätzen sogar sogar die Tätigkeit des Polizeiapparates als positiv ein.

Überraschend ist auch, dass 42 Prozent der Befragten Saudi-Arabien als Modellland sehen. Die USA erhielten wie China nur 10 Prozent der Stimmen, die Türkei, häufig als Vorbild für arabische Staaten im Umbruch gehandelt, ganze 9 Prozent. Frankreich schnitt mit 5 Prozent unter den europäischen Ländern am besten ab.

Unklar ist, ob Saudi-Arabien als politisches Modell so gut abgeschnitten hat oder ob das nicht vielmehr auf die Anziehungskraft der Städte Mekka und Medina sowie auf die jährliche Pilgerfahrt zurückzuführen ist. Demgegenüber geht aus der Umfrage deutlich hervor, dass die Islamische Republik Iran in Ägypten kaum Anhänger hat: Lediglich 1 Prozent der Bevölkerung kann diesem Modell etwas abgewinnen.

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3 Kommentare

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  • I
    I.E.

    Falls es richtig wäre, dass Menschen, die "jahrelang in einer Diktatur gelebt haben, nicht gewohnt sind eigene Meinungen zu formulieren und zu vertreten", wie kommen diese Menschen dann darauf, für abweichende Meinungen ihre bürgerliche Ruhe, ihren privaten Frieden, ihre Gesundheit und evtl. sogar ihr Leben zu riskieren - wie in Ägypten, wie in der DDR?

    Ich bin in der DDR aufgewachsen, war 1989 17 Jahre alt und bin mir nach 22 Jahren immer noch sicher, dass die systemtragend-ideologische Gehirnwäsche bei vielen 'Bundis' viel erfolgreicher war als bei der überwältigenden Mehrheit der 'Zonis'. (Könnte es da vielleicht einen Zusammenhang mit der Frage geben, in welchem der beiden Landesteile die Leute erfolgreich eine Revolution auf & über die Bühne bringen konnten?)

    Aber in gewisser Hinsicht könnte man Mademoiselle Franziska’s Argumentation doch etwas abgewinnen: In den ersten "freien Wahlen" haben die guten Zonis dann mehrheitlich die CDU Helmut Kohls gewählt, nicht die bürgerbewegten Revolutionsdemokraten.

    Die CDU mit den Muslimbrüdern zu parallelisieren wäre sicher irgendwie reizvoll, wenn auch sicherlich ein wenig kontra-intuitiv. Würde ein Schritt weiter nach rechts zeigen, wie berechtigt dieser CDU/MB-Vergleich evtl. sein könnte? Neo-Nazis & Salafisten? Hier fehlt dem Vergleich die Ironie natürlich weitaus mehr.

    Sei dem wie es sei, da man Mrs. Franziskas Worten ohne größere Mühe entnehmen kann, dass sie selbst nicht aus dem Osten kommt - oder, um es in ihren eigenen Worten zu sagen, "nicht jahrelang in einer Diktatur gelebt hat" - sollte man sie beim Thema "extremistische Parteien & Brandanschläge" vielleicht darauf hinweisen, dass Solingen, Hünxe und Mölln im Westen des Landes liegen; und dass auch die Herren Kader, die Vereine wie NPD, DVU und Republikaner nach der "Wende" im Osten aufzogen, im Westen geschult & groß geworden sind. Und dass religiös/politisch begründete Gewalt & Extremismus sich auch in pulsierenden Demokratien wohl fühlen können, wie in der gern zitierten ‚einzigen des Nahen Ostens“, Israel (sagt man das eigentlich nach der erfolgreichen ‚Befreiung Iraks’ zur Demokratie & den anhaltenden libanesischen und türkischen Wahlkämpfen immer noch?)?

    Aber die von subtilen Überlegenheitsgefühlen so angenehm durchhauchten Fantasien, wie es wohl für die armen verdummten und so viel weniger zum eigenständigen Denken befähigten Menschen "in Diktaturen" (gewesen) sein muss, lassen sich wohl eben so schwer von hinnen aufklären, wie die entsprechenden selbstgefälligen Mehrheitsdiskurse, z.B. von CDU-Wählern über "Araber", "Ossis", "Muslime" oder "Asylanten", oder von Muslimbrüdern über "Amerikaner", "Ungläubige" und "Gottlose".

    Zum Schluss noch ein kleines Rätsel: Wenn "in Ostdeutschland nach der Wende die meisten Leute rumgemault und erzählt haben, dass es in der DDR viel schöner und besser gewesen sei", wie kommt es dann, dass die Wahlen eine satte Mehrheit für CDU/FDP und nicht für PDS/KPD ergaben? (Wahlfälschung etwa? Kongolesische Verhältnisse in Bundistân? Orientalische Schurkerei im Westen? Abgründe tun sich auf...)

  • DJ
    Dirk Jäckel

    Es beruhigt mich in keiner Weise, dass nur 1% der Ägypter den Iran als Vorbild sehen. Gegenüber dem wahhabitischen Regime in Saudi-Arabien, das 42% als Vorbild sehen, ist der Iran geradezu ein Hort der Menschenrechte. Im Übrigen ist der Hass frommer Sunniten (v.a. wahhabitischer Richtung) auf Schiiten im Allgemeinen noch größer als gegenüber dem Westen. Die Wahlprognosen (insgesamt 45% für mehr oder minder radikale Islamisten) sind noch erschreckender, wenn man von ca. 10% christlicher Wählerschaft ausgeht, die sicherlich fast ausschlißlich säkulare Parteien wählt. Das hieße, dass mehr als 50% der Muslime die Islamisten/Salafisten wählen möchte. Ich bin mittlerweile desillusioniert. Möglicherweise muss das Land erst einige Jahre selbstgewählter religiöser Tyrannei erleben, um aufzuwachen. Bereiten wir uns auf christliche und liberale Flüchtlinge vor.

  • F
    Franziska

    Wenn Menschen jahrelang in einer Diktatur gelebt haben, dann sind sie es nicht gewohnt eigende Meinungen zu formulieren und zu vertreten. Der Militärrat benutzt die staatlichen Medien für seine Propaganda. Kein Wunder, dass in diesen stürmischen Zeiten die Religion als Rückhalt gesehen wird.

     

    In Ostdeutschland haben nach der Wende auch die meisten Leute rumgemault und erzählt, dass es in der DDR viel schöner und besser gewesen wäre. Gleichzeitig brannten die Asylantenheime und die Extremen Parteien bekamen Zulauf.