Abfahrtsrennen in Kitzbühel: Streif auf die Knochen
Beim Hahnenkamm-Rennen feiert Österreich einen Doppelsieg. Schwere Stürze blieben heuer aus, aber das Verletzungsrisiko fährt immer mit.
Vor acht Jahren musste Mayer zeitweilig noch im Rollstuhl sitzen. Nach einer Lebensmittelvergiftung durch verdorbenes Fleisch war er an reaktiver Arthritis erkrankt und verlor 15 Kilogramm Gewicht.
Er kämpfte sich wieder heran, nun ist er in der Weltspitze angekommen: Am Samstag war es Mayers erster Abfahrtstriumph auf der Streif, am Freitag war der 29-Jährige beim Super-G knapp hinter dem Norweger Kjetil Jansrud Zweiter geworden.
Deutschlands derzeit bester Abfahrer, Thomas Dreßen, der 2018 die Streif gewann und diesmal nach mehreren Fahrfehlern nur 26. wurde, war vom Sieger beeindruckt: „Wer auf der Streif gegen einen Feuz oder Mayer gewinnen will, der muss alles riskieren. Das ist bei mir heuer schiefgegangen.“
Debatte über Verletzungen
Auch Dreßen war lange Zeit verletzt, Ende 2018 war sein Kreuzband gerissen, und gelegentlich schmerzt das Knie noch und schwillt an. Aber das will Dreßen für seine schlechte Platzierung nicht anführen.
Die Streif ist schwer. Auf der knüppelharten 3.312 Meter langen Eispiste, erklärt der österreichische Cheftrainer Andreas Puelacher, würden die Fahrer „vom Mausefallen-Sprung im Startbereich über die Seidlalm bis hinunter zum Hausberg- und Zielsprung insgesamt aufaddiert rund 200 Meter mit ihren beiden Skiern durch die Luft fliegen und auf dem Eis hart landen“. Das beanspruche den Körper enorm.
Jedes Jahr aufs Neue bestimmen zahlreiche Meldungen zu Verletzungen die Debatten um den Skisport. Von den 50 Teilnehmern der 2020er Auflage fielen vier durch Stürze aus, darunter auch der Deutsche Manuel Schmid. Schwere Verletzungen gab es zum Glück diesmal nicht.
Im Vorfeld aber hatte sich der in diesem Winter bislang erfolgreichste Abfahrer, Dominik Paris aus Südtirol, eine Kreuzband-Ruptur zugezogen. Mehrere Monate wird er ausfallen. Das vordere und hintere Kreuzband gehört zu den wichtigsten Stabilisatoren des Kniegelenks. Die Beinmuskulatur der Athleten ist bestens trainiert, die einzige Schwachstelle ist der Kniebereich. Die heutigen, aggressiv reagierenden Rennskier können regelrecht eine Waffe sein, sagt der Chirurg und Kniespezialist Christian Fink von der Klinik Hochrum bei Innsbruck.
Kleine Fehler mit verheerenden Folgen
Der im Frühjahr 2019 zurückgetretene norwegische Ski-Doppelolympiasieger Aksel Lund Svindal sagt dazu der taz: „Ja, dies bleibt leider ein großes Problem. Aber da der Rennsport und das Ski-Material immer schneller werden, ist dies auch eine der Ursachen für die vielen Verletzungen.“ Ein kleiner Fehler, ein Verschneiden der Skier, kann in Kitzbühel und anderswo verheerende Folgen haben. „Das ist schade für den Sport, aber ich weiß nicht, wie man das lösen kann.“ Auch Svindal hatte sich bei seinem Sturz auf der Streif 2016 unterhalb der Hausbergkante das Kreuzband gerissen.
Svindal berichtet: „Es gibt ja bereits Forschungen zur Verletzungsanfälligkeit im Kniebereich. Man kann wohl kaum bei uns Rennfahrern so viele Sensoren verbauen, wie bei einem Auto. Aber der Einsatz von mehr Sensoren am Athletenkörper, um mehr konkrete Daten zu gewinnen, wäre bestimmt nicht schlecht.“
Nur rund 20 Athleten tragen Airbag
Neben der Knie-Thematik wird auch der Schutz der Rückenpartie durch einen flexiblen Karbon-Protektor sowie Airbag bei vielen Fahrern unterschiedlich diskutiert. Der Renndirektor eines italienischen Airbag-Herstellers, Marco Pastore, sagt, das in Kitzbühel in den Speeddisziplinen nur rund 20 Athleten das 1.500 Euro teure Teil auf dem Rücken trugen. Das ist etwa ein Drittel des Teilnehmerfeldes. Vom Motorradrennsport kommend, gibt es seit gut fünf Jahren im Ski-Weltcup diese sensorgesteuerten Airbags, die sich in weniger als 100 Millisekunden aufblasen. „In rund 100 Sturzfällen“, so Pastore, „konnte diese Erfindung bereits schwere Rückenverletzungen verhindern oder minimieren.“
Während die deutschen Speedpiloten um Dreßen schon länger einen Airbag tragen, lehnten dies bislang die im Weltcup Führenden, Dominik Paris und der Schweizer Beat Feuz, ab. Eine leicht verminderte Bewegungsfreiheit sowie minimale aerodynamische Nachteile sind ihre Gründe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett