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Acker-Besetzung in HessenWo Protest wächst

Seit über einem Jahr halten in Hessen Aktivisten einen Acker besetzt. Sie wollen ein Logistikzentrum verhindern – den Investor haben sie vergrault.

Seit einem Jahr besetzt: Acker in Hessen Foto: Acker bleibt! 2019

Göttingen taz | 235 Kilometer sind es bis Gorleben, 328 bis in den Hambacher Forst. Rojava, die halb-autonome Kurdenregion in Nordsyrien, ist von hier aus 3.534 Kilometer entfernt. So jedenfalls steht es auf dem bunten Wegweiser, den jemand am Rand des Besetzer-Dorfes in den Boden gerammt hat. Das Camp auf einem Acker am Ortsrand von Hebenshausen an der hessisch-niedersächsischen Landesgrenze ist zu einem etwas unübersichtlichen Gewirr von Holzhütten, Bauwagen, Zelten und Gewächshäusern herangewachsen. Ein gutes Jahr ist es her, seitdem eine Gruppe Aktivisten dieses Stück Boden besetzt hat. Sie wollen verhindern, dass auf dem Acker ein 80 Hektar großes Logistikzentrum errichtet wird.

Die überwiegend jungen Leute, darunter Studierende aus Witzenhausen und Göttingen, haben mittlerweile eine Feldküche, eine „Spülstraße“, eine Werkstatt und einen Fahrradschuppen gebaut. Und es gibt ein großes Zirkuszelt für Veranstaltungen und Versammlungen. Ein zehn Meter hoher Holzturm überragt die alternative Siedlung.

An den Wänden der Hütten fordern Transparente eine Agrarwende und mehr Klimaschutz. Besonders stolz sind sie hier auf einen selbst gebauten Ton-Ofen. „Hier backen wir abends öfter mal Pizza“, erzählt Luca Rosenberg, einer der Besetzer.

Das geplante Logistikzentrum würde wertvollen und allerbesten Ackerboden versiegeln, argumentieren die Besetzer. Die dafür geplante Fläche entspricht rund 100 Fußballfeldern, die mit 16 Meter hohen Hallen für Onlinefirmen und Paketzusteller bebaut werden sollten. Hunderte, wenn nicht Tausende Lastwagen würden dann täglich be- und entladen. „Wir schützen den Acker auch vor der zerstörerischen Privatisierung“, sagt Rosenberg.

Investor ist abgesprungen

Bislang ist der Protest erfolgreich. Im Januar beschloss der Rat der hessischen Gemeinde Neu-Eichenberg, zu der Hebenshausen zählt, die Planungen für den Logistikpark für ein halbes Jahr auf Eis zu legen. Kurz zuvor war der Investor, die Dietz AG aus Südhessen, abgesprungen.

„Das Projekt in Neu-Eichenberg betrachten wir (...) für uns als beendet und stehen hier nicht mehr zur Verfügung“, schreibt das Unternehmen. Und weiter: „Maßnahmen der Verfahrensgegner haben dazu beigetragen, dass der Standort für den potenziellen Nutzerkreis – um es positiv zu formulieren – enorm an Attraktivität eingebüßt hat.“

„Widerstand lohnt sich also“, sagt Aktivistin Ida Bauer. Anfangs von den Nachbarn in Hebenshausen kritisch beäugt und von einigen sogar beschimpft, bekämen die Besetzer aus dem Dorf inzwischen vielfach Unterstützung. „Wir bekommen Lebensmittel geschenkt und umsonst Holz geliefert“, sagt Bauer. „Von anderen Anwohnern kriegen wir Strom und Wasser.“

Die Aktivisten revanchieren sich mit „Mitmach-Tagen“: Nachbarn können den Acker nutzen, um selbst Lebensmittel anzubauen.

Neben den Besetzern ist vor Ort schon länger die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg“ gegen das Logistikzentrum aktiv. Sie setzt vor allem auf Arbeit in den Gremien, Petitionen und klassische Öffentlichkeitsarbeit. „Wir ergänzen uns sehr gut“, findet Bauer. Die BI habe in den vergangenen Jahren viel erreicht, „dann kamen wir und haben den Protest auf eine neue Stufe gehoben“.

Plan für eine agrarökologische Alternative

Gewonnen ist der Kampf allerdings noch längst nicht. Aber das Moratorium bietet eine Chance, ernsthaft nach Alternativen für die Nutzung des Ackers zu suchen. Über zwei Ideen hat der Gemeinderat bereits kurz beraten. Eine sieht den Bau eines Solar-Parks vor. Der durch Photovoltaik erzeugte Strom würde vor Ort gespeichert, entstehende Abwärme zu Heizzwecken genutzt. Bei den Besetzern stößt das auf Ablehnung.

„Auch dieser Vorschlag sieht ein 15 Hektar großes Gewerbegebiet inklusive Bodenversiegelung vor“, sagt Bauer. Außerdem werde das Land privatisiert: „Grüner Kapitalismus ist keine Alternative.“

Dem gegenüber steht das Konzept der Initiative „Land schafft Zukunft“, in der sich Studierende mit Praktikern aus Landwirtschaft und Gartenbau zusammengeschlossen haben, um eine agrarökologische Alternative für die 80 Hektar zu entwerfen: Das Modell vereint nachhaltige Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Wohnen, Bildung sowie Umweltschutz. Durch ein Nebeneinander von Baumpflanzungen, Gemüseanbau und Saatgutproduktion bliebe die Bodenqualität erhalten.

„Das entspricht inhaltlich dem, was wir hier schon betreiben“, sagt Ida auf einem Rundgang durch die von den Besetzern angelegten Beete. In langen Reihen haben sie Mais, Bohnen, Kürbisse, Erbsen und Möhren gesät, Kartoffeln und Zwiebeln gesetzt. „Wir bewirtschaften hier insgesamt 0,7 Hektar“, erzählt eine junge Frau, die mit Spaten und Hacke in der braunen Erde buddelt.

Die Situation ist in der Schwebe, im weiteren Verfahren mischen viele Beteiligte mit. Der Acker gehört dem Land Hessen, vermarktet wird die Fläche nebst zugehöriger Domäne von der Hessischen Landgesellschaft (HLG). Ob diese ihre Bemühungen in der Planungspause weitertreibt, ist unklar.

Die HLG hat auch die bisherigen Planungskosten in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro bezahlt. Sollte es nichts werden mit dem Logistik-Park, könnte die HLG das Geld zurückfordern, befürchtet die Gemeinde. Sie ist für den Bebauungsplan zuständig – und muss letztendlich die Entscheidung treffen.

Herrschaftsfreier Raum

Die Besetzer wollen auf jeden Fall bleiben. Neben dem politischen Widerstand leben sie hier ein Stück weit ihren Traum von einem anderen Zusammenleben, einem anderen, kollektiven Wirtschaften. „Wir versuchen, hier einen herrschaftsfreien Raum zu schaffen“, sagt Rosenberg. „Einen selbst organisierten Ort, der von der Offenheit lebt.“

Unterstützung sei jederzeit willkommen, jede und jeder könne sich im Protestcamp einbringen mit Ideen und Projekten. „Wir haben sogar Internet hier“, sagt Rosenberg dann noch. „Man kann hier also auch Homeoffice machen.“

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17 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Bei der Lektüre der vorliegenden Posts ist mir - von rühmlichen Ausnahmen abgesehen - der Eindruck entstanden, Kritik und Gegnerschaft stünden im Vordergrund.

    Dabei soll es nicht bleiben. Auch die Stimme der Sozialromantik (ein Stiefkind in diesen Zeiten) soll Gehör finden. Durch mich.

    Gut so. Weitermachen. Für mich hat der Bericht über das Projekt (von dem Ort habe ich als Hesse noch nie gehört) das Herz geöffnet. Ich finde es wichtig, mehr über solche Initiativen zu berichten.

    Als assoziativer Mensch musste ich an die frühen Asterix denken. Ein Dorf in Gallien und die Herrschaft der Römer. :-)

  • "Herrschaftsfreier Raum"

    Nur gut, dass die Logistikfirma die Fläche nicht als "Herrschaftsfreien Raum" angesehen hat, wo sie unabhängig von Gesetz, Planungen und dem Rest der Menschheit in Hessen schalten und walten kann wie sie will.

    Ist bei den Aktivisten denn zumindest eine Bürgerbeteiligung mit eingeplant? Wo sind die Pläne ausgelegt?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das mit der Logistik hat sich erledigt. Ohne Corona hätten sie es allerdings einfach woanders gebaut.

  • Mit dem Argument Bodenversiegelung müssten die dann ja eigentlich gegen jede Art von Neubau sein und der Hauptgegner dürfte dann auch nicht die Industie sondern Wohnsiedlungen sein, da sich die Menschen in Wohnsilos mit viel weniger Flächenverbrauch unterbringen lassen als in einem auch energetsich reichlich ineffizientem Einfamilienhaus.

    • @Ingo Bernable:

      Das hat mich auch gewundert, dass die Aktivisten selber Bodenversiegelungen mit klimatisch schädlichen Bauweisen planen.

  • Interessiert diese Menschen der Boden, oder wollten sie einfach nur einen " großen " zum Feindbild machen ? Der Boden kann es nicht sein, da in Hessen für jede solche Bebauung Ausgleichsflächen bereit gestellt werden müssen.



    umwelt.hessen.de/u...ation/kompensation



    Also haben sie durch ihre Aktion verhindert das Arbeitsplätze geschaffen werden und die Gemeinde Gewerbesteuer erhält. Da machen sich jetzt praktisch ein paar Jugendliche schöne Tage auf Wiederrechtlich besetzten Boden, irgendwann wird ihnen das zu langweilig, sie gehen wieder und die Gemeinde bleibt auf dem Schaden sitzen. Da kann man nur Gratulieren.

    • @Günter Witte:

      Es werden in den allerseltensten Fällen Böden als Ausgleich wieder entsiegelt. umwelt.hessen.de/u...heninanspruchnahme

      • @Rudolf Fissner:

        Es geht nicht um Entsiegelung, sondern um Ökologische Ausgleichsflächen für das zu bebauende Gebiet.



        Das man viele ungenutzte Industrieruinen, zugepflasterte, asphaltierte Flächen renaturieren könnte, steht auf einem anderen Blatt.

        • @Günter Witte:

          Das sind keine Ausgleichsmaßnahmen, das sind sogenannte Ersatzmaßnahmen. Ausgleich für Bodenversieglung wäre Entsiegelung an anderer Stelle. Die findet aber i.d.R. niemals statt. Es werden daher weiterhin in Hessen stumpf täglich 3 ha Fläche versiegelt.

      • @Rudolf Fissner:

        Es geht nicht um Entsiegelung, es geht darum das für die für den Bau benötigte Fläche andere Flächen als Ausgleich in Naturschutzmaßnahmen bereitgestellt werden.

    • @Günter Witte:

      Ja, weil Kompensationen ja auch so wunderbar funktionieren?!

      "Der Boden kann es nicht sein, da in Hessen für jede solche Bebauung Ausgleichsflächen bereit gestellt werden müssen."



      Dazu hätten Sie evtl Ihren Link einmal vollständig lesen sollen. Dort heißt es nämlich:



      "Sind Ausgleich oder Ersatz nicht möglich, so fordert § 15 BNatSchG eine Ersatzzahlung, die für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege an anderer Stelle verwandt werden soll."



      Wird also keine geeignete Ausgleichsfläche gefunden, zahlt man einfach und ist fein raus.

      In Ihrem Link heißt es nämlich auch:



      "... Einführung der Möglichkeit, Kompensationspflichten an Dienstleister („Ökoagentur“) zu übertragen."



      Das ist dann wieder so ein Pseudo-Rumkompensieren wie atmosfair und Co.

      Dem Planeten wirds nicht besser gehen, wenn wir nur ein paar Euros lustig rumschubsen und denken, wir könnten ansonsten weitermachen wie bisher.

  • "Unterstützung sei jederzeit willkommen, jede und jeder könne sich im Protestcamp einbringen mit Ideen und Projekten."

    Wie wärs denn damit: kauft euch den Acker, anstatt ihn einfach zu klauen, äh..... meine natürlich zu "besetzen"?

    Wieso werden einfach sämtliche Gesetze außer Kraft gesetzt, wenn mal wieder irgendwelche ungewaschen, verwöhnten und kriminellen "Weltverbesserer" zur Tat schreiten?

    "„Wir bewirtschaften hier insgesamt 0,7 Hektar“, erzählt eine junge Frau, die mit Spaten und Hacke in der braunen Erde buddelt."

    Welch eine Leistung! Überarbeitet euch bloß nicht...........

    • @Tobias Schmidt:

      Da Sie hier andern so einfach unterstellen, "ungewaschen und verwöhnt" zu sein, unterstelle ich Ihnen jetzt einfach mal, noch nie in Ihrem Leben 0,7 Hektar (alleine oder gemeinschaftlich) bewirtschaftet zu haben. Obs stimmt, keine Ahnung, aber muss ich nach Ihrer Logik ja offensichtlich auch nicht!

      • @Conor:

        Ok, das sehe ich ein. Das "ungewaschen" war wirklich unhöflich. Das nehme ich zurück und entschuldige mich dafür.

        Aber zum Rest stehe ich weiterhin, denn ich bin es wirklich leid.

        Angenommen irgendwelche rechtradikalen Spinner würden z.B. eine geplante Flüchtlingsunterkunft besetzen. Würde man das auch tolerieren? Sicherlich (und hoffentlich....) nicht. Und das wäre auch vollkommen richtig so.

        Warum toleriert man also all die anderen, zwar gutgemeinten aber letztlich oft mehr Schaden als Nutzen anrichtenden Aktionen?

        Wo ist die Rechtsstaatlichkeit, wenn der Zweck die Mittel heiligt?

  • RS
    Ria Sauter

    So gute Nachrichten. Bitte mehr davon!



    Die Besetzer aus Göttingen und Witzenhausen waren schon beim verhindern der grünen Gentechnik dabei und erfolgreich.



    Wünsche viel Erfolg!

    • @Ria Sauter:

      Mit der gleichen Selbstgerechtigkeit versuch(t)en andere Bürger*innen die Ansiedlung von Flüchtlingsunterkünften zu verhindern. Jede*r pflegt halt so ihren/seinen Egoismus. Soll man da viel Erfolg wünschen?

      • @gradselääds:

        Woher diese ganzen Nazi-Vergleiche? Es ist doch ethisch ein gewaltiger Unterschied, ob man sich gegen die Zerstörung natürlicher Ressourcen und für gesunde Böden oder gegen vor Krieg und Armut geflohene Menschen und für Fremdenfeindlichkeit einsetzt.



        Der Unterschied dürfte doch ganz einleuchtend sein.