Ägypten nach der Präsidentenwahl: Verfassungscoup des Militärs
Der Ausgang der Präsidentenwahl bleibt umstritten. Die Generäle kann der künftige Staatschef nicht antasten. Sie behalten volle Legislativgewalt und wollen auf Immunität pochen.
KAIRO taz | Das Militär wird Ende des Monats in einer großen Zeremonie die Macht an den ägyptischen Präsidenten übergeben. Das kündete Generalmajor Mohammed al-Assar, ein Mitglied des Obersten Militärrates, am Montagmittag in einer Pressekonferenz an.
Zu viel Macht ist allerdings nicht mehr übrig: In einem Coup hatte die Militärführung in der Nacht zuvor, kurz nach Schließung der Wahllokale, die neue Übergangsverfassung veröffentlicht. Danach bleibt das Militär die mächtigste Institution im Lande – auch der neue Präsident kann es nicht antasten.
Die Offiziere werden auch bestimmen, wer in der verfassunggebenden Versammlung sitzt. Sie behalten sich das Recht vor, gegen alle Entscheidungen der verfassungsgebenden Versammlung ein Veto einzulegen. Per Gesetz, heißt es dort weiter, werden auch die Rechte des Militärs und seine Pflichten bestimmt, etwa bei Verhaftungen. Gesetzlich müsse auch festgelegt werden, wann das Militär Immunität besitzt, heißt es in dem Dokument.
Mohammad Hussein Tantawi ist der Vorsitzende des Obersten Militärrats, der seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak am 11. Februar 2011 in Ägypten an der Macht ist.
Tantawi, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, wurde 1935 geboren, schlug eine militärische Karriere ein und machte einen Master in Militärwissenschaften. Er kämpfte in den Kriegen von 1956, 1967 und 1973 gegen Israel sowie 1991 aufseiten der US-geführten „Koalition der Willigen“ gegen den Irak.
Tantawi war ein langjähriger Vertrauter von Mubarak. In einer diplomatischen Depesche von 2008, die von Wikileaks veröffentlicht wurde, wird er als jemand beschrieben, der sich Veränderungen widersetzt.
„Er und Mubarak konzentrieren sich auf die Stabilität des Regimes und die Aufrechterhaltung des Status quo bis zu ihrem Ende. Sie haben schlicht nicht die Energie, die Neigung oder die Weltsicht, irgendetwas anders zu machen“, heißt es laut BBC in der Depesche.
Nach der Revolution wurde das Konterfei Tantawis ein beliebtes Motiv an den Wänden Kairos - als Fratze mit Vampirzähnen und blutigem Mund. (bs)
Der Oberste Militärrat besitzt praktischerweise seit vergangener Woche – nach der Auflösung des Parlaments – selbst die volle Legislativmacht. Er kann damit diese Gesetze selber schreiben. Ebenfalls letzte Woche hatte sich das Militär das Recht gesichert, Zivilisten zu verhaften.
Präsident kann Veto einlegen
Immerhin verkündete Generalmajor Mohammed al-Assar in der Pressekonferenz noch, dass der Präsident gegen die Gesetzesvorhaben des Militärs ein Veto einlegen könne. Damit sei das Kräfteverhältnis ausgeglichen. Der Präsident könne die Regierung und den Premier bestimmen und wieder absetzen. „Wir sind kein Staat im Staate“, die Kritik sei übertrieben, erklärte er. „Wir haben mit der Verkündung der Übergangsverfassung gewartet, bis die Wahllokale geschlossen sind, um die Wähler nicht zu beeinflussen“, verteidigte er sich.
Unterdessen waren die Ägypter noch damit beschäftigt, herauszubekommen, wer nun eigentlich ihr nächster Präsident sein wird – der Muslimbruder Mursi oder der letzte Premierminister der Regierung Mubarak, Ahmed Schafik.
Dessen Wahlkampfleitung erklärte „ohne jeden Zweifel“ Schafik mit 51 Prozent der Stimmen zum Sieger. Dem waren allerdings die Wahlkampfleiter des Muslimbruders Mursi zuvorgekommen, die schon um 6 Uhr morgens ihrem Kandidaten 52 Prozent der Stimmen zusagten.
Nun ist sechs Uhr morgens normalerweise keine Feierzeit in Ägypten. Aber am Montag machten einige hundert von ihnen eine Ausnahme. Die Sonne stand noch tief über dem Nil, da trafen sie sich die Anhänger Mursis bereits zu einer Siegesfeier.
Offizielle Ergebnisse lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor, aber aus anderen unterschiedlichsten Quellen war zu vernehmen, dass Mursi nach Auszählung des Großteils der Wahlbezirke 52 Prozent der Stimmen gewonnen habe. Die oberste Wahlkommission warnte allerdings davor, die nicht offiziellen Ergebnisse ernst zu nehmen.
„Mursi hat den Kursi“
Da wirkte das morgendliche Treffen auf dem Tahrirplatz fast wie ein Präventivschlag, um zu verhindern, dass die andere Seite, der Mubarak-Mann Ahmed Schafik, mit unlauteren Mitteln doch noch den Sieg für sich beanspruchen könnte. Begeistert riefen die Demonstranten: „Mursi hat den Kursi“, wie „Stuhl“ auf Arabisch heißt. Mit Mursi-Plakaten und ägyptischen Fahnen kletterten die Jugendlichen auf die Dächer der öffentlichen Staatbusse, um an einer Triumphfahrt quer über den Tahrir teilzunehmen.
„Ich bin sehr glücklich, dass Mursi das Rennen gemacht hat. Die Revolution hat uns ein Ergebnis gebracht. Stellen wir uns vor, Schafik wäre es geworden? Dann hätte das alte System uns von Neuem unter die Fuchtel genommen“, erklärte die feiernde Nihad Abdallah, die eine Elektrogeräte-Firma leitet.
„Mursi ist der erste frei gewählte zivile Präsident Ägyptens nach 62 Jahren Militärdiktatur“, freut sich die Hausfrau Intisar Naggar und fügt ein – angesichts des Wahlsiegs des Islamisten etwas süffisantes – „Wir sind jetzt demokratisch wie der Westen“ hinzu.
„Mursi, als Chef der Exekutive, hätte allerdings ein echtes Problem“, sagt der ägyptische Politologe Baschir Abdel Fattah im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wenn er nicht mit dem Militär kooperiert, werden ihm die staatlichen Institutionen und allen voran das Innenministerium und die Polizei die Gefolgschaft verweigern“. Er müsse aber gleichzeitig möglichst schnell für Sicherheit, Ordnung und Arbeitsplätze sorgen, sonst werde er sicher sehr schnell den Ärger der Ägypter auf sich ziehen, die dann gegen ihn auf die Straßen gehen werden.
Abdel Fattah fasst die Zwickmühle, in der ein neuer ägyptischer Präsident namens Mursi stecken würde, zusammen. „Der Schlüssel zum Staatsapparat liegt beim Militär und dort muss ihn sich Mursi zu den Bedingungen der Generäle abholen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid