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Abtreibung in den USAChance für chancenloses Gesetz?

Die De­mo­kra­t*in­nen wollen wegen eines drohenden Urteils des Supreme Courts ein nationales Abtreibungsrecht. Doch die nötigen Stimmen fehlen.

„Never again“: Protest für das Recht auf Abtreibung vor dem Obersten Gerichtshof in Washington Foto: Jacquelyn Martin /dpa

New York taz | Die De­mo­kra­t*in­nen von US-Präsident Joe Biden wollen im US-Senat über ein Gesetz abstimmen, das ein Recht auf Abtreibung national verankern würde. Das Votum ist für Mittwoch angesetzt. „Wir werden sehen, wo je­de*r einzelne Se­na­to­r*in steht“, erklärte Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat.

Es ist ein eigentlich chancenloses Gesetz: Die De­mo­kra­t*in­nen haben nach wie vor nicht genug Stimmen auf ihrer Seite, um die Blockade der Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen zu durchbrechen. Doch nach Hinweisen, dass der Supreme Court die Abtreibungsfreiheit in den USA bald kippen könnte, setzt Bidens Partei im Wahlkampf um die Halbzeitwahlen im November auf das Thema.

Ein durchgestochener Urteilsentwurf hatte in der vergangenen Woche bestätigt, wovor Frau­en­recht­le­r*in­nen lange gewarnt hatten: Demnach dürfte das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten das Grundsatzurteil Roe v. Wade kippen, das in den USA bisher ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch bis in etwa zur 24. Woche garantiert.

Laut Gerichtspräsident John Roberts handelt es sich noch nicht um eine finale Entscheidung – doch birgt der Entwurf massiven Sprengstoff. In vielen republikanisch regierten Bundesstaaten würden damit heftige Einschränkungen für die Wahlfreiheit ungewollt Schwangerer eintreten – bis hin zu fast kompletten Abtreibungsverboten. Mississippis Gouverneur Tate Reeves kündigte gerade erst ein entsprechendes Gesetz an.

De­mo­kra­t*in­nen finden ihr Wahlkampfthema

Dabei ist eine Mehrheit der US-Amerikaner*innen für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch: Nach Daten des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center halten die meisten der Be­für­wor­te­r*in­nen zwar einige Einschränkungen etwa zum Zeitpunkt der Abtreibung für richtig – doch grundsätzlich finden 61 Prozent der US-Erwachsenen, dass Schwangerschaftsabbrüche in den meisten oder in allen Fällen legal sein sollten.

Hier stoßen nun Bidens De­mo­kra­t*in­nen vor: Sie stürzen sich unter anderem auf das Argument, dass eine republikanische Mehrheit im Kongress nach den Halbzeitwahlen womöglich ein bundesweites Abtreibungsverbot durchsetzen könnte – sollte der Supreme Court so entscheiden wie im geleakten Entwurf und einen solchen Vorstoß ermöglichen. Mitch McConnell, der Minderheitsführer der Republikaner im US-Senat, servierte den De­mo­kra­t*in­nen diese Stoßrichtung gerade erst in einem Interview mit USA Today, in dem er ein bundesweites Verbot in diesem Fall für „möglich“ erklärte.

Die Partei des US-Präsidenten braucht auch dringend ein Thema, mit dem sie sich absetzen kann: Umfragen sehen bei den Halbzeitwahlen im November die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen vorn, Be­ob­ach­te­r*in­nen warnen vor einem Debakel.

Im Kontext des Wahlkampfs ist nun auch die Abstimmung am Mittwoch zu sehen: Ein ähnlicher Versuch, das Recht auf Abtreibung bundesweit gesetzlich zu verankern, war nämlich erst vor wenigen Monaten schiefgegangen – seitdem hat sich nichts an den Mehrheitsverhältnissen geändert.

Die De­mo­kra­t*in­nen haben 50 Stimmen, die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen haben 50 Stimmen, aber in einer Pattsituation kann die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris als Senatspräsidentin mit ihrer Stimme zu einer Mehrheit verhelfen. Allerdings können die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen mit einem sogenannten Filibuster (Dauerrede) eine Blockade herstellen – um die Debatte zu beenden, braucht es 60 Stimmen, die die De­mo­kra­t*in­nen nicht zusammenkriegen.

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3 Kommentare

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  • Man darf hier meines Erachtens zwei Dinge nicht miteinander verwechseln. Das eine ist, ob sich aus der US Verfassung ein Grundrecht auf Privatsphäre (und dadurch auf Abtreibung) ergibt. Bei der Struktur der US Verfassung (Philosophischer Text mit angehängten Grundrechten), ist das schwierig zu begründen.

    Das andere ist ein generelles Abtreibungsverbot in Amerika. Wenn ich den Entwurf von Alito richtig gelesen habe, würde man es an die Bundesstaaten zurückgeben. Das bedeutet hingegen nicht, dass es keine legale Abtreibung mehr geben würden. In Staaten wie Californen würde es sicher Regelungen geben, in anderen eher nicht. (Bible Belt)

    Man darf hier auch nicht vergessen, dass das nicht passiert wäre, wenn RBG rechtzeitig zurückgetreten wäre, (So, wie Richter Breyer, z.B. im ersten Teil der zweiten Amtszeit von Obama). Wenn die Demokraten sich darüber einen, könnten Sie die MidTerms doch gewinnen und dann ggf. einiges verändern.

  • Die Filibuster sind ein gutes Besipiel dafür was für ein Affentheater in den USA unter Demokratie verstanden wird.

    Ein Senator der bei der Rede die Kochrezepte von der Oma vorließt und einen eimer zum scheißen bereit halten lässt, damit er die Rede nicht unterbrechem braucht, sollte er mal müssen ...

    Längste "Rede" im Senat: 24h 18min. Nur um die Wahlrechtsbeschränkungen von Afroamerikanern möglichst lange aufrecht zu erhalten...



    Insg. Dauer der Blockade durch Republikaener: 60 Tage.

    Wäre also auch eine Option der Demokraten. Mit Decken und Kissen eindecken, im Saal schlafen und einfach die Republikaner labern lassen, bis diese irgend wann nicht mehr können.

  • Die wahrscheinlich interessanteste Information fehlt: Wie würde so ein neues Gesetz der Demokraten denn die Abtreibungsfrage regeln? Ab welchem Zeitpunkt oder nach welchen Kriterien würde dem Ungeborenen ein eigenes Lebensrecht zugesprochen?

    Und: Egal, welches Bundesgesetz die Demokraten im Kongress verabschieden - vor dem Supreme Court landet es schließlich doch wieder, weil die Reps dagegen klagen werden.