piwik no script img

Abfallwirtschaft in DeutschlandStoppschild im Bundesrat

Die Länderkammer fordert die Bundesregierung auf, die Abfallentsorgung in Deutschland endlich gründlich zu reformieren.

Wenn der Fuchs kommt, fliegt der Abfall übers Feld. Gelbe Säcke in Brandenburg. Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Eine Art Stoppschild hat der Bundesrat am heutigen Freitag für das Bundesumweltministerium aufgestellt. Die Länderkammer hat den Antrag von fünf Ländern für ein neues Wertstoffgesetz angenommen und fordert darin ein „ökologisches, bürgernahes und effizientes“ Gesetz. Für die Bundesregierung ist die Forderung ein Signal dafür, dass sie ihren eigenen Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz im Bundesrat bei derzeitigen Mehrheitsverhältnissen nicht durchbekommen wird.

Ein Wertstoffgesetz steht seit 2009 in bislang jedem Koalitionsvertrag und soll die in die Jahre gekommene Verpackungsverordnung - die uns den gelben Sack und die gelbe Tonne beschert hat - ablösen. Bislang ist es aber an den widerstreitenden Interessen der öffentlichen und privaten Entsorgungswirtschaft sowie an dem ausgesprochen komplexen und reformrestistenten System gescheitert, mit dem in Deutschland Verpackungen entsorgt werden.

Verpackungen aus Kunststoff oder Metall landen bislang in der gelben Tonne, nicht aber Spielzeuge, Bratpfannen oder Schuhe aus gleichem Material. Diese „stoffgleichen Nichtverpackungen“ müssen bisher überwiegend im Restmüll entsorgt werden und werden verbrannt.

Laut dem Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) haben zahlreiche Landkreise und Städte zwar inzwischen schon Projekte gestartet, in denen Wertstoffe gemeinsam erfasst werden - rund 12 Millionen Einwohner verfügen bereits über ein solches Angebot. Doch ein Gesetz für alle fehlt. Das Bundesumweltministerium geht davon aus, dass in einer Wertstofftonne pro Einwohner um die fünf Kilogramm Sekundärrohstoffe aus Kunststoff oder Metall zusätzlich eingesammelt werden können.

Doch wer darf sammeln, sortieren und verwerten - und damit am lukrativen Geschäft mit dem Abfall verdienen? Der Vorschlag aus Baden-Württemberg versucht einen Kompromiss: Die Gemeinden sollen zuständig sein, die Wertstoffe einzusammeln, die beiden anderen Leistungen würden von einer „zentralen Stelle“ ausgeschrieben. „Wir lassen die Kommunen mit ihrer bürgernahen Vor-Ort-Präsenz die Sammlung organisieren und überlassen es dem Wettbewerb, wer die Wertstoffe sortiert und verwertet“, erklärte der grüne Umweltminister Franz Untersteller aus Baden-Württemberg.

Duales System ist zu teuer

Mit der zentralen Stelle entstünde zwar eine neue Behörde mit neuen Kosten, doch die elf Dualen Systeme, die bislang für die Entsorgung des Verpackungsmülls zuständig seien, kosteten jährlich über 100 Millionen Euro – „das bekommen wir besser und günstiger hin“, so Untersteller. Die Dualen Systeme würden damit überflüssig.

Untersteller will vor allem erreichen, dass mehr Kunststoff und Metall als bisher stofflich verwertet - also hochwertig recycelt, wird. Bislang sieht der Gesetzgeber eine werkstoffliche Verwertungsquote von 36 Prozent auf alle lizenzierten Kunststoffverpackungen im Jahr vor; sie wurden etwa vom Handel oder von Herstellern bei den Dualen Systemen angemeldet.

Im vergangenen Jahr waren das 1,2 Millionen Tonnen. Recycelt werden musste also die Menge von rund 432.000 Tonnen. Tatsächlich eingesammelt wurden aber 2,4 Millionen Tonnen - weil nicht alle Verpackungen angemeldet werden, oder weil Verbraucher auch Spielzeug etc. in die gelben Säcke werfen. Doch die vorgeschriebene Menge von 432.000 Tonnen bleibt - und damit sinkt die tatsächliche Recyclingquote auf nur noch 18 Prozent, rechnet das Umweltministerium vor.

Kommunen: Wir wollen keine Verstaatlichung

Die kommunalen Verbände sind mit dem Vorstoß des Bundesrates naturgemäß zufrieden . Er biete eine gute „Kompromisslinie“, sagt Torsten Mertins vom Deutschen Landkreistag. Man wolle für alle Tonnen zuständig sein, schließlich wende sich der Bürger schon jetzt an die Abfallbetriebe vor Ort, etwa wenn die Abholung der Säcke nicht funktioniere. Die Verwertung könne gerne die Privatwirtschaft übernehmen. „Wir wollen nichts verstaatlichen“, so Mertins.

Äußerst unzufrieden ist die private Entsorgungswirtschaft mit dem Antrag der Länder. Eine Verstaatlichung „gefährde Deutschlands weltweit anerkannte Vorreiterrolle beim Recycling und der Kreislaufführung von Rohstoffen“, kommentierte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft, Peter Kurth.

„Wir sind bisher bei den Bundesländern nicht auf Verständnis dafür gestoßen, dass eine Verdrängung privater Fachbetriebe zugunsten kommunaler Betriebe keine gute Lösung für das Recycling, für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger darstellt,“ kommentierte bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock die Entscheidung des Bundesrates. Es sei ja nachvollziehbar, so der bvse, dass die Aufgabenerledigung der Dualen Systeme für Skepsis gesorgt hat. In der Konsequenz nun aber die privaten Entsorgungsunternehmen aus einem wichtigen Teilmarkt faktisch auszuschließen, könne nicht der Weisheit letzter Schluss sein, so Rehbock.

Im BMUB ist man enttäuscht

Das Bundesumweltministerium wird sich nun in den nächsten Wochen mit dem Entschließungsantrag des Bundesrates befassen. Ministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte im Herbst einen eigenen Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz vorgelegt. Darin sind nicht nur höhere Recyclingquoten vorgeschrieben – 72 statt 36 Prozent des Abfalls müssten stofflich verwertet werden. Zudem wird das Prinzip der Produktverantwortung – wer eine Verpackung in Umlauf bringt, ist auch für ihre Entsorgung zuständig – auch auf andere Kunststoffe und Metalle ausgeweitet.

„Es ist schade, dass es in der Debatte jetzt nur noch darum geht, wer die Wertstoffe einsammeln und verwerten darf. Das ist ein Streit zwischen Lobbyisten“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Für die Verbraucher ist das eine irrelevante Frage. Aber für die Umwelt wäre es schlecht, wenn daran das Vorhaben scheitert.

Der Bundesrat kann die Regierung zwar zu nichts verpflichten; er signalisiert ihr nur, dass sie keine Mehrheit hat. Allerdings finden in den nächsten Monaten in einigen wichtigen, grün mitregierten Bundesländern Landtagswahlen statt - etwa in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Weil sich die Mehrheitsverhältnisse in den nächsten Monaten also ändern können, bleibt der Machtkampf um die Wertstofferfassung also offen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • in Berlin gab es vor ein paar Jahren schon mal die ORANGE Tonne, diese wurde dann wieder abgeschafft, weil BSR und ALBA sich darum gestritten hatten...,

  • Vorrangig vor der stofflichen Verwertung soll eigentlich die Vermeidung sein. Das bleibt wohl bei allen Vorschlägen außen vor. Nachhaltig ist etwas anderes.

  • Wir verbrennen Öl, Gas, Kohle bringen Uran zum schmelzen und in eigentlich brennbaren Abfall stecken wir abermals (fossile) Energie für das Recycling, für beste (hygienisch einwandfreie) Joghurt - Becher, anstatt Altkunststoffe zu verbrennen und aus Öl lieber wieder Erstware herzustellen.

    Man kann nicht alles verstehen bzw. hier eine Ökobilnaz wäre mal interessant.

    • @Tom Farmer:

      Die Ökobilanz kann ich Ihnen jetzt nicht liefern, aber zu bedenken geben, dass beim Recycling dann die Umweltbelastungen, die bei der Erstförderung des Rohstoffes (Erdöl) anfallen eben wegfallen.

       

      Und wie Sie dem Artikel entnehmen können, wird sowieso nur ein kleiner Teil recycelt. Einiges an LVP geht bereits in die thermische Verwertung, zum Beispiel als Ersatzbrennstoff in Zementwerken.

       

      Mehrweg statt Einweg wäre aber auch schon mal ein Vorteil.

      • @anteater:

        Klar. Aber ein verbrannter Joghurt Becher liefert ebenfalls Energie und daher wird diese Energie eingespart und muss nicht durch Gaskraftwrke oder Kernspaltung erzeugt werden. Bedenken Sie auch, dass im Gegensatz zu Kernkraftwerken Restmüllkraftwerke oft sehr effizient arbeiten da sie oft stadtnäher liegen und Wärme auskoppeln.

         

        Das Öl Äquivalent für verbrannten Müll bleibt ebenfalls im Boden.

         

        Also CO2 bilanziell prüfen: besser alles zu verbrennen und Öl einsparen und lieber neue Joghurtbecher herstellen und die ebenfalls für eine Energiegewinnung verbennen; einen stofflichen Zwischenstepp einziehen sozusagen.

         

        Ihr Gedanke Mehrweg scheint zielführend.

        • @Tom Farmer:

          Das Öl-Äquivalent für verbrannten Müll bleibt sehr wahrscheinlich nicht im Boden. Sie kennen doch uns Menschen.

           

          Mehrweg "trendet" aber gerade nicht so. Man sehe sich einfach den Zuwachs an Einwegpfandflaschen an.