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AbitreffenWie Nach­hause­kommen

Unsere Autorin fuhr aus Neugier zum Abitreffen mit „Bravo“-Hits und Kleinem Feigling – und trägt seitdem ein wärmendes Gefühl mit sich herum.

20-Jahre-Abitreffen! Feiern oder verweigern? Foto: Silas Stein/imago

K ürzlich flattert eine Einladung ins Postfach: 20-Jahre-Abitreffen! Bei Kleinem Feigling und Bravo-Hits will man sich an alte Zeiten erinnern. „Mich würden da keine zehn Pferde hinkriegen“, sagt eine Kollegin – aber wenn ich Lust drauf habe, wird’s bestimmt super. Lust? Na ja. Neugier trifft es eher, und so fahre ich zwei Tage vor Weihnachten Richtung alte Heimat.

Ein Glück, habe ich hier damals den Absprung geschafft, denke ich, als ich mir einen Weg durch die übervolle Fußgängerzone bahne. Triste 50er-Jahre-Bauten, Pferdeäpfel von der berittenen Polizei am Boden, ein paar Meter weiter dreht sich wie jedes Jahr die häss­liche Holz­pyramide, die zugleich Glühweinstand ist.

Ich habe mich mit einer alten Freundin in der Innenstadt verabredet, um gemeinsam zum Abitreffen zu gehen. Wir mögen uns, obwohl wir mittlerweile grundverschieden sind. Von unserer politischen Einstellung her, aber auch outfittechnisch. Während sie sich gerne im Old Money Style kleidet, habe ich mich mal wieder für existenzialistisches Schwarz entschieden. Der Subtext: Hey Leute, ich habe zwar keine Kohle, dafür bin ich Kosmopolitin geworden. Nun ja …

Das Treffen findet in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt in unserer ehemaligen Ausgehgegend statt. Ein alter Schulfreund hat das Projekt initiiert, ein anderer ist samt Familie dazugezogen. Als Freundin W. und ich ankommen, räumen die beiden Männer gerade das Kinderspielzeug weg. Alle haben etwas mitgebracht: Bier, Limo, aber auch abgelaufene Chips, die mit einer speziellen App „gerettet“ wurden.

Ich halte mich an den Crémant von W. Er ist das beste Getränk am Tisch. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Immerhin sitze ich hier mit Leuten zusammen, die ich zum Teil seit dem Abi­tur nicht mehr gesehen habe. A. sieht viel besser aus als früher. C. ist immer noch so süß und schlau wie eh und je. Gut, vielleicht haben wir alle ein paar Falten und graue Haare bekommen, aber ich erkenne je­de*n Ein­zel­ne*n wieder, selbst die, die ich komplett vergessen hatte.

Wir trinken, wir rauchen, wir kiffen

Unsere Gespräche drehen sich erst mal um Biografisches: wer was studiert hat; wo wer arbeitet; wie viele Kinder; Wohnort; blabla. Einer ist Unternehmens­fotograf geworden, eine andere hat das Landesverdienstkreuz gekriegt. Auffällig ist die Piercingdichte und dass fast alle einen Ehering tragen. Die Themen reichen von Vasektomie bis Mülltrennung. „Hast du dir schon Gedanken um deine Altersvorsorge gemacht?“ – „Geht so …“ Das Stichwort: „Meditation“ fällt erstaunlich oft.

Doch wir schwelgen auch in Erinnerungen: „Wisst ihr noch die Klassenfahrt, als B. einfach in unser Zimmer gepinkelt hat?“ Gelächter. Wir googeln F., in den damals alle verliebt waren, und stellen fest, wie viel Spaß wir früher hatten: auf der Obstbaumwiese, im Jugendzentrum, bei den legendären Brinker-Partys. W. fragt: „Was ist eigentlich aus unserer Bier-Bong geworden?“ Wir blättern im Abibuch. Lästern.

Wir trinken, wir rauchen, wir kiffen. Dann darf sich je­de*r einen Song aussuchen. Die besten kommen von Z. Er liebte schon immer den 90er-Jahre-Techno, und jetzt hüpft und hüpft und hüpft er und ich hüpfe mit. Es ist weit nach Mitternacht, als wir uns zum Abschied umarmen und versprechen, dass wir uns bald wiedersehen. Ob es wirklich dazu kommt: ungewiss. Trotzdem trage ich seitdem ein wärmendes Gefühl mit mir herum. Nicht, weil dieses Treffen besonders spektakulär gewesen wäre. Aber es fühlte sich wie Nachhausekommen an.

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Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
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