Abschied von Berliner Piraten: Die Qual der Wahl
2011 zogen die Piraten mit fast 9 Prozent ins Parlament ein. 2016 werden sie in Umfragen nicht mal mehr erfasst. Für wen können ihre einstigen WählerInnen stimmen?
Es ist genau noch ein Monat bis zur Wahl, als die Piraten plötzlich zu einer echten Option werden: Am 18. August wird eine Umfrage bekannt, die die Partei erstmals bei 4,5 Prozent sieht und ihr damit auch die Chance einräumt, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Damit wäre eine Stimme für die Partei nicht mehr verloren.
Das war vor fünf Jahren, der Rest ist bekannt: Die Piraten zogen mit fast 9 Prozent ins Abgeordnetenhaus und damit erstmals in ein deutsches Landesparlament ein. Auch dank zahlreicher Stimmen aus dem linken Lager, die in den Piraten zu diesem Zeitpunkt eine reale Alternative zu SPD, Linkspartei und Grünen sahen.
Für jene WählerInnen präsentierten sich die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Renate Künast als zu machtgeil und arriviert, die Linke nach zehn Regierungsjahren als profillos und verbraucht. Die SPD galt in diesen Kreisen sowieso nur als Notoption für bittere Zeiten.
Näher an den Bürgern
Kurz vor der Abgeordnetenhauswahl am 18. September ist zwar weniger die künftige Koalition, wohl aber der Wahlsieg offen. Bei der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forschungsgruppe Wahlen vom vergangenen Freitag kommt die SPD auf 24 Prozent, die CDU auf 19 Prozent. Leicht abgerutscht von 16 auf 15 Prozent sind die Grünen. Zwei Punkte verliert auch die Linkspartei: Sie liegt nun gleichauf mit der AfD, die bei 14 Prozent verharrt. Die FDP erreicht erneut 5 Prozent.
Weder Rot-Grün noch Rot-Schwarz noch eine Jamaika-Koalition hätte bei diesem Wahlergebnis eine Mehrheit im Parlament – das hätte nur Rot-Rot-Grün. (taz)
Der große Zuspruch für die Piraten wurde von der politischen Konkurrenz gerne als Protest abgewertet. Das stimmt sicher zum Teil; aber eben zum Teil auch nicht. Die Erwartung an die Piraten von linker Seite war ein anderer, ein lockerer Politikstil näher an den Bürgern. Das hat nichts mit Protest zu tun, sondern mit einem anderen Verständnis, wie in einer linksliberalen Stadt die Gesellschaft im 21. Jahrhundert funktionieren sollte.
2016 werden die Piraten in Umfragen nicht einmal mehr erfasst. Die Bundespartei hat sich zerlegt und in ihrem Sog die Berliner Piraten-Fraktion mitgerissen. Die Hälfte der 15-köpfigen Fraktion ist in den vergangenen Jahren aus der Partei ausgetreten, darunter ihre prominentesten Köpfe wie Christopher Lauer, der den Innenausschuss aufmischte, oder Martin Delius, der den BER-Untersuchungsausschuss leitete und sich jetzt der Linkspartei angeschlossen hat. Auf dem Ticket der Piratenpartei können sie nicht mehr ins Abgeordnetenhaus einziehen.
Doch mit dem wahrscheinlichen Ende der Piraten-Fraktion ist das Problem vieler linker WählerInnen nicht verschwunden: Auch in diesem Wahlkampf sind sie von den Grünen (zu glatt), den Linken (zu bräsig) und der SPD (Notoption) nicht hinreichend überzeugt. Wie also sollen sie abstimmen?
Natürlich könnten sie die Piraten einfach noch mal wählen – das wäre konsequent zu nennen, denn deren Ziele haben sich nicht allzu sehr geändert. Außerdem haben die Piraten im Abgeordnetenhaus genau das erfüllt, was sich viele ihrer linken Wähler wünschten: Die Berliner Fraktion hat, anders als die Bundespartei, nach anfänglichem Lavieren eine eindeutig linke Politik gemacht. Und wenn derzeit die Berliner Linkspartei in Umfragen zulegt, dürfte das auch daran liegen, dass ehemalige Piratenwähler nun – aus blanker Not – die Linkspartei in Erwägung ziehen.
Scheitern an der Fünfprozenthürde
Allerdings handelt es sich bei den jetzt antretenden Piraten um weitgehend andere Kandidaten als die von 2011. Von den bisherigen Promis der Fraktion ist nur noch Flüchtlingspolitiker Fabio Reinhardt im Boot – allerdings strafte ihn der Parteitag mit einem miesen hinteren Platz auf der Landesliste ab. Wer die Piraten also am18. September erneut wählt, steht damit wie vor fünf Jahren vor der Ungewissheit, was ihre Fraktion – wenn sie den Einzug schafft – im Parlament politisch anstreben würde und ob sie das organisatorisch hinkriegt.
Auch andere, für ehemalige Piratenwähler möglicherweise interessante linke Parteien scheitern wohl an der Fünfprozenthürde. Etwa die Satiretruppe „Die Partei“ von EU-Parlamentarier Martin Sonneborn: Wahrscheinlich wird sie etwas mehr Stimmen einfahren als 2011, aber mehr als die gewohnt heitere Wahlwerbung verspricht sie nicht. Bleiben Parteifossilien wie die DKP und Dogmatiker wie die PSG. Und, zumindest für die Erststimme, in vielen Wahlkreisen interessante Einzelkandidaten, etwa Hauke Stiewe mit seiner Bergpartei. Eine echte Alternative fehlt.
Nach dem Bekenntnis von Michael Müller zu den Grünen läuft am 18. September alles auf eine Koalition aus jenen beiden plus der Linkspartei hinaus. Diese Dreierkombo hat laut Umfragen einen guten Vorsprung. Doch kann man darauf bauen? Und wenn es zu Rot-Grün-Rot kommt: Macht so eine Koalition auch wirklich eine linke Politik?
Sicher ist in diesem Fall: Es wird keine linke Opposition im Parlament mehr geben. Umso wichtiger wird es sein, außerparlamentarisch Druck aufzubauen. Vielleicht auch in Verbindung mit den Piraten, die höchstens noch in einigen wenigen Bezirken politische Mandate bekommen werden.
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