Abschiebehaft im EU-Auftrag: "Guantanamito" in der Sahara
Abschiebehaft im verriegelten Klassenzimmer, Festnahme ohne Grundlage: wie Mauretanien im EU-Auftrag westafrikanische Migranten von Europa fernhält.
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BERLIN taz Das Abschiebegefängnis ist so verrufen, dass es nicht einmal einen offiziellen Namen hat. "Guantanamito" nennen die Insassen das zum Straflager ausgebaute ehemalige Schulgelände am Rande der mauretanischen Atlantikhafens Nouadhibou. 2006 mit spanischen Geldern renoviert, zählt "Guantanamito" 216 Stockbetten in ehemaligen Klassenzimmern, wo illegale Migranten dahinvegetieren.
"Die Türen sind permanent verriegelt", erzählt ein Insasse gegenüber der Menschenrechtsorganisation amnesty international, die im März in Mauretanien den Umgang mit Abschiebehäftlingen untersuchte und am Dienstag darüber einen Bericht veröffentlichte. "Es ist heiß. Das Rote Kreuz bringt uns Nahrung, das ist alles. Wir urinieren in einen großen Eimer, der im ehemaligen Lehrertisch steht. Man sagt uns nichts." 62 Insassen fand die Amnesty-Delegation in den drei zum Zeitpunkt ihres Besuches als Zellen betriebenen Klassenräumen vor.
Seit Ende 2005, als Marokko seine Kontrollen verschärfte und die EU-Grenzagentur "Frontex" Seepatrouillen vor den Küsten Nordafrikas startete, ist Mauretanien zu einem bevorzugten Transitland für Migranten geworden, die den gefährlichen Seeweg nach Europa wagen. Das ist viel gefährlicher und teurer als aus Marokko, und entsprechend länger müssen die Wanderer in Mauretaniens wichtigster Hafenstadt Nouadhibou illegal Geld verdienen. So ist das Risiko der Festnahme groß. Außerdem schickt Spanien routinemäßig Illegale aus den Kanaren nach Mauretanien zurück, auf Grundlage eines Abkommens aus dem Jahr 2003, das eine Abschiebung nach Mauretanien auch dann erlaubt, wenn die Abgeschobenen nicht von dort kamen.
"Guantanamito" wurde laut amnesty eröffnet, nachdem Mauretaniens Regierung am 16. März 2006 bei einem Treffen mit Spaniens Regierung die "Absicht der Eröffnung von Empfangszentren für Migranten im Rücknahmeverfahren" bekundete. Spanien schenkte Mauretanien im Gegenzug vier Patrouillenboote und sagte Ausbildungshilfe für die Polizei zu.
Mehrere der Häftlinge in "Guantanamito" berichteten, sie seien ohne Begründung auf der Straße festgenommen worden - manche waren nicht einmal im Begriff, eine Ausreise zu planen. Abgeschoben werden die Häftlinge nach Mali, wenn sie von dort sind; alle anderen kommen nach Senegal, auch wenn sie zum Beispiel aus Westafrikas Bürgerkriegszone stammen - Elfenbeinküste, Liberia, Sierra Leone, Guinea. 2006 schob Mauretanien 11.600 Westafrikaner ab, 2007 7.100. Berufung gegen einen Ausweisungsbeschluss ist in Mauretanien nicht möglich.
"Guantanamito" registrierte während des Jahres 2007 insgesamt 3.257 Insassen, davon 1.381 Senegalesen und 1.229 Malier. "Da das Zentrum keinerlei Gesetzen unterliegt, gibt es keine Begrenzung der Haft", betont amnesty. Die Häftlinge bleiben, bis die Polizei wieder einen Transport zusammengestellt hat.
Es gibt in Mauretanien Schlimmeres. So manche Migranten strandeten während des Jahres 2006 in einem verminten Niemandsland an der Grenze zur marokkanisch besetzten Westsahara, das die lokale Bevölkerung "Kandahar" nennt. Manchmal haben große Gruppen Wochen dort verbracht, nur vom Roten Kreuz versorgt.
Mauretaniens Sicherheitskräften wirft amnesty "wahllose Festnahmen, Erpressungen und Misshandlungen" vor und kritisiert das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Abschiebehaft. Dies sei eine "bösartige Folge des Druckes der EU, insbesondere Spaniens, auf Mauretanien, sich aktiv am Kampf gegen illegale Migration zu beteiligen".
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