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Macron 2019: Kein Frieden in Europa ohne Rußland - de Gaulle läßt grüßen
Es ist schon erstaunlich, wie lieb man plötzlich Macron im Lager der deutschen Bellizisten hat. Das war nicht immer so, v. a. als er sich als rußlandpolitischer Querdenker gerierte und diesbezügliche Dissonanzen zur NATO an die große Glocke hängte wie etwa in seiner berühmten, hierzulande verschämt beschwiegenen Rede vor der Botschafterkonferenz am 27. 8. 2019 in Paris. Damals war der französische Präsident bereit, den russischen Vorschlag für ein Moratorium für nukleare Mittelstreckenraketen zu prüfen - im Widerspruch zur NATO, die diesen Vorschlag ungeprüft in die Tonne getreten hatte. Für ihn sei „es ein tiefer strategischer Irrtum, Rußland von Europa wegzustoßen, weil wir Rußland dann entweder in eine Spannung steigernde Isolierung oder in ein Bündnis mit anderen Großmächten wie China treiben, was keineswegs unser Interesse ist.“ Man müsse „eine neue Vertrauens- und Sicherheitsarchitektur schaffen,“ denn Europa werde „niemals in Sicherheit sein, wenn wir nicht unsere Rußlandbeziehungen pazifizieren und klären.“ („Je pense que pousser la Russie loin de l'Europe est une profonde erreur stratégique parce que nous poussons la Russie soit à un isolement qui accroît les tensions, soit à s'allier avec d'autres grandes puissances comme la Chine, qui ne serait pas du tout notre intérêt. Je crois qu'il nous faut construire une nouvelle architecture de confiance et de sécurité en Europe, parce que le continent européen ne sera jamais stable, ne sera jamais en sécurité, si nous ne pacifions pas et ne clarifions pas nos relations avec la Russie.“ (Quelle: Élysée-Palast, eigene Übersetzung)
Solche Positionen, fünf Jahre nach der Sezession der Krim und deren Inkorporation in die Russische Föderation, stehen vorsichtig in gewisser Kontinuität zur de Gaulle‘schen Politik der „Äquidistanz“ und dessen Europa-Vorstellung „vom Atlantik bis zum Ural“. Dafür wurde Macron hierzulande ans Kreuz genagelt.
Gibt es in Frankreich Umfragen zum Thema Unterstützung der Ukraine?
Israels „begrenzte Bodenoffensive“ im Libanon birgt immense Gefahren. Nicht nur Iran steigt in den Krieg ein. Die Welt schaut ohnmächtig zu.
Abstimmung über Macrons Ukraine-Abkommen: Truppen für die Wahlkampffront
Macron lässt die Nationalversammlung über sein Ukraine-Abkommen abstimmen. Dabei geht es aber nicht um Legitimation, sondern um den EU-Wahlkampf.
Treibt auch politische Spielchen: Frankreichs Präsident Macron Foto: Gonzalo Fuentes/reuters
Natürlich war es eine Provokation, als Macron im Anschluss den Ukraine-Gipfel die mögliche Entsendung französischer Soldaten an die Front in der Ukraine vage in Erwägung zog. Wladimir Putin nimmt diese Drohung kaum ernst. Dafür benutzt er sie, um vor den russischen Präsidentschaftswahlen seine Aggression gegen die Ukraine innenpolitisch zu rechtfertigen und sich als Schutzherr von Großrussland aufzuspielen.
Aber auch Macron treibt politische Spielchen: Er wollte vor dem Publikum im In- und Ausland Eindruck schinden und mit seinem martialischen Tonfall davon ablenken, dass Frankreich der Ukraine bisher weit weniger geholfen hat als Deutschland und andere Verbündete.
Seine Provokation schürt indes eine sehr konkrete Angst vor einer Expansion des Konflikts. Dabei hat Macron weder die Absicht noch die personellen Mittel, den russischen Imperator auf dem Schlachtfeld herauszufordern. Seine Drohung mit einer Eskalation der Intervention ist zur Hauptsache Teil einer politischen Strategie im Hinblick auf die EU-Wahlen. Macron schickt seine „Truppen“ nicht in die Schützengräben der Ukraine, sondern an die Wahlfront.
Allen Umfragen zufolge wird die Liste seines Regierungslagers im Juni eine schwere Niederlage einstecken, mit Abstand vorne liegt der Rassemblement National von Marine Le Pen. Und deren Sympathien für Putin sind ihr wunder Punkt – und darum der erfolgversprechendste Angriffswinkel für Macron: Wer nicht für ihn und seine Kriegspolitik ist, steht auf der Seite von Putin – so vereinfacht Macron die Konstellation, um die rechtsextreme Opposition an den politischen Rand zu drängen.
Dieser Wahlstrategie und nicht etwa dem Bemühen um parlamentarische Mitbestimmung diente die Ukraine-Debatte und die Abstimmung in der Nationalversammlung über das bilaterale Abkommen. Linke Pazifisten, die Macron dabei keinen Blankoscheck für eine allfällige Eskalation erteilen wollten und dagegen stimmten oder sich enthielten, werden so als Putin-Freunde abgestempelt und angeprangert und mit rechtsextremen Nationalisten in denselben Topf geworfen.
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Kommentar von
Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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