ARD-Ausblick auf 2020: Eher Pflicht als Vergnügen
Auf der Jahrespressekonferenz stellt die ARD ihr Programm für 2020 vor. Auf formaler Ebene geht es voran, inhaltlich bleibt man wenig brisant.
Die Regisseurin Julia von Heinz ist der ARD durchaus gewogen. Fürs kommende Jahr ist dort eine von ihr entwickelte fiktionale Serie über das Westberliner Kaufhaus KaDeWe geplant. Einige Gedanken, die sie gerade in einer Dankesrede beim Fernsehfilm-Festival in Baden-Baden formuliert hat – von Heinz wurde dort mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet, unter anderem für „gendergerechtes Erzählen“ –, dürften manchen Mächtigen in der ARD aber nicht gefallen haben.
Die Fixierung auf die Quote sei überholt, sagte die Preisträgerin. Ihr Vortrag kulminierte in einer Forderung an die Öffentlich-Rechtlichen: „Hört ab sofort auf, die Marktanteilsquote zu veröffentlichen, die einem veralteten System angehört.“
Programmdirektor des Ersten Programms der ARD ist Volker Herres, und ihm ist die Quote so wichtig, dass er sogar an einem Sonntagmorgen freudig Erfolgszahlen für seinen Laden twittern muss.
Auch am Dienstagmittag, als er in Hamburg die Eröffnungsrede bei der ARD-Jahrespressekonferenz hielt, die einen Ausblick auf das Programm des Jahres 2020 lieferte, wurde mal wieder Herres’ inniges Verhältnis zum Marktanteil deutlich. Das Erste sei derzeit „Marktführer am Hauptabend“, verkündete er zum Beispiel halbwegs ergriffen.
Neues „Tatort“-Team
Obwohl lineares Fernsehen „immer noch eine dominante Rolle spielt“, will Herres aber natürlich auch, dass die ARD „fit“ wird „für die digitale Welt“. Am 1. September will die ARD daher eine Mediatheken-Offensive starten. Teil der Strategie: „ein tolles Bündel regionaler Comedyserien“ (ARD-Fiction-Koordinator Jörg Schönenborn), das es exklusiv in der Mediathek gibt.
Online only wird auch die sechsteilige Making-of-Serie „How to Tatort“ laufen, bei der die mit zahlreichen Grimme-Preisen ausgezeichnete bildundtonfabrik („Neo Magazin Royale“) Hand angelegt hat. Die Serie soll im Herbst 2020 auf satirische Weise die Entstehungsgeschichte des neuen Bremer „Tatort“-Teams um Jasna Fritzi Bauer erzählen.
Darüber hinaus, so Schönenborn in Hamburg, will man Mehrteiler, die in der klassischen Primetime als zwei oder drei 90-Minüter vorgesehen sind, zwecks Vorabausstrahlung im Netz als Mini-Serienfolgen aufbereiten, beispielsweise in sechs 45-minütigen Portionen.
Auf formaler, produktions- und verbreitungstechnischer Ebene macht die ARD also ein paar kleine Schritte nach vorn. Inhaltlich scheint sie aber zumindest bei den großen fiktionalen Projekten auf der Stelle zu treten. Schönenborn hob in Hamburg aus dem Programm des kommenden Jahres vier Mehrteiler hervor, die auf bewährtem historischem Terrain angesiedelt sind: „Unsere wunderbaren Jahre“ (Wirtschaftswunderzeit), „Der Überläufer“ (eine Siegfried-Lenz-Romanverfilmung), „Oktoberfest – 1900“ sowie „Das Geheimnis des Totenwalds“.
Nichts politisch Brisantes
Letzterer Dreiteiler erzählt die Geschichte eines Hamburger Polizisten, der in einem ihn tangierenden Kriminalfall – es geht um seine in Niedersachsen verschwundene Schwester – nicht aktiv werden kann, weil er aus dienstrechtlichen Gründen nicht im Nachbarbundesland ermitteln darf. Nach seiner Pensionierung nimmt er sich schließlich auf eigene Faust der Sache an. Eine dokumentarische Rekonstruktion des Falls zeigte in diesem Jahr bereits das NDR Fernsehen („Eiskalte Spur – Die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau“).
Fiktionale Filme zu aktuellen, politisch brisanten Stoffen fehlten in der Highlight-Präsentation. Wohl auch deshalb stellt die ARD etwas bemüht heraus, in der Verfilmung des Siegfried-Lenz-Romans würden „aktuelle Fragen“ verhandelt („Was ist wichtiger, Pflicht oder Gewissen? Was bedeuten Freundschaft und Liebe in einer aus den Fugen geratenen Welt?“).
Dem von Programmdirektor Herres in routinierter Sonntagsredner-Manier formulierten Ziel, „relevante Themen in den Blickpunkt zu rücken und gesellschaftliche Debatten auszulösen“, will die ARD offenbar vor allem mit dem Projekt „Der Feind oder Gerechtigkeit“ nahekommen.
Dahinter steht eine formal neuartige Idee: Ein an die Entführung und Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler angelehnter Kriminalfall wird in zwei zeitgleich ausgestrahlten Filmen aus verschiedenen Perspektiven erzählt – im Ersten Programm aus der eines Polizisten (Bjarne Mädel) und in sämtlichen Dritten Programmen aus der des Anwalts eines Verdächtigen (Klaus-Maria Brandauer).
Mal wieder von Schirach
Man könne beide Versionen hintereinander schauen, sie seien aber auch so aufeinander abgestimmt, dass der Zuschauer an „bestimmten Punkten“ umschalten könne, sagt Produzent Oliver Berben. Das Konzept stammt von dem Schriftsteller Ferdinand von Schirach. Event-Fernsehen mit von Schirach – das kennt man bereits von der ARD.
Der Bestseller-Autor lieferte mit dem Theaterstück „Terror“ auch die Vorlage für eine Verfilmung mit interaktiver Komponente, auf die die Programmmacher 2016 sehr stolz waren.
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