Abschiebehaft und der Fall Anis Amri: Das Problem liegt woanders
Nicht die Rechtslage zur Abschiebehaft ist ursächlich dafür, dass der Attentäter in Freiheit blieb. Seine Gefährlichkeit wurde falsch eingeschätzt.
taz | Warum wurde Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, nicht in Abschiebehaft genommen? Politisch liegt die Frage auch deshalb auf Wiedervorlage, weil im Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt wird. Und ausländerrechtlich waren die Behörden dort für Amri zuständig. Vor allem Innenminister Ralf Jäger (SPD) steht unter Druck. Er beteuert, man sei im Fall Amri „bis an die Grenzen des Rechtsstaats“ gegangen. Doch es wachsen die Zweifel, ob die NRW-Behörden ihre rechtlichen Möglichkeiten wirklich genutzt haben.
Die Abschiebehaft ist laut Gesetz auch über sechs Monate möglich, wenn der Ausreisepflichtige seine Abschiebung „verhindert“. Eine Verhinderung liegt vor, so der BGH, wenn der Ausländer nicht an der Beschaffung von Ersatzpapieren mitwirkt. Es genügt zum Beispiel, dass er – wie Amri – falsche Angaben zu seiner Identität macht. Amri hätte Ende Juli also durchaus in Abschiebehaft genommen werden können.
Zugunsten der NRW-Behörden ist aber festzuhalten, dass dies nicht die Regel ist. So leben zum Beispiel in Sachsen rund 800 ausreisepflichtige abgelehnte tunesische Asylbewerber – und kein Einziger von ihnen sitzt in Abschiebehaft.
Bundesinnenminister de Maizière schlug Anfang Januar eine Änderung der Regeln zur Abschiebehaft vor. Diese solle künftig auch dann verhängt werden können, wenn die Beschaffung von Ersatzpapieren in den Heimatländern voraussichtlich länger als drei Monate dauert.
Tatsächlich lag das Problem ganz woanders. Ende Juli waren die Sicherheitsbehörden nicht mehr der Auffassung, dass Anis Amri sonderlich gefährlich ist. Sie sahen also gar keinen Grund mehr, nach einer Rechtsgrundlage für eine Inhaftierung zu suchen. Entscheidend war also nicht die Rechtslage, sondern der Irrtum über Amris Gefährlichkeit.
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