Abschiebung statt Knast: Immer noch besser als Bremen
Weil er lieber in Marokko auf der Straße lebt, als weiter in Bremen in Haft zu sitzen, hat ein 22-Jähriger die Blockade seiner Abschiebung abgelehnt
Gestern wurde H. nach Casablanca abgeschoben. Obwohl er, wie er seinem Rechtsbeistand sagte, Angst vor Obdachlosigkeit und Gewalt in Marokko habe und zweifelhaft sei, dass er zu seiner Familie nach Tanger zurückkehren könne. Zudem, sagt von Borstel, drohe H. in Marokko „willkürliche Inhaftierung“. Das bestätigen Menschenrechtsorganisationen. Nach marokkanischem Recht droht jedem, der das Land „auf heimliche Weise“ verlässt, eine Haft von bis zu sechs Monaten und eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Dirham.
H. kam mit 13 nach Spanien, indem er sich unter einem Laster festkrallte und hielt sich dort rund sieben Jahre mit Aushilfsjobs über Wasser. 2014 kam er nach Deutschland, wo er eine Weile sogar in einer eigenen Wohnung lebte. 2016 fiel er aus allen staatlichen Hilfen heraus – als klar wurde, dass er sein Alter zu niedrig angegeben hatte.
Geduldet war er nur bis zum letzten Sommer. Also verlor er seine Wohnung und die Betreuung, lebte bei Freunden oder auf der Straße. Ein Asylbewerber war er nicht – Chancen hätte er eh kaum gehabt: Marokko gilt der Bundesregierung als „sicherer Herkunftsstaat“. Auch die Bremer Innenbehörde, die H. für 22 hält, hat „keine Bedenken“, ihn nach Marokko abzuschieben – obwohl Amnesty International und Pro Asyl immer wieder auf massive Menschenrechtsverletzungen in dem Königreich hinweisen.
Marokko ist kein „sicheres Herkunftsland“, sagen Amnesty International und Pro Asyl.
Kritische Äußerungen über die Monarchie, den Islam oder den Anspruch Marokkos auf die Westsahara werden kriminalisiert, sagt Human Rights Watch.
Die Korruption und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit sind die größten Menschenrechtsprobleme von Marokko, sagt das US Department of State.
Die Todesstrafe ist in Kraft, auch wenn es ein Moratorium für Hinrichtungen gibt.
An der Grenze kommt es immer wieder zu völkerrechtswidrigem Zurückweisen von Flüchtlingen.
Für die Bremer Innenbehörde ist H. vor allem ein Straftäter, der zu einer Gruppe von 41 „nordafrikanischen Intensivtätern“ gehört, die abgeschoben werden sollen. Sieben Marokkaner seien derzeit in Bremen zur Fahndung ausgeschrieben, sagt eine Behördensprecherin, zwei weitere wurden schon abgeschoben. 2016 schob Bremen 77 Menschen ab.
H. ist wegen Körperverletzung und Diebstahl vorbestraft, sagt die Innenbehörde. Zweimal sei er verurteilt worden, sagt von Borstel, die Taten habe er unter Drogeneinfluss begangen: H. nahm wohl regelmäßig Medikamente. Das Geld dafür klaute er. „Er habe viele Fehler gemacht, da er nicht wusste, wie er mit seiner Situation umgehen sollte“, schreibt Stop Deportation Bremen in einer Erklärung. „Er bekam keinerlei Unterstützung, hatte keine Perspektive, einen Aufenthaltstitel zu bekommen, und so weder das Recht zu arbeiten noch die Möglichkeit zur Schule zu gehen.“
Seit Januar saß H. in Abschiebehaft. Die Aufforderung zur „freiwilligen Ausreise“ habe die Innenbehörde zuvor im Stadtamt ausgehängt, sagt von Borstel, also „öffentlich zugestellt“. Zur Kenntnis genommen hat H. das freilich nicht.
Das Amtsgericht habe das für rechtmäßig befunden, sagt von Borstel. Erst das Landgericht habe die Haftanordnung für „rechtswidrig“ erklärt, aber nur für die Zeit bis zum vergangenen Mittwoch. Seither saß er zu Recht in Haft, entschieden die Richter. Von Borstel sah zuletzt „keine Chance“ mehr, gegen die Abschiebung vorzugehen, allenfalls gegen die Inhaftierung.
Zugleich kritisiert der Rechtshilfe-Verein das Migrationsamt: Es habe nie einen Versuch unternommen, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung persönlich zuzustellen. H. sei es unmöglich gewesen, freiwillig zu gehen – obwohl das Ressort stets den Vorrang freiwilliger Ausreise betone. Die Art und Weise, wie H. abgeschoben wurde, sei „schlicht nicht mit rechtsstaatlichen Verfahren zu vereinbaren“, sagt von Borstel. Die Behörde widerspricht: „Die Post an seine alte Adresse kam zurück“, so eine Behördensprecherin, und die Ausländerbehörde habe „vergeblich“ versucht, ihn über seinen ehemaligen Amtsvormund, den Casemanager und die Jugendeinrichtung, in der er zeitweise gelebt hatte zu erreichen.
Was nun aus H. wird? Unklar. H. wäre gerne geblieben, sagt von Borstel. „Die Familie interessiert sich nicht für mich“, zitiert ihn Stop Deportation Bremen. Seine Mutter ist tot, der Vater offenbar Alkoholiker. Für die Demonstranten gibt es aber eh „keine Gründe“, die Abschiebungen legitimieren könnten.
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