Abfahrtsrennen in Kitzbühel: Streif auf die Knochen

Beim Hahnenkamm-Rennen feiert Österreich einen Doppelsieg. Schwere Stürze blieben heuer aus, aber das Verletzungsrisiko fährt immer mit.

Matthias Meyer fährt auf Skiern um die Kurve

Full speed: der Österreicher Matthias Mayer beim Hahnenkamm-Rennen Foto: ESPA Photo Agency AP CALSP

KITZBÜHL taz | Mit einem Doppelsieg für Österreich konnte die als Skination bekannte Alpenrepublik und 50.000 Zuschauer in Kitzbühel vor Ort am Samstag vibrieren. Matthias Mayer aus Kärnten war es, der nach sechs Jahren wieder einen österreichischen Sieg beim wohl schwierigsten Abfahrtsrennen des Weltcupzirkus erreichte, dem Hahnenkammrennen, auch bekannt als Streif. Und der dafür, wie seine Kollegen auch, definitiv die Gesundheit riskiert.

Vor acht Jahren musste Mayer zeitweilig noch im Rollstuhl sitzen. Nach einer Lebensmittelvergiftung durch verdorbenes Fleisch war er an reaktiver Arthritis erkrankt und verlor 15 Kilogramm Gewicht.

Er kämpfte sich wieder heran, nun ist er in der Weltspitze angekommen: Am Samstag war es Mayers erster Abfahrtstriumph auf der Streif, am Freitag war der 29-Jährige beim Super-G knapp hinter dem Norweger Kjetil Jansrud Zweiter geworden.

Deutschlands derzeit bester Abfahrer, Thomas Dreßen, der 2018 die Streif gewann und diesmal nach mehreren Fahrfehlern nur 26. wurde, war vom Sieger beeindruckt: „Wer auf der Streif gegen einen Feuz oder Mayer ­gewinnen will, der muss alles riskieren. Das ist bei mir heuer schiefgegangen.“

Debatte über Verletzungen

Auch Dreßen war lange Zeit verletzt, Ende 2018 war sein Kreuzband gerissen, und gelegentlich schmerzt das Knie noch und schwillt an. Aber das will Dreßen für seine schlechte Platzierung nicht anführen.

Die Streif ist schwer. Auf der knüppelharten 3.312 Meter langen Eispiste, erklärt der österreichische Cheftrainer Andreas Puelacher, würden die Fahrer „vom Mausefallen-Sprung im Startbereich über die Seidlalm bis hinunter zum Hausberg- und Zielsprung insgesamt aufaddiert rund 200 Meter mit ihren beiden Skiern durch die Luft fliegen und auf dem Eis hart landen“. Das beanspruche den Körper enorm.

Jedes Jahr aufs Neue bestimmen zahlreiche Meldungen zu Verletzungen die Debatten um den Skisport. Von den 50 Teilnehmern der 2020er Auflage fielen vier durch Stürze aus, darunter auch der Deutsche Manuel Schmid. Schwere Verletzungen gab es zum Glück diesmal nicht.

Im Vorfeld aber hatte sich der in diesem Winter bislang erfolgreichste Abfahrer, Dominik Paris aus Südtirol, eine Kreuzband-Ruptur zugezogen. Mehrere Monate wird er ausfallen. Das vordere und hintere Kreuzband gehört zu den wichtigsten Stabilisatoren des Kniegelenks. Die Beinmuskulatur der Athleten ist bestens trainiert, die einzige Schwachstelle ist der Kniebereich. Die heutigen, aggressiv reagierenden Rennskier können regelrecht eine Waffe sein, sagt der Chirurg und Kniespezialist Christian Fink von der Klinik Hochrum bei Innsbruck.

Kleine Fehler mit verheerenden Folgen

Der im Frühjahr 2019 zurückgetretene norwegische Ski-Doppelolympiasieger Aksel Lund Svindal sagt dazu der taz: „Ja, dies bleibt leider ein großes Problem. Aber da der Rennsport und das Ski-Material immer schneller werden, ist dies auch eine der Ursachen für die vielen Verletzungen.“ Ein kleiner Fehler, ein Verschneiden der Skier, kann in Kitzbühel und anderswo verheerende Folgen haben. „Das ist schade für den Sport, aber ich weiß nicht, wie man das lösen kann.“ Auch Svindal hatte sich bei seinem Sturz auf der Streif 2016 unterhalb der Hausbergkante das Kreuzband gerissen.

Svindal berichtet: „Es gibt ja bereits Forschungen zur Verletzungsanfälligkeit im Kniebereich. Man kann wohl kaum bei uns Rennfahrern so viele Sensoren verbauen, wie bei einem Auto. Aber der Einsatz von mehr Sensoren am Athletenkörper, um mehr konkrete Daten zu gewinnen, wäre bestimmt nicht schlecht.“

Nur rund 20 Athleten tragen Airbag

Neben der Knie-Thematik wird auch der Schutz der Rückenpartie durch einen flexiblen Karbon-Protektor sowie Airbag bei vielen Fahrern unterschiedlich diskutiert. Der Renndirektor eines italienischen Airbag-Herstellers, Marco Pastore, sagt, das in Kitzbühel in den Speeddisziplinen nur rund 20 Athleten das 1.500 Euro teure Teil auf dem Rücken trugen. Das ist etwa ein Drittel des Teilnehmerfeldes. Vom Motorradrennsport kommend, gibt es seit gut fünf Jahren im Ski-Weltcup diese sensorgesteuerten Airbags, die sich in weniger als 100 Millisekunden aufblasen. „In rund 100 Sturzfällen“, so Pastore, „konnte diese Erfindung bereits schwere Rückenverletzungen verhindern oder minimieren.“

Während die deutschen Speedpiloten um Dreßen schon länger einen Airbag tragen, lehnten dies bislang die im Weltcup Führenden, Dominik Paris und der Schweizer Beat Feuz, ab. Eine leicht verminderte Bewegungsfreiheit sowie minimale aerodynamische Nachteile sind ihre Gründe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.