Abtreibungsdebatte in Argentinien: Mehrheit der grünen Tücher

Argentiniens Parlament stimmt für eine Reform des strikten Abtreibungsverbots. Befürworter*innen jubeln draußen. Der Senat muss noch zustimmen.

Mehrere Frauen mit grünen Halstüchern vor dem Gesicht halten sich die Hände

Banges Warten vor Argentiniens Parlament während der 20-Stunden-Debatte zur Abtreibung Foto: rtr

BUENOS AIRES taz | Argentiniens Parlament hat für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts gestimmt. 131 Abgeordnete votierten am Freitagmorgen mit Ja, 117 mit Nein – bei sechs Enthaltungen. Vorausgegangen war eine 20-stündige Debatte. Für und Wider gingen dabei quer durch die Parteien.

Mit diesem Votum hat das neue Abtreibungsgesetz die erste parlamentarische Hürde genommen. Jetzt muss die Senatskammer entscheiden. Vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires jubelten die Befürworter*innen der Liberalisierung, deren grünes Halstuch, das die Kampagne für das Recht auf sichere, legale und kostenfreie Abtreibung zu ihrem Emblem gemacht hatte, in ganz Lateinamerika zum Symbol für den Kampf um Frauenrechte geworden ist. Bei sommerlichen Temperaturen hatten Tausende die Debatte begleitet. Bis zum frühen Morgen hatten beide Seiten Mahnwachen abgehalten. Coronabedingt waren jedoch weit weniger Menschen gekommen, als erwartet wurden.

Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch in Argentinien nur erlaubt, wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist oder das Leben der Mutter in Gefahr ist. Sollte der Senat zustimmen, wäre ein legaler Schwangerschaftsabbruch bis einschließlich der 14. Woche der Schwangerschaft möglich. Nach diesem Zeitraum wäre ein Abbruch nach einer Vergewaltigung erlaubt oder wenn das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Person in Gefahr ist.

Vor allem jungen Menschen hatten sich vor dem Kongressgebäude versammelt. Für viele war es auch ein Wiedersehen, denn die in den vergangenen Jahren massiven Demonstrationen auf den Straßen und Plätzen fanden seit Beginn der Coronapandemie nur eingeschränkt statt. Um Zwischenfälle zu vermeiden, war der Platz durch massive Absperrgitter zweigeteilt. Polizist*innen achteten darauf, dass sich niemand auf der Gegenseite verirrte oder einschlich.

350.000 illegale Abtreibungen im Jahr

Die Parlamentsdebatte hatte am Donnerstagvormittag begonnen. Wer wollte, konnte sie auf Großbildschirmen auf dem Platz vor dem Gebäude verfolgen. Wirklich Neues war dabei nicht zu hören. Die Meinungen und die Argumente sind seit langem ausgetauscht. Vor zwei Jahren hatte der Kongress schon einmal über die Reform des Abtreibungsverbots debattiert. Nahezu die ganze Gesellschaft war mobilisiert. Hunderttausende gingen für und gegen die Liberalisierung auf die Straßen. Das Vorhaben scheiterte letztlich an der knappen Ablehnung des Senats.

Präsident Alberto Fernández hatte Mitte November den neuen Reformvorschlag eingebracht. „Die Kriminalisierung der Abtreibung hat nur dazu geführt, dass sie heimlich stattfinden, die Zahlen sind besorgniserregenden“, konstatierte Alberto Fernández. Die Zahl der sogenannten illegalen Abtreibungen wird auf 350.000 im Jahr geschätzt.

„Der Präsident hat dem Kongress vorgelegt, was er im Wahlkampf versprochen hatte“, erklärte Staatssekretärin Vilma Ibarra, die für die rechtliche Ausformulierung von Gesetzesvorlagen zuständig ist und damit ein im argentinischen Kabinett enorm wichtiges Amt innehat. „Wer auch immer im vergangenen Jahr für Fernández gestimmt hat, wusste das“, so Ibarra.

Nach Umfragen ist eine Bevölkerungsmehrheit für die Reform. Dass die Abgeordneten am Donnerstag zum ersten Mal seit März wieder im Plenarsaal persönlich anwesend waren, zeigt, welchen hohen Stellenwert die Entscheidung auch diesmal hatte. Wegen der Coronapandemie fanden alle bisherigen Sitzungen nur virtuell statt. Allerdings duften nur Mandatsträger*innen ihren Platz einnehmen, die keiner Risikogruppe angehören. Alle anderen waren virtuell zugeschaltet. Noch in diesem Jahr soll der Senat über die Abtreibungsreform abstimmen.

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