Abschaffung von Paragraf 219a: „Ein großartiger Tag“
Der Bundestag hat die Abschaffung des Informationsverbots für Abtreibungen nach Paragraf 219a beschlossen. Eindrücke aus dem Plenarsaal.
„Es ist Zeit für mehr Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte, und es ist Zeit für mehr Informationsfreiheit für Frauen“, sagt zu Beginn der Debatte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Dass Paragraf 219a keineswegs nur Werbung, sondern vor allem sachliche Information durch Fachleute verbietet, das hat der Fall Kristina Hänel mehr als deutlich gemacht: Die Allgemeinmedizinerin wurde 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil auf ihrer Webseite stand, dass und mit welchen Methoden sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Seither setzte sie sich für ein Ende des Informationsverbots ein.
„Im Internet kann jedermann, selbst jeder Troll und jeder Verschwörungstheoretiker alles mögliche über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten“, sagt Buschmann. „Aber dass wir hochqualifizierten Ärztinnen und Ärzten bei Kriminalstrafe verbieten, dort sachliche Informationen bereitzustellen, das ist absurd, das ist aus der Zeit gefallen, das ist ungerecht und deshalb beenden wir diesen Zustand.“
Es sei „ein großartiger Tag“, ergänzt Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne). Mit der Abschaffung ende die „jahrzehntelange Stigmatisierung und Kriminalisierung von Ärzt*innen“. Es sei eben „kein glücklicher Tag“, widerspricht CSU-Politikerin Dorothee Bär. Union und AfD betonen, das Bundesverfassungsgericht habe den „Schutz des ungeborenen Lebens“ vorgegeben – und zu diesem gehöre Paragraf 219a. Es gehe bei der Debatte „um zwei Menschen: um die Frauen, und um die Kinder“, sagt Bär.
Politik kommt Verfassungsbeschwerde zuvor
„Sie werden gleich jubeln, wenn das Gesetz durchgeht“, prognostiziert die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. „Aber vergessen Sie nicht: Sie können nur jubeln, weil sie leben. 100.000 Kinder in diesem Land, jedes Jahr, werden niemals jubeln können, weil sie nicht leben.“ In Deutschland finden jedes Jahr rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche statt, die allermeisten davon in frühen Stadien der Schwangerschaft.
Hänel zog gegen ihre Verurteilung durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Ihre Verfassungsbeschwerde und die zweier weiterer Ärzt*innen sind dort anhängig. Nun ist die Politik einer Entscheidung zuvorgekommen: Die Parlamentarier*innen beschlossen auch eine Aufhebung der ergangenen Urteile. Hänel will sich derzeit nicht dazu äußern, ob sie ihre Verfassungsbeschwerde zurückzieht.
Das Bundesverfassungsgericht könnte auch zum Zug kommen, falls die Union dort die Abschaffung von Paragraf 219a überprüfen lassen will. Doch keine*r der Redner*innen an diesem Tag kündigt einen solchen Schritt an. Immer wieder zollen die Befürworter*innen der Streichung ihren Respekt gegenüber Kristina Hänel und den Menschen, die an diesem Tag neben ihr auf der Tribüne sitzen: Weitere verurteilte Ärzt*innen und feministische Aktivist*innen, die in den vergangenen Jahren den Druck aus der Zivilgesellschaft auf die Politik aufrechterhalten haben.
Denn eine politische Mehrheit für die Abschaffung von Paragraf 219a hätte es schon im Jahr 2017 gegeben, nach Hänels erster Verurteilung. Doch dann trat die SPD in eine weitere Große Koalition ein – und konnte gegen die Union nichts weiter als eine halbherzige Reform der Rechtslage durchsetzen. Seither dürfen Ärzt*innen darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Alle weiteren Informationen aber, etwa zur angewandten Methode, bleiben verboten.
Ampel uneins bei Paragraf 218
Hänel und mehrere ihrer Kolleg*innen wurden aufgrund der neuen Rechtslage erneut verurteilt. Außerdem führt die Bundesärztekammer nun eine Liste mit verfügbaren Ärzt*innen. Auf dieser stehen bis heute nur 368 Ärzt*innen. Das ist gerade mal ein Drittel der ohnehin nur rund 1.100 Einrichtungen bundesweit. Es gebe ein sich zuspitzendes Problem, attestieren mehrere Politiker*innen. „Angesichts des drastischen Rückgangs von über 50 Prozent bei Ärzt*innen, die Abbrüche machen können, müssen wir die Versorgungssicherheit von Frauen verbessern“, sagt die Grüne Ulle Schauws.
Laut Koalitionsvertrag sollen Schwangerschaftsabbrüche künftig kostenfrei sein und verstärkt Thema der medizinischen Aus- und Weiterbildung werden. Auch will die Ampel gegen die sogenannte Gehsteigbelästigung vorgehen – also gegen Abtreibungsgegner*innen, die vor Arztpraxen und Beratungsstellen stehen, um Beschäftigte und ungewollt Schwangere einzuschüchtern.
In einem Punkt aber, das zeigt die Bundestagsdebatte, sind SPD, Grüne und FDP sich keineswegs einig. „Ein Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch“, sagt Schauws. Andere Redner*innen von SPD und Grünen sehen das ähnlich. Man müsse im Jahr 2022 auch über Paragraf 218 Strafgesetzbuch sprechen, bekräftigt Bundesfrauenministerin Lisa Paus. Dort ist geregelt, dass Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich eine Straftat und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei sind.
Die Paragrafen 219a und 218 müsse man strikt trennen, betont hingegen Bundesjustizminister Marco Buschmann. Keineswegs wolle man Abtreibungen legalisieren, versichern die Redner*innen der FDP. Und so verwundert es nicht, dass im Koalitionsvertrag lediglich die Rede ist von einer Kommission, die Möglichkeiten der Regulierung außerhalb des Strafrechts „prüfen“ soll.
Aus für 219a nur ein erster Schritt
Trotz „aller Genugtuung“, sagt deswegen die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek, sei die Abschaffung von Paragraf 219a „nur ein erster Schritt“ – auch der Paragraf 218 müsse weg. In vielen europäischen Ländern seien die Abtreibungsgesetze schon längst liberaler. „Und in Deutschland? Müssen wir dafür kämpfen, dass wenigstens Informationen nicht bestraft werden.“ Schwangerschaftsabbrüche werde es immer geben. „Die Frage ist: Wie sicher sind sie, und wie stark ist die Belastung für die Betroffenen?“
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