Ägypten geht gegen Studenten vor: Im Knast wegen Palästina-Solidarität
Weil sie sich solidarisch mit Palästina gezeigt haben, sitzen dutzende Ägypter in Haft. Zwei Instagram-Nutzern wird Terrorunterstützung vorgeworfen.
Den beiden Studenten wird der Beitritt zu einer Terrororganisation und die Veröffentlichung falscher Nachrichten vorgeworfen. Mazens privater Instagram-Account ist nicht mehr online. „Wir wissen nicht, wer Mazens Account deaktiviert hat“, berichtet Mariem Mohamed, die seit der Festnahme vor zwei Wochen keinen Kontakt mehr zu ihrem Freund hat. Sicherheitskräfte überfielen die beiden Studenten am 8. und 9. Mai gewaltsam, bevor es überhaupt zu einem offiziellen Haftbefehl kam, wie Mada Masr berichtet, die einzige noch bestehende kritische Nachrichtenplattform in Ägypten.
„Mazen hatte bereits zuvor etwa 6.500 Follower auf seinem privaten Instagram-Account und teilte die neu erstellte Seite der Studentenbewegung dort, damit die Inhalte mehr Menschen erreichen“, erzählt Mariem Mohamed, die in Innsbruck Erziehungswissenschaften studiert. Mazen Ahmed Deraz hat sie durch ihre Besuche in Kairo, der Heimatstadt ihrer Eltern, kennengelernt.
Die Instagram-Seite der Studentenbewegung ist erstaunlicherweise weiter einsehbar. Dort wird auch in einem Post gefordert, die beiden Studenten freizulassen. Auch wird betont, dass die Solidarität der Studentenbewegung mit den Palästinenser*innen keine Gefahr für Ägypten darstelle.
Die ägyptische Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit hat vorerst eine 15-tätige Inhaftierung der beiden Studenten angeordnet, die jedoch verlängert werden kann. Am Sonntag ist Mazen Ahmed Deraz 21 Jahre alt geworden. Noch vor wenigen Tagen ahnte er nicht, dass er seinen Geburtstag in Haft verbringen würde.
120 Festnahmen im Zusammenhang mit Palästina
Die Position des ägyptischen Regimes unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi zum israelischen Krieg gegen die Hamas bleibt ambivalent. In derselben Woche, in der Mazen Ahmed Deraz und Zeyad al-Bassiouny festgenommen wurden, kündigte Kairo an, sich der Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) anzuschließen. Südafrika wirft Israel vor, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen.
Zugleich wurden seit Kriegsbeginn mindestens 120 Ägypter*innen aufgrund ihrer Solidarität mit den Palästinenser*innen und vermeintlicher Terrorunterstützung festgenommen. Mindestens 90 Personen befinden sich weiter in Untersuchungshaft, darunter mindestens zwei Minderjährige. Dies geht aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights hervor, der Anfang Mai veröffentlicht wurde.
„Ich glaube nicht, dass die beiden Studenten aufgrund ihrer Solidarität mit Palästina inhaftiert wurden, sondern weil sie die Studentenbewegung gegründet haben“, sagt Mariem Mohamed in Innsbruck. „Das Regime al-Sisis fürchtet, dass sich jede Protestbewegung irgendwann auch gegen ihn richten könnte.“
Sisi-Regime unter Druck
Seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen 2007 haben Israel und Ägypten, die 1979 miteinander Frieden schlossen, die Bewegungsfreiheit und den Zugang von Gütern und Personen in und aus dem Gazastreifen massiv eingeschränkt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Kritik an Israels Vorgehen sieht sich das Regime in Ägypten mit dem Vorwurf konfrontiert, für die humanitäre Krise in dem Küstenstreifen mitverantwortlich zu sein.
Aktuell befinden sich die israelisch-ägyptischen Beziehungen allerdings auf einem Tiefstand, weil Israel die Bodenoffensive in Rafah vorantreibt. Neben der Sorge vor einem Zustrom palästinensischer Flüchtlinge auf die ägyptische Sinai-Halbinsel befürchtet das Sisi-Regime auch, dass das Unbehagen in der eigenen Bevölkerung zunimmt.
Der Anschluss Ägyptens an Südafrikas Genozid-Klage vor dem IGH dürfte daher von symbolischer Natur sein, auch um Israel zu verdeutlichen, dass man sich nicht an einer möglichen Massenvertreibung beteiligen werde. Die Widersprüchlichkeit der ägyptischen Politik in Bezug auf den Gazakrieg zeigt das Dilemma, in dem sich die Regierung in Kairo befindet.
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