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Abholzen schwedischer WälderHolzkonzern greift Nachhaltigkeit an

Europas größter privater Waldbesitzer SCA verzichtet in Schweden auf die anerkannte FSC-Zertifizierung. Die lege zu viel Wert auf Artenschutz.

Im Visier der Holzindustrie: schwedischer Wald Foto: imagebroker/imago

Härnösand taz | Schwedens Holzkonzern SCA präsentiert seine intensive Waldbewirtschaftung als entscheidend für den Klimaschutz. Zu viel Rücksicht auf Biodiversität bremst dabei aus seiner Sicht aber. Wie ernst es ihm ist, zeigt Europas größter privater Waldbesitzer jetzt mit einem ungewöhnlichen Schritt: Ab Juni verzichtet er in Schweden auf die angesehene FSC-Zertifizierung (Forest Stewardship Council) für nachhaltige Waldwirtschaft – zumindest vorerst. Das Siegel lege zu einseitigen Wert auf biologische Vielfalt, heißt es zur Begründung in einer E-Mail an die Organisation Forest Stewardship Council, aus der die Zeitung Dagens Nyheter Ende vergangener Woche zitierte.

Die Entscheidung folgt in zeitlicher Nähe zu einem lange schwelenden Konflikt in den Wäldern der schwedischen Provinz Västernorrland. Ak­ti­vis­t*in­nen blockierten dort mehrfach Abholzungsmaschinen von SCA, um gegen den fortgesetzten Kahlschlag auch von alten Wäldern zu protestieren. Aktueller Aufhänger dafür war, dass die samischen Rentierhalter der Region ihre für die FSC-Zertifizierung nötige Zustimmung zu Abholzungsprojekten zurückgezogen hatten.

Die Protestaktionen seien nicht der Grund für die Entscheidung gewesen, schreibt Jonas Mårtensson, Chef des SCA-Geschäftsbereichs Wald, der taz auf Anfrage. „Allerdings sind sie eine Bestätigung dafür, dass der FSC-Standard undeutlich und interpretierbar ist.“ Er könne von Außenstehenden dazu benutzt werden, „ganz unnötige Konflikte voranzutreiben, um für ihre eigene Sache Aufmerksamkeit zu schaffen.“

Die „eigene Sache“ der Ak­ti­vis­t*in­nen etwa von Greenpeace oder „Skogsupproret“ (Waldaufruhr) ist denen der Rentierhalter ähnlich: Sie alle wollen das hohe Tempo der Abholzung in Schweden stoppen, um Biodiversität und Artenvielfalt zu erhalten.

Holzkonzern gehört die ganze Verwertungskette

SCA betont, das Unternehmen wolle eine Balance finden zwischen allen Interessen. Mit den aktuellen FSC-Kriterien sei die nicht gegeben. „Wir wollen FSC treffen und erklären, welche bedeutenden Mängel wir im Standard sehen, und hoffentlich gute Lösungen finden“, so Mårtensson. Den Konflikt mit der Rentierhaltergruppe Ohredahke Sameby nennt er ein Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. Da sei es um 0,4 Prozent eines riesigen Weidegebietes gegangen. „Wenn nicht einmal begrenzte Teile einer Geografie für wirtschaftlich tragfähige Waldnutzung genutzt werden darf, die dem Klima durch erneuerbare Rohstoffe nutzt“, so Mårtensson, „wird der Standard natürlich unausgeglichen und aus unserer Sicht kontraproduktiv.“

„Sehr bedauerlich“, nennt Anders Esselin von FSC Schweden die Entwicklung. „Wir hatten seit Langem Gespräche mit SCA, und ich hatte gehofft, dass wir eine Lösung finden können.“ Er halte FSC für eine wichtige Dialogplattform. „Deshalb ist es schade, wenn ein großer Player geht.“

SCA gehört neben 2,7 Millionen Hektar Wald in Nordschweden und im Baltikum auch eine komplette Verwertungskette: Sägewerke, Papier- und Zellstofffabriken, Windkraftanlagen, Biokraftstoffraffinerien, Containerschiffe und Hafenanlagen.

Ausstieg kommt nicht überraschend

Bekannter Kritiker der Annahme, dieses Geschäftsmodell sei wichtig für den Klimaschutz, ist Göran Englund, Professor emeritus an der Universität Umeå. Seiner Forschung zufolge sind die Klimavorteile der Produkte aus nachwachsendem Rohstoff zu gering, um mehr Abholzung zu rechtfertigen. Weniger abzuholzen, brächte mehr fürs Klima.

Für Greenpeace Schweden kommt der FSC-Ausstieg nicht überraschend. „Es gab schon länger Gerüchte, dass SCA die Zertifizierung verlassen wolle“, sagt Karolina Carlsson, Greenpeace-Sprecherin für Waldfragen, der taz. Aber wegen der enormen Tragweite glaubten die Aktivisten es erst, als es passierte.

Carlsson fürchtet eine Kampagne der Holzindustrie, um das FSC-Label zu schwächen. Denn mit der Firma Holmen hat inzwischen ein weiteres großes Holzunternehmen entsprechende Überlegungen publik gemacht. Dass SCA an einer Balance zwischen allen Interessen interessiert sei, nimmt Carlsson dem Konzern nicht ab. „SCA will einfach nur mehr abholzen, um seine Industrien zu füttern“, sagt sie.

Nicht nur FSC-Standards, auch internationale und schwedische Gesetze schützten die Natur und die Rechte von indigenen Bevölkerungsgruppen wie den Samen – zumindest im Prinzip. „Es fehlen in Schweden aber politischer Wille und Mechanismen, um diese Gesetze durchzusetzen“, kritisiert die Greenpeace-Sprecherin.Wenn die Selbstverpflichtung von Unternehmen im Rahmen der FSC-Zertifizierung wegfalle, werde es umso wichtiger, die Politik zu Veränderungen zu drängen.

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