Abschiebung in ein fremdes Land: „Mama in Handschellen abgeführt“
Die Eltern von Shuki Haziri wurden nach 30 Jahren in ein Land abgeschoben, das nicht ihre Heimat ist. Über deutsche Bürokratie, die krank macht.
taz: Frau Haziri, welche Nationalität steht in Ihrem Ausweisdokument?
Shuki Haziri: Sie meinen aktuell? Kosovarisch. Aber es stand schon jede Nationalität, die auf dem Balkan vertreten ist, bei mir oder meinen Eltern im Dokument, und auch mal „staatenlos“.
Was ist das für ein Dokument, mit dem Sie sich ausweisen?
Eine Fiktionsbescheinigung. Da steht keine Adresse drauf und kein Foto, es ist nur gültig in Verbindung mit einem Pass. Den habe ich aber nicht, ich besaß noch nie einen.
Warum bekommen Sie keinen Pass?
Um einen deutschen Pass zu bekommen, müsste ich den eines anderen Landes ablegen. Aber welcher soll das sein? Ich bin ja in Deutschland geboren. Meine Eltern wurden gezwungen, eine Nationalität anzunehmen, zu der sie sich nicht zugehörig fühlen – kosovarisch. Ich werde auch ins Kosovo reisen müssen, um die Nationalität anzunehmen, dafür muss man vor Ort sein. Obwohl das bei meinen Eltern in ihrer Abwesenheit und Unkenntnis passiert ist.
Sie leben seit 28 Jahren ohne Pass in Deutschland. Wie ist das?
Ich bin ein Mensch zweiter Klasse. Für vieles, was normalerweise selbstverständlich ist, musste ich hart kämpfen. Oft bedeutet es auch Trauer, Depression, Kampf. Es kann jeden Tag sein, dass ich zusammenbreche, weil es das zehnte Mal ist, dass ich irgendwas besorgen oder vorzeigen muss. Teilweise kannst du nicht mal ein Paket abholen ohne Foto und Adresse. Als mein Abijahrgang zur Abschlussreise nach Tel Aviv flog, konnte ich als einzige nicht mit.
Woher kommen Ihre Eltern?
Aus dem ehemaligen Jugoslawien, sie sind in Pristina, also heute Kosovo, geboren. Aber sie haben dort nicht gelebt, sondern sind im heutigen Kroatien aufgewachsen. Mein Vater wurde wegen seiner Ethnie als Albaner und seiner Religion als Moslem unterdrückt. 1991, kurz vor dem Krieg, kamen sie nach Deutschland.
Wie kamen sie hier an?
Sie durften nicht arbeiten, 15 Jahre lang. Mein Vater ist KFZ-Mechanikermeister, aber das wird hier nicht anerkannt. Das war sehr schlimm für meine Eltern. Sie sind Arbeitstiere. Seit sie dann doch arbeiten durften, hat meine Mutter nie gefehlt auf der Arbeit, auch nicht, wenn sie krank war. Wenn man eine Verpflichtung hat, geht man hin, so ist das für sie. Mein Vater wurde depressiv. Das liegt auch an der gescheiterten Flüchtlingspolitik: Man hat die Menschen einfach auf einen Haufen gepackt und sich nicht darum gekümmert, was mit ihnen wird.
Jetzt wurden Ihre Eltern nach 30 Jahren in Deutschland abgeschoben. Warum?
Wir hatten überhaupt nicht damit gerechnet, man hat uns schon so oft mit Abschiebung gedroht, dass wir irgendwann die Angst verloren haben. Außerdem gab es ja kein zugehöriges Land, in das man meine Eltern abschieben könnte. Wir waren nirgendwo als Staatsbürger registriert. Aber in Deutschland herrscht Passpflicht.
Und Sie haben die Mitwirkungspflicht zur Passbeschaffung verletzt?
Genau. Wir mussten regelmäßig bei dem jeweiligen Konsulat, dem die Ausländerbehörde uns zurechnete, einen Nachweis über unsere nationale Zugehörigkeit erbringen. Serbien hätte uns anerkannt, aber mein Vater wollte das nicht. Als 2008 der Kosovo entstanden ist, sollten wir von da einen Pass beschaffen. Für meinen Papa kam das nicht infrage. Wegen seiner albanischen Identität wurde er unterdrückt, er kann die nicht einfach ablegen und eine neue annehmen.
28, ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Sie macht eine Ausbildung zur Podologin und pendelt dafür nach Lübeck.
Wie konnten Ihre Eltern abgeschoben werden, obwohl sie keine Pässe hatten?
Das ist uns ein Rätsel, irgendjemand muss sie kürzlich im Kosovo registriert haben. Vielleicht der Staat aufgrund irgendeines Abkommens, aber das geht aus der Akteneinsicht nicht hervor. Wahrscheinlich hat es mit Korruption zu tun.
Erzählen Sie bitte von der Abschiebung.
Es war am 1. Februar, einen Tag vor dem 66. Geburtstag meines Vaters. Mein jüngerer Bruder, meine Eltern und ich waren zu Hause, als es klopfte. Die Polizisten meinten: „Wir nehmen Ihre Eltern mit.“ Eine Horde Männer und Frauen fiel ein, mein Bruder und ich wurden von ihnen in unsere Zimmer gesperrt. Ich habe gefragt „Wohin wollen Sie die denn abschieben?“ Ein Polizist meinte „Ab in die Heimat.“ Ich entgegnete: „Da sind sie ja schon.“ Ich habe dann schnell meinen älteren Bruder angerufen und ihm gesagt „Mama und Papa werden gerade abgeschoben.“
Was für ein schrecklicher Satz.
Ich habe den Polizisten erklärt, dass sie gerade Menschen in ein Land abschieben, in dem sie seit 50 Jahren nicht waren. Meine Eltern haben sich geweigert zu gehen. Irgendwann wurde meine Mama in Handschellen abgeführt. Ich wollte meinen Papa nochmal umarmen, aber sie ließen mich nicht zu ihm. Es geht ihm sehr schlecht, körperlich und psychisch, er ist auch dement. Ich wusste nicht, ob ich ihn jemals wiedersehen würde. Schließlich durfte ich ihn doch umarmen, dann wurde er abgeführt. Danach musste ich innerhalb von fünf Minuten die Sachen meiner Eltern einpacken. Das war sehr traurig.
Was taten Sie dann?
Später haben meine Brüder und ich uns mit unseren Nachbarn zusammengesetzt, um eine Eingabe beim Senat zu machen. Leider hat es den Senat nicht interessiert, er lehnte die Eingabe ab. Ich verstehe das nicht. Wie kann man in dem Fall negativ entscheiden? Es verletzt mich im Herzen und es schien mir fernab vom gesunden Menschenverstand. So etwas entscheiden doch Menschen, wie bringen die das über sich? Wir sind ein Paradebeispiel für gelungene Integration.
Wie geht es Ihren Eltern?
Sie sind in einer schrecklichen Bruchbude, da schimmelt es, die Fensterscheiben sind zerbrochen. Wir wussten erst mal drei Tage lang nicht, wo sie sind, haben die Behörden in Pristina abtelefoniert. Dort sagte man uns: „Es kann nicht sein, dass sie hier sind.“ Ich erwiderte: „Ich sage Ihnen gerade, wie es ist und es interessiert mich nicht, ob das sein kann. Mich interessiert nur, ob Sie sie finden.“ Nach drei Tagen haben sich meine Eltern zum Glück gemeldet.
Welche Erleichterung.
Ja, aber das Ganze ist so verletzend. Erst lässt man meine Eltern hier jahrelang nicht arbeiten, was sie psychisch fertig gemacht hat. Dann lässt man sie doch, nur um sie danach wie Tiere in ein Land abzuschieben, in dem sie 50 Jahre nicht waren. Ohne Rente, ohne alles.
Aber Sie selbst sind erst mal sicher hier, oder?
Naja, meine Eltern waren vermeintlich auch sicher. Ich bin in Ausbildung und habe mit der Behörde vereinbart, dass mein Bruder und ich unsere Pässe besorgen und erst mal Ruhe haben. Aber wenn ich einen Pass habe, kann ich theoretisch abgeschoben werden.
Zumindest die Ausbildung sollte Sie schützen. Wie kamen Sie auf die Podologie?
Da muss ich etwas ausholen – traurig, dass ich keine Frage kurz beantworten kann, oder? Nach dem Abitur konnte ich nicht studieren, weil ich nur einen kurzen Aufenthaltsstatus hatte, da nimmt dich die Uni nicht. Das ist eine Frechheit, du darfst zwar studieren, aber erfüllst die Auflagen nicht. Sollen die doch gleich sagen „Du darfst hier nicht studieren.“ Eine Ausbildung zu finden, war mit begrenztem Aufenthalt auch schwierig, da kam nur eine schulische Ausbildung infrage. Ich habe Physiotherapie angefangen, das Gesundheitswesen fasziniert mich.
Wieso haben Sie gewechselt?
Als meinen Eltern mal wieder eine Abschiebung angedroht wurde, entzog man ihnen die Arbeitserlaubnis. Da musste ich abbrechen, ich konnte ihnen ja nicht auf der Tasche liegen. Meine Eltern wurden dann doch nicht abgeschoben und durften wieder arbeiten, aber ich konnte nicht mehr anfangen, es ging mir psychisch sehr schlecht. Irgendwann erzählte mir eine Freundin von der Podologie-Ausbildung, damit fing ich dann in Lübeck an, da kostet es kein Schulgeld.
Wie schafften Sie es aus der depressiven Phase heraus?
Ich hatte Minderwertigkeitskomplexe, war introvertiert, aggressiv und dachte, irgendwas stimmt bei mir nicht. Am Anfang habe ich meinem Vater die Schuld gegeben. Ich dachte, es kann nicht sein, dass er nichts falsch gemacht hat. Dann habe ich realisiert, dass er traumatisiert ist. Als ich ihn zur Ausländerbehörde begleitete, merkte ich, wie unmenschlich mit ihm umgegangen wird. Mittlerweile habe ich gelernt, dass es meine Geschichte ist und wer damit nicht klar kommt, ist hier in Hamburg fehl am Platz.
Sie sind im Reichenviertel Blankenese aufgewachsen. Wie war das?
Es hieß immer „bald müsst ihr hier weg“, daraus wurden 15 Jahre. Es gab nur zwei Zimmer, davon war eins im Winter nicht bewohnbar. Wir hatten viel Besuch, aber ich habe mich geschämt für den Schimmel an der Wand und weil wir so wenig Platz hatten. In der Schule wurde ich gemobbt, weil ich anders aussah. Skinny war zwar im Trend und ich war magersüchtig. Aber mein Körperbau ist etwas breiter und man kann seinen Körper zu nichts zwingen, was nicht geht.
Haben die Lehrer nicht interveniert?
Die haben das schon mitgekriegt, aber nicht geholfen und mich nie gefördert. Meine Eltern haben mir Nachhilfe bezahlt und Schwimmkurse, damit ich schwimmen konnte, bevor es in der Schule dran war, sodass ich dann auf jeden Fall mitkomme. Ich habe das Abitur ja auch geschafft, aber ich hätte mehr aus mir rausholen können, wenn ich nicht tief im Inneren gedacht hätte: „Okay, vielleicht bin ich doch dumm.“
Was gibt Ihnen heute Kraft?
Ich musste schon als Kind erwachsen sein. Es fällt mir leicht, Dinge für andere zu regeln, aber für mich selbst gar nicht. Aber ich musste immer überleben. Wenn man oft kurz vor dem Abgrund stand und es jedes Mal geschafft hat, weiß man, dass es geht – das hilft mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin