Abschiedsinterview Polizeipräsident Glietsch: "Polizisten sind nicht zur Kameraderie verpflichtet"
Dieter Glietsch hat neun Jahre lang die Berliner Polizei geleitet, jetzt geht er in Pension. Er ist sich sicher, dass die Behörde nach seiner Amtszeit besser dasteht.
taz: Herr Glietsch, seit 2002 haben Sie an der Spitze der Berliner Polizei gestanden. Machen Sie drei Kreuze, das alles vorbei ist?
Dieter Glietsch: Ganz im Gegenteil. Etwas Schöneres als dieses Amt hätte ich mir für meine letzten neun Dienstjahre nicht vorstellen können.
Haben Sie in Ihrem Kalender schon die nächsten sieben Kongresse zur Sicherheitspolitik vermerkt?
Der 64-jährige Polizeipräsident wird am heutigen Freitag von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) in den Ruhestand verabschiedet. Glietsch war seit 2002 im Amt.
Schon Glietschs Vater war Polizist. Er selbst trat als 17-Jähriger in Nordrhein-Westfalen in den Dienst ein und arbeitete sich dort vom Wachtmeister zum Inspekteur der Landespolizei hoch, bevor er nach Berlin wechselte.
Glietschs Nachfolge ist heftig umstritten. Am Montag übernimmt seine Stellverterterin Margarte Koppers die Leitung der Berliner Polizei kommisarisch.
Nein. Sicherheitspolitik war ein Teil meines Berufslebens und das endet am 31. Mai.
Wenn es nicht die Vorschriften des Beamtenrechts gäbe - hätte man Sie mit 80 raustragen müssen?
Das hätte passieren können. Es kann schwierig werden, wenn man es Leuten wie mir überlässt, zu beurteilen, wann sie den Punkt erreicht haben, an dem sie besser in den Ruhestand gehen.
Leuten, die von Macht und Verantwortung nicht lassen können?
Nein, Leuten, die so viel Freude an ihrem Beruf haben.
Bitte erklären Sie uns den Spaß.
Mir hat es sehr viel Freude gemacht, in diese Behörde gemeinsam mit den Führungskräften und Mitarbeitern so weiterzuentwickeln, dass die Berliner Polizei trotz erheblicher Personalreduzierungen heute nicht schlechter dasteht als bei meinem Amtsantritt vor 9 Jahren.
Ein bescheidener Abspruch.
Ich neige nicht zu Übertreibungen. Man kann aber sicher auch sagen, dass wir heute manches besser machen als vor 10 Jahren.
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt einen Mentalitätswechsel bei der Polizei angestrebt. Ist der bei der Bevölkerung angekommen?
Das glaube ich schon. Mir war es auch deshalb wichtig, dass die Polizei die Bedeutung der Prävention für ihre Arbeit und ihr Verhältnis zur Bevölkerung erkennt.
Geht es ein bisschen genauer?
Wir gehen auf die Menschen zu und bieten ihnen Zusammenarbeit, Beratung und Unterstützung an. Wir gehen in die Schulen, Kindergärten und Jugendzentren, zu Migrantenorganisationen und in die Moscheen. Damit machen wir auch deutlich: Wir legen keinen Wert darauf, mit dem Knüppel loszuschlagen oder mit dem Wasserwerfer drauf zu halten. Das gilt auch für Einsätze wie den 1. Mai. Vorurteile und Vorbehalte werden abgebaut, das Bild der Polizei verändert sich und es verändern sich auch Einstellungen in der Polizei.
Beim Amtsantritt hatten Sie der taz gesagt, Sie hätten das Ziel sagen zu könne, die Polizei habe alles menschenmögliche getan, um einen Lösung für Gewaltrituale am 1. Mai zu tun.
Ich würde sagen, wir haben mehr erreicht, als ich mir damals vorstellen konnte.
Am diesjährigen 1. Mai gab es einen heftigen Pfefferspray-Einsatz der Polizei. Man hat den Eindruck, am Ende Ihrer Amtszeit wird wieder eingerissen, was Sie zuvor aufgebaut haben.
Der Eindruck ist nicht berechtigt. Polizeieinsätze sind kein automatischer Betriebsablauf. Da steckt man nicht einen Chip vorne hinein und am Ende kommt das gewünschte Produkt heraus. Jeder Einsatz wird gut vorbereitet, aber die Lage entwickelt sich nicht immer nach Plan und Fehler sind möglich. Deshalb war es auch immer eines meiner Ziele, eine Fehlerkultur zu entwickeln. Wir haben den Ehrgeiz, die ersten zu sein, die Fehler erkennen und einräumen, weil wir nur so aus ihnen lernen können. Wir haben aber auch den Anspruch, dass diese Fehlerkultur von Außen unterstützt wird.
Neue Polizeitaktik am 1. Mai war, dass Gruppen von 20 Beamten im Zickzack durch die Menschenmenge am Kottbusser Tor gezogen sind. Schaulustige wurden angerempelt und bekamen Pfefferspray ins Gesicht. Wie passt dass zu Ihrem Deeskalationskonzept, Unbeteiligte so wenig wie möglich in Mitleidenschaft zu ziehen?
Wo sich eine problematische Menschenmenge ansammelt, durchmischen wir sie mit Polizeikräften, damit gar nicht erst die Möglichkeit entsteht, aus der Menge heraus auf eine Polizeiformation, die ihr gegenübersteht und abwartet, was passiert, mit Flaschen und Steinen zu werfen. Dieses Konzept haben wir schon erfolgreich im Vorjahr umgesetzt. Die Frage ist, ob jeder Pfeffersprayeinsatz gerechtfertigt war. Daran bestehen Zweifel.
Als mobile Wagenburg durch die Menge zu ziehen ist für die Beamten bestimmt ganz schön stressig. Ist der großzügige Einsatz des Pfeffersprays vielleicht auf darauf zurückzuführen?
Das ist Gegenstand der Nachbereitung. Wir haben solche Situationen auch schon bewältigt, ohne dass es Kritik an Pfefferspray-Einsätzen gegeben hat. Manchmal führen aber neue Einsatzmittel zu Veränderungen im Einsatzverhalten. Es ist ein Unterschied, ob ich ein handgroßes Reizstoffsprühgerät habe, oder ob ich ein RSG 8 habe, das so aussieht wie ein kleiner Feuerlöscher. Das wirkt schon optisch ganz anders. Deshalb werden wir sehr kritisch prüfen, was da gemacht wurde. Und ich habe das auch zum Anlass genommen, nochmals zu verdeutlichen, dass Reizstoffeinsatz eine Form des unmittelbaren Zwangs ist, mit der man genauso zurückhaltend umgehen muss, wie mit dem Einsatzmehrzweckstock.
Jetzt kommt aber demnächst ihr Nachfolger und kann all Ihre Anweisungen wieder kippen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Nachfolger das will. Ich glaube auch nicht, dass ihm das so ohne weiteres gelingen würde. Denn die Strategien und Konzepte, die heute die Arbeit der Berliner Polizei heute prägen, sind keine Vorgaben durch den Polizeipräsidenten, sondern sie wurden durch die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern selbst erarbeitet. Das sind ihre Strategien und Konzepte, mit denen sie Erfolg hatten. Da kann kein Polizeipräsident kommen und sagen, das ist alles Quatsch.
Und was ist mit der lang angekündigten Einzelkennzeichnung? Sie gehen in Pension und die Schilder sind immer noch nicht an den Uniformen.
Das wird in den nächsten Wochen umgesetzt. Die Namensschilder für den täglichen Dienst sind beschafft. Die Beschaffung für die Rückenkennzeichen der Einsatzeinheiten läuft.
Aber es gibt immer noch heftige Widerstände innerhalb der Polizei.
Die Geschäftsanweisung ist in Kraft. Sie wird von den Gewerkschaften abgelehnt, aber von einer großen Zahl der Mitarbeiter und von den Führungskräften mitgetragen. Und zu beachten ist sie auch von denen, die sie ablehnen.
Am 1. Mai haben Zivilpolizisten Anzeige gegen Kollegen erstattet haben, weil sie von denen verletzt worden sind. Erschrecken Sie solche Vorfälle?
Sie erschrecken mich deshalb nicht, weil ich weiß, dass es im Einsatz immer wieder Belastungssituationen gibt, die die eingesetzten Kräfte überfordern und Fehlreaktionen auslösen können. Im Übrigen gibt es auch einen positiven Aspekt. Ich habe meinen Mitarbeitern stets verdeutlicht: Polizisten sind verpflichtet zur Kollegialität, nicht zur Kameraderie. Polizeibeamte schauen nicht tatenlos zu, wenn ihre Kollegen Straftaten begehen. In zwei Fällen sagen Mitarbeiter, es wurde Gewalt angewendet, obwohl kein Anlass dazu bestanden hat, weder für den Einsatz von Pfefferspray, noch für Schläge. Und ich habe keinen Grund, an ihrer Darstellung zu zweifeln.
In der linken Szene wird gern argumentiert, die Gewalt bei solchen Demonstrationen werde durch solche Zivilpolizisten provoziert. Können Sie so etwas ausschließen?
Das schließe ich aus. Das sind abenteuerliche Unterstellungen. Solche Maßnahmen würden all unsere Grundsätze für den Umgang mit Demonstrationen unglaubwürdig machen. Wir gefährden doch nicht unsere eigene Arbeit dadurch, dass wir solche Sperenzchen machen.
Das mag aus der Schreibtischsicht stimmen. Was macht Sie so sicher, dass in den Einheiten nicht nach wie vor kräftig zugelangt wird, wenn sie unbeobachtet sind?
Ich arbeite nicht nur am Schreibtisch, und das gilt auch für andere Führungskräfte. Gerade bei problematischen Einsätzen habe ich mich oft vor Ort überzeugt, wie unsere Einsatzeinheiten arbeiten.
Sie haben aber keine Tarnkappe.
Glauben Sie, die Einsatzkräfte, die da in den schwierigsten Situationen arbeiten, sehen oder wissen, dass da irgendwo der Polizeipräsident ist? Das ist eine unrealistische Vorstellung.
Aber Sie sind nicht im Mannschaftswagen dabei, wenn einer Festgenommen wird.
Ich kann nie ausschließen, dass ein Mitarbeiter mal die Nerven verliert.
Da geht es doch nicht um Nerven verlieren!
Ich kenne ganz unterschiedliche Situationen, in denen Polizeibeamte falsch gehandelt haben und die Ursachen dafür sind ebenso unterschiedlich. Aber die Vorstellung, dass die Strategie vorsätzlich von den Einheiten unterlaufen wird, ist abwegig. Man muss sicherstellen, dass die Einsatzeinheiten, von Vorgesetzten geführt werden, die besonders sorgfältig ausgewählt sind; die selbst davon überzeugt sind, dass Polizeibeamte sich so verhalten müssen, wie ich es eben beschrieben habe und die diesen Geist auch in ihrer Einheit pflegen. Fehlentwicklungen kann man nie ausschließen. Deshalb tun wir alles, damit wir sie frühzeitig erkennen und korrigieren können.
Nicht nur der Polizeipräsident wechselt. Nach den Wahlen im September könnte es auch einen neuen Innensenator geben. Wenn Sie sich für die Berliner Polizei einen wünschen dürften, wäre das eher ein grüner Volker Ratzmann, ein schwarzer Frank Henkel oder eine jüngere Ausgabe des Amtsinhabers Ehrhardt Körting?
Wenn Herr Körting aufhören würde, würde ich mir eine jüngere Version von ihm wünschen - egal in welcher Partei er wäre.
Aber er hört nicht auf?
Das würde ich der Polizei wünschen. Denn die Suche nach einer jüngeren Version von Herrn Körting dürfte in allen Parteien schwierig sein.
Und was würden Sie sich für die Polizei wünschen? Einen neuen Wasserwerfer? Einen türkischen Direktionsleiter? Oder stadtweite Videoüberwachung?
Ich würde mir wünschen, dass die Politiker aller Parteien der Polizei auch in Wahljahren so sachlich und fair begegnen, wie sie es verdient.
Einen türkischstämmigen Direktionsleiter brauchen Sie nicht?
Wenn wir einen hätten, würde ich mich sehr darüber freuen. Jetzt kommt es darauf an, den Anteil der Migranten zu erhöhen, damit das in Zukunft einmal möglich wird. Ich habe ja einen sehr guten Kontakt zur türkischen Gemeinde …
… die sind sehr traurig, dass Sie gehen!
Ich bin ja auch traurig. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet und dafür bin ich dankbar.
In der Polizei gibt es viele, die sind weniger traurig. Die sagen, sie seien ja nur am rot-roten Bändel gelaufen.
Es gibt auch viele, die wissen, dass das keineswegs so war. Ich habe in den neun Jahren nichts, aber auch gar nichts gemacht, wozu mich die Politik gezwungen hätte. Und ich hätte mich auch zu nichts zwingen lassen. Eher wäre ich gegangen.
Haben Sie mal einen richtigen Fehler gemacht?
Sicher. Aber keinen, von dem ich sagen könnte, der war so dramatisch, dass ich da heute noch drüber nachdenken muss.
Hatten Sie schlaflose Nächte?
Es gab Nächte, in denen ich schlecht geschlafen habe. Beispielsweise wenn ein Einsatz nicht so gelaufen ist, wie man sich das wünscht, wenn Kollegen schwer verletzt oder gar getötet wurden.
Und im vergangenen November, als es offensichtlich eine sehr konkrete Terrorwarnung für Berlin gab?
Da hatte ich keine schlaflosen Nächte. Solche Situationen kann man ganz professionell beurteilen.
Hat sich Ihr Blick auf Berlin im Laufe der Jahre geändert?
Ja. Ich habe die Stadt ja erst kennengelernt. Vieles, was Berliner - auch Menschen, die Verantwortung tragen - über die Stadt sagen, kann ich heute nicht verstehen. Ich finde die Stadt toll. Sie ist lebendig, durcheinander, nicht so sortiert wie andere. Man muss immer mit Überraschungen rechnen. Mir ist die Stadt ans Herz gewachsen. Trotzdem ziehe ich zurück nach NRW, weil ich das meiner Frau versprochen habe. Außerdem hänge ich mittlerweile so sehr an Berlin und meiner Behörde, dass mir der Ausstieg aus dem Beruf in einer völlig anderen Umgebung, mit Distanz zu dieser Stadt, leichter fallen wird.
Haben Sie die Koffer schon gepackt?
Ich habe am 30. und 31. Mai Urlaub. Da ziehe ich um.
Was ist das für ein Gefühl, in den Ruhestand zu gehen?
Das ist das Gefühl, übernächste Woche wirst du in deinem Schaukelstuhl sitzen und in Ruhe darüber nachdenken können, wie du dafür sorgst, dass das Leben nicht nur aus Reisen und Bücherlesen und Konzertbesuchen besteht.
Das klingt nicht gerade ...
Es ist nicht die reine Freude.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos