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Abschiebung aus NiedersachsenBehörde schiebt Minderjährige ab

Eine 15-jährige Albanerin ist aus Niedersachsen abgeschoben worden. Weder ihre Pflegeeltern noch das Jugendamt wurden informiert.

Abgeschoben nach Albanien: die 15-jährige Kejti Foto: privat

HAMBURG taz | Kinderschutz geht vor ausländerrechtliche Bestimmungen – eigentlich. Im Fall der 15-jährigen Kejti spielte der Kinderschutz offenbar keine so große Rolle: Die Ausländerbehörde des Landkreises Wesermarsch in Niedersachsen schob das Mädchen nach Albanien ab, ohne, wie in solchen Fällen vorgeschrieben, das Jugendamt zu informieren.

Auch die Pflegefamilie, bei der Kejti seit einiger Zeit lebte, wurde nicht informiert. Die 15-Jährige hatte zudem einen Ausbildungsplatz als medizinische Fachkraft in Aussicht und eine Duldung zu Ausbildungszwecken beantragt. Die Behörde schob sie trotzdem ab.

Der Fall ist mittlerweile beim Oberverwaltungsgericht gelandet – ein Anwalt der Pflegefamilie hatte Beschwerde gegen die Abschiebung eingereicht. Das Oberverwaltungsgericht wies diese zurück – der Ausbildungsvertrag sei zu spät gekommen, heißt es sinngemäß. Zu dem Zeitpunkt, als die Abschiebung eingeleitet worden sei, habe die Ausländerbehörde nichts von dem Ausbildungsplatz gewusst.

„Das ist eine glatte Lüge“, sagt Kejtis Pflegevater Erwin Jahnke. Bei einem Termin beim Amtsgericht im Juli hatte die Richterin selbst in der Ausländerbehörde angerufen und den Sachbearbeiter über die Ausbildung informiert, die zum ersten August beginnen sollte. Es fehlten nur die Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde und die Duldung zu Ausbildungszwecken.

Das Integrationsgesetz

Das Integrationsgesetz gilt bundesweit seit dem 6. August 2016 und beinhaltet unter anderem: die Schaffung von 100.000 Minijobs zu 80 Cent pro Stunde; verpflichtende Integrationskurse, sonst drohen Leistungskürzungen; eine Duldung für Flüchtlinge während einer dreijährigen Ausbildung sowie ein Aufenthaltsrecht für zwei weitere Jahre bei einer Beschäftigung nach dem Abschluss; eine Zuweisung des Wohnsitzes durch die Länder bei Arbeitslosigkeit; Bleiberecht erst nach fünf statt wie bisher nach drei Jahren und nur bei Nachweis eines fortgeschrittenen Sprachniveaus und wenn die Geflüchteten ihren Lebensunterhalt bestreiten können

Auf beides hätte Kejti einen Anspruch gehabt, sagt auch der niedersächsische Flüchtlingsrat. Seit Anfang August schreibt das Integrationsgesetz vor, dass auch Flüchtlinge eine Duldung bekommen, wenn sie einen Ausbildungsplatz haben. Nur war das Gesetz zu diesem Zeitpunkt zwar schon beschlossen, aber noch nicht in Kraft. Deshalb bekam Kejti die Duldung nicht, sondern die Aufforderung, ihre freiwillige Ausreise zu unterschreiben. Die 15-Jährige unterschrieb – in der Hoffnung, das Gesetz würde noch rechtzeitig in Kraft treten, sodass sie dann doch noch die Duldung bekäme.

Was weder Kejti noch ihre Pflegeeltern oder das Jugendamt wussten, war, dass es bereits einen Erlass des niedersächsischen Innenministeriums gab, der die Ausländerbehörden anweist, schon vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes so zu entscheiden, als gelte dieses bereits. „Da viele Ausbildungsverhältnisse bereits zum ersten August beginnen und Rückführungen angesichts des absehbaren Inkrafttretens der Neuregelung unverhältnismäßig wären, bitte ich, die unter die künftige gesetzliche Regelungen fallenden Betroffenen zu dulden“, steht in der Weisung, die der taz vorliegt. Datiert ist das Schreiben auf den Tag, bevor die Ausländerbehörde Kejti ihre freiwillige Ausreise unterschreiben ließ.

Wirksam wurde das Integrationsgesetz am sechsten August. Zu spät für Kejti, da die Abschiebemaßnahmen schon eingeleitet waren, wie der Sprecher des Landkreises, Matthias Sturm, sagt. Als sie am 17. August zu einem Termin bei der Ausländerbehörde erschien, wurde sie von den Sicherheitsbeamten direkt zum Flughafen gebracht. Dass sie unterschrieben hatte, bis Ende des Monats „freiwillig“ auszureisen, interessierte niemanden. Sie durfte nicht mal einen Koffer holen.

Weder der Landkreis noch das niedersächsische Innenministerium finden den Fall problematisch – alles sei rechtmäßig verlaufen. „Die Entscheidung erfolgte in eigener Zuständigkeit der Ausländerbehörde auf der Grundlage geltenden Rechts“, sagt das Innenministerium.

„Sie wollten sie die ganze Zeit abschieben, und das haben sie letztlich getan“, sagt Kejtis Pflegemutter. Und Kejti? Sie ist bei ihren leiblichen Eltern in Albanien. Gut gehe es ihr nicht, berichten ihre Pflegeeltern. Sie wollen gucken, welche Möglichkeiten es gibt, sie zurückzuholen.

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14 Kommentare

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  • Wenn man sich für Integration entscheidet, dann muss man sie auch akzeptieren. Dieses Mädchen ist nun wirklch integriert gewesen und daran interessiert, hier bei uns zu leben und zu machen, was dafür notwendig ist. Bis zum 18. Geburtstag hätte sie das doch geschafft und alles soweit in Ordnung gehabt, dann hätte sie auch dauerhaft hier bleiben können. Mit dem Zurückholen wird's wohl eher schwierig werden, wage ich mal zu behaupten. Dazu müsste ein Gericht das entscheiden und anordnen, wenn das geschieht, sieht der Staat aber sehr alt aus.

  • Sollten die Fakten zutreffen, fragt man sich schon, ob hier nur deswegen abgeschoben wird, weil es gerade leicht geht.

     

    Wäre das keine 15-jährige sondern ein standfester Erwachsener gewesen, hätte man sich das wohl nicht getraut.

  • Ehrlich gesagt hat sie es in Albanien wahrscheinlich besser als in Deutschland.

     

    Das war Sarkasmus.

  • Ist schon eine Peinlichkeit erster Güte: wenn der Mumm fehlt, Wiederholungstäter abzuschiedenm dann eben intergrationswillige junge Menschen mit einer beruflichen Perspektive.

    Dass es noch Menschen gibt, die ein solches Land für erstrebenswert halten...

  • Deutschland, kaltes Deutschland - was tut ihr Bürokraten Nicht in meinem Namen - nicht mal einen Koffer durfte das Mädchen mitnehmen - Deutschland, kaltes Deutschland - wo ist das Herz geblieben, wenn es das denn je gab? Ich schäme mich wieder einmal für mein Land!

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Sie hat unterschrieben, dass sie ausreisen möchte? Und sich dann schnell noch nen Ausbildungsplatz besorgt?

     

    Und jetzt ist sie bei den leiblichen Eltern? Also da, wo ne 16jährige hingehört?

     

    Verwirrend.

    • @12294 (Profil gelöscht):

      Wenn man den Artikel ganz genau liest, entsteht durchaus der Eindruck, dass sie erst den Ausbildungsplatz hatte und die Aufforderung zur freiwilligen Ausreise danach erging...

      • 1G
        12294 (Profil gelöscht)
        @Sebas.tian:

        Richtig, danke für den Hinweis.

         

        Letzten Endes hat das ganze aber für mich dennoch ein Geschmäckle. Jedenfalls ein gutes Argument für ein Einwanderungsgesetz.

  • Das Mädchen ist kein Flüchtling. Sie ist eine mindejährige Migrantin aus einem europäischen Land. Es stellt sich die Frage, ob die Pflegeeltern das recht haben, sie "zurückzuholen", wenn sie doch Eltern in Albanien hat.

    In diesem Fall sind mehr Fragen offen als Antworten, daher kann man niemanden verurteilen.

    • 3G
      35381 (Profil gelöscht)
      @Brigitte Sanders:

      Da sehe ich genauso.

      Sie ist keine Waise. Sie ist kein Flüchtling.Sie ist minderjährig.

      Warum ist sie hier? Diese Info fehlt in dem Artikel.

      • @35381 (Profil gelöscht):

        Die Eltern waren wohl auch hier, sind aber, laut NWZ-online, bereits freiwillig nach Albanien zurückgekehrt.

        Da sie an der Oberschule Jade einen Realschulabschluss abgelegt hat, war sie wohl anscheinend auch schon eine Weile hier.

        Die Frage, die sich mir stellt, ist nicht unbedingt, warum sie hier ist, sondern warum sie, ob der Perspektive, die sie hat, nach Albanien soll.

         

        Im übrigen heisst der Herr Janke, nicht Jahnke... Aber das ist eine Petitesse.

  • "Weder der Landkreis noch das niedersächsische Innenministerium finden den Fall problematisch – alles sei rechtmäßig verlaufen. „Die Entscheidung erfolgte in eigener Zuständigkeit der Ausländerbehörde auf der Grundlage geltenden Rechts“, sagt das Innenministerium."

     

    Ich kann es nicht mehr hören, diese Paragraphenreiterei geht mir tierisch auf die Nerven. Ja nicht einmal menschlich entscheiden, besonders wenn es um Kinder und Jugendliche geht. Hauptsache man kann Abends am Esstisch stolz verkünden, mal wieder erfolgreich jemanden abgeschoben zu haben. Na hoffentlich halten sich die Verantwortlichen immer an "geltendes Recht". That's make me sad.

    • @Jan Berger:

      Auch wenn's nix nützt. Wieder mal der gute alte Thoreau: "Wenn das Gesetz so beschaffen ist, dass es dich zwingt, einem anderen Unrecht anzutun, dann, sage ich, brich das Gesetz."

      Oder, speziell für die Leute von den Parteien mit dem "C", da hat derjenige mal sinngemäß gefragt, ob der Mensch für das Gesetz oder das Gesetz für den Menschen da wäre.

  • Da sind sie wieder, die Herren in ihren langen Ledermänteln, stets nachts klingelnd auf der Suche nach Opfern...

    Was für eine Republik, die auf Zuruf ihrer Rassisten die Geschäfte des Verbrechens voran treibt!