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Abfuhr für weiteren Mindestlohn"Aus Mangel an Interesse"

Das Bundesarbeitsministerium hat eine verbindliche Lohnuntergrenze für die Weiterbildungsbranche abgelehnt. Die Gewerkschaft GEW beklagt Stundenlöhne von vier bis fünf Euro

Beschäftigte im Bereich Weiterbildung kommen teilweise auf einen Stundenlohn von nur fünf Euro. Bild: dpa

BERLIN taz | Für die Weiterbildungsbranche im Rahmen des Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuches wird es auch in Zukunft keinen Mindestlohn geben. Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) lehnte am Dienstag einen Antrag der Gewerkschaften Ver.di und GEW sowie des Arbeitgeberverbandes Bundesverband Berufliche Bildung ab.

Die drei hatten im Mai 2009, zu Zeiten der großen Koalition, für ihren Tarifvertrag die Allgemeinverbindlichkeit beantragt. Die Aus- und Weiterbildung im Rahmen des Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuches umfasst Weiterbildung die Arbeitslosen angeboten wird, unter anderem im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit. Die Branche steht bereits im Arbeitnehmerentsendegesetz, ein Erlass zur Allgemeinverbindlichkeit hätte zur Folge gehabt, dass auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber den Mindestlohn hätten zahlen müssen. Er liegt derzeit bei 12,28 (West) und 10,93 Euro (Ost).

Das BMAS begründete die Ablehnung mit einem Mangel an öffentlichem Interesse. "Damit ein öffentliches Interesse am Erlass besteht, muss der zu erstreckende Tarifvertrag ein Mindestmaß an Repräsentativität aufweisen", schreibt das BMAS. Die ermittelte Tarifbindung betrage jedoch "allenfalls 25 Prozent".

Stephanie Odenwald, im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für Bildung und Weiterbildung zuständig, bestreitet diese Zahl nicht. Es sei jedoch ein Skandal, dass die Entscheidung nur davon abhängig gemacht werde, wie viele Unternehmen den existierenden Tarifvertrag bereits anwendeten. "Wir haben es in der Branche schließlich mit Unterbezahlung zu tun, die hart an der Hartz-IV-Grenze liegt."

Drei Viertel der rund 35.000 Beschäftigten arbeiteten auf Honorarbasis. Nicht wenige von ihnen bekämen 10 Euro Stundenlohn, von dem sie noch Versicherungsbeträge und Steuer bezahlen müssten. "Wenn sie die Vor- und Nachbereitungszeit einrechnen, kommen sie auf Stundenlöhne von vier oder fünf Euro", sagte Odenwald. Auch Anette Kramme, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, kritisierte den Ministeriumsbeschluss: "Die Weiterbildung bleibt ein Paradies für unseriöse Billiganbieter - dank Frau von der Leyen."

Eine Expertise im Auftrag der GEW von 2010 kommt zu dem Schluss, dass vor allem Lehrkräfte, die für öffentliche Auftraggeber arbeiten, mit "unverantwortbaren prekären Einkommens- und Beschäftigungsverhältnissen" konfrontiert seien.

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6 Kommentare

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  • F
    FreiDenker

    So viel zum Thema Globalisierung.

     

    Was haben z. B. Wachleute, Putzkräfte, Pflegedienstleister, Verkäufer im Einzelhandel, Friseure mit der Globalisierung zu tun.

     

    Eben nichts. Und noch einmal nichts.

     

    Wenn der letzte Bürger in dem Land aufwacht und wählen geht. Erst dann ändert sich etwas hier in dem Land.

  • A
    anonymus

    Meine Kollegen und ich arbeiten in der Aus- und Weiterbildungsbranche. Über einen Mindestlohn hätten wir uns alle gefreut, würde dies doch wenigstens eine kleine Anerkennung der geleisteten Arbeit bedeuten. Aber leider wird von Seiten der Regierung dem Lohndumping die Tür geöffnet. Sogar soweit, dass Unternehmen der Wirtschaft sich als Bildungsträger in der Aus- und Weiterbildung ausgeben, um ihre Personalnot mit Auszubildenden und Maßnahmeteilnehmern aufzufangen. So kann man auch Kosten sparen!!! Leider wird dies aber auch bei der Vergabe durch die Agentur für Arbeit bzw. zu einem späteren Zeitpunkt nicht kontrolliert. Und damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Jeder kann sich mit Billigpreisen um Bildungsmaßnahmen bewerben; Qualität und reele Kosten interessieren niemanden. Die Quittung wird in einigen Monaten bzw. Jahren folgen. Hoffentlich!!! Stuttgart 21 zeigt es, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss!

  • A
    Amos

    Sicher ist, dass diejenigen, welche die Armut verwalten, diese gern verwalten, damit sie nicht webst verwaltet werden.

  • V
    vantast

    Das ist Sozialneid bei den überbezahlten Besserverdienenden. Sie gönnen den hart arbeitenden Leuten nicht den geringsten Lohn. Meine Frau arbeite als Zimmermädchen im Hotel. Sie sagte, im Vertrag steht 8,15euro/Stunde, bezahlt wird aber als 4 Zimmer/Stunde. Jede, auch unverschuldete Verzögerung gibt Abzüge. Mir war klar, daß das nur eine Art von Abzocke ist, jetzt erfahre ich, daß es Betrug ist. Diese Betrugsform ist sehr weit verbreitet. Die Manager geben sich gute Gehälter auf Kosten der Ärmsten, hoffentlich kommen sie in die Hölle.

  • V
    vic

    Es gibt tatsächlich ein paar wenige Unternehmer, die aus freien Stücken fairen Mindestlohn bezahlen.

    Interessant hierzu das Journal Frontal21 im ZDF:

    http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,1001633,00.html?dr=1

  • S
    Sobieski

    Ja und?

    Doch bekannt, dass sich Deutschland selbst abschafft, mit seiner der Industrie hörigen Lobby!