Abschiebungen nach Moldau: Wieder mal die Angst
Wenn der Winterabschiebestopp endet, könnte es bald zu Massenabschiebungen kommen, etwa von Rom*nja nach Moldau. Ein Bündnis fordert ihr Bleiberecht.
Im Winter 2021 kam die Familie zurück nach Berlin, „wegen der Armut, aber auch weil ich meine Schule weitermachen will“, sagt Mihail. Diesmal wurde der Asylantrag schnell abgelehnt, der große Bruder, gerade volljährig geworden, wurde im Januar 2022 abgeschoben. Nun bangt Mihail um den Rest der Familie: „Ich habe Angst, aus der Schule zu kommen, und keiner ist mehr da.“
Die Angst ist nicht unberechtigt, denn diesen Freitag endet der von Rot-Grün-Rot vereinbarte Winterabschiebestopp. Unterstützer*innen von Geflüchteten befürchten, dass es schon in den nächsten Tagen zu ersten Massenabschiebungen aus Berlin kommen könnte. Davon betroffen sind auch rund 3.500 Moldauer*innen, die als „vollziehbar ausreisepflichtig“ gelten. Die meisten von ihnen sind Rom*nja, die laut Berichten von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen in ihrer Heimat massiv und strukturell diskriminiert werden.
Der Berliner Flüchtlingsrat Berlin und das BARE-Bündnis gegen Antiziganismus rufen daher für Freitag um 15 Uhr zu einer Demonstration vor der Innenverwaltung (Klosterstraße 47) auf. Diese kündigte auf taz-Anfrage in der Tat an, dass ab 1. April „Ausreisepflichten im Einklang mit den geltenden Richtlinien der Regierungspolitik grundsätzlich wieder durchgesetzt“ werden – wobei vor jeder Abschiebung die Umstände jedes Einzelfalls geprüft würden.
Romaday Anlässlich des Internationalen Tags der Rom*nja am 8. April (Romaday) untersucht ein neuntägiges Programm unter dem Titel „Romaday 2023: No Climate for Nomads“ das Phänomen Umweltrassismus/Klimagerechtigkeit. Start ist am Freitag im Grünen Salon der Volksbühne. Dort wird auch das BARE-Bündnis über seine Aktionen berichten.
Parade Höhepunkt des vom Verein RomaTrial kuratierten Programms ist am 8. April die traditionellen Romaday-Parade vom Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas durch die Mitte Berlins. (sum)
„Tief verwurzelte Ablehnung“
Die Aktivist*innen von BARE fordern dagegen ein humanitäres Bleiberecht für alle Rom*nja aus Moldau. „Berlin muss seine landesrechtlichen Spielräume nutzen und sich auch auf Bundesebene für eine entsprechende Regelung einsetzen. Ein Bleiberecht für alle nach Berlin fliehenden Rom*nja ist schon aufgrund unserer historischen Verantwortung wegen ihrer Verfolgung und Vernichtung während der Nazizeit geboten“, sagt Emily Barnickel, Sprecherin des Flüchtlingsrats.
Seit Jahren ist Moldau eines der Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern in Berlin. Das Land mit nur 2,6 Millionen Einwohner*innen zwischen Rumänien und der Ukraine galt schon vor dem Ukrainekrieg als eines der ärmsten Länder Europas. Zudem bestehen dort gegen Rom*nja weit verbreitete Vorurteile, die auch aus der Geschichte rühren: Bis weit ins 19. Jahrhunderte galten sie als „Leibeigene“, also Sklaven. „Diese Geschichte wirkt bis heute in Stereotypen, einer tief verwurzelten Ablehnung, Stigmatisierung und massiver Diskriminierung nach“, schreibt die Slawistin Kristina Holzapfel in einer Studie für Pro Asyl und Berliner Flüchtlingsrat von 2022. Der Bericht betont, dass Diskriminierung auch durch staatliche Stellen wie die Polizei geschieht. Der neue Amnesty-Bericht für Moldau hat zum Beispiel Belege dafür, dass die staatlichen Aufnahmelager für Flüchtlinge aus der Ukraine auf Betreiben der Polizei keine Roma aus der Ukraine aufnehmen.
Auch Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat weiß aus Beratungsgesprächen von Diskriminierungserfahrungen ihrer Klient*innen in Moldau. „Erst kürzlich hatte ich ein Ehepaar hier, dessen eigenes Haus in ihrer Abwesenheit einfach abgerissen wurde, weil der Stadtrat entschied, dass es zu baufällig sei. Würden sie nach Moldau zurückmüssen, stünden sie vor dem Nichts.“ Rom*nja würden oft aus den städtischen Zentren in die Peripherien vertrieben, wo sie in ärmlichsten Verhältnissen leben müssten. Durch fehlende ärztliche Versorgung litten viele unter chronischen Krankheiten, Schulbesuche seien wegen der Kosten oft nicht möglich.
In Berlin – aufgrund der regionalen Aufteilung kommen Asylbewerber*innen aus Moldau meist hierher – werden die Asylanträge von Moldauer*innen jedoch zum allergrößten Teil abgelehnt. Und das ziemlich schnell, findet Barnickel – von Antragstellung bis Abschiebung dauere es oft keine 12 Monate, „das ist viel schneller als bei allen anderen Gruppen“. Dieser Eindruck wird bestätigt durch die Antworten der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion von Februar.
Kritik an Asyl-Interviews
Ein Hauptkritikpunkt von Barnickel an den Asylverfahren: Die strukturelle Diskriminierung von Rom*nja in Moldau, auch durch staatliche Stellen, wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht anerkannt. „Man muss daher im Asylinterview eine individuelle Diskriminierung nachweisen, aber wer kann das schon?“, fragt sie. Zudem wüssten die Betroffenen oft selbst gar nicht, dass sie diskriminiert werden. „Und die Befrager stellen keinerlei Nachfragen“, kritisiert sie. Dadurch würden systematische Diskriminierungen nicht erkannt und entsprechend nicht ins Verfahren einbezogen, moniert auch die Studie.
Zusätzlich zum unfairen Asylverfahrens, berichtet Barnickel, würden Rom*nja auch in Berlin häufig aufgrund von Fremdzuschreibungen benachteiligt. „Viele Mitarbeitende in Heimen oder auf Ämtern haben Vorurteile: Roma wollten ja gar nicht arbeiten, sich nicht integrieren.' “ Oder es heiße, „die sind ja eh bald wieder weg, dann ist das nicht so wichtig.“ Entsprechend gebe es für ihre Kinder oft keine Kita- oder Schulplätze, keine Krankenkassenkarten et cetera. Es seien auffällig oft Kinder aus Rom*nja-Familien, die lange – bis zu sieben Monate – auf einen Schulplatz warten müssten.
Dieser Befund wird durch den neuen Bericht der Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) bestätigt, der am Mittwoch vorgestellt wurde. Dort heißt es: 2021 „dokumentierte DOSTA vermehrt antiziganistische Vorfälle, welche geflüchtete Menschen aus der Republik Moldau erlebten, deren Kinder trotz Schulpflicht an keiner Schule aufgenommen wurden“.
Für Mihail will Barnickel jetzt einen Härtefallantrag stellen, damit er nicht mitten im Mittleren Schulabschluss abgeschoben wird, den er gerade macht – er hat sich nämlich selber einen Schulplatz gesucht. Danach will er sich einen Ausbildungsplatz suchen – sein Traum: Hotelfachmann. Barnickel ist vorsichtig optimistisch, dass es klappen kann. „Wenn er bis Sommer eine Ausbildungszusage bekommt, hat er gute Chancen auf eine Ausbildungsplatzduldung.“
Auf die Frage, wie das wird, wenn er bald vielleicht vom Vater und den beiden kleineren Geschwistern getrennt wird, antwortet Mihail mit einem traurigen Scherz. „Mein Vater hat schon gesagt, dass ich ihnen etwas Geld schicken muss, damit sie leben können. Ich habe gesagt: Okay – aber nicht alles.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?