API-Präsident über EU-Zensur: "Ende des unabhängigen Journalismus"
Lorenzo Consoli, Präsident des Internationalen Journalistenverbandes API, sagt, die Pressearbeit der EU-Kommission behindert eine vernünftige Berichterstattung.
taz: Herr Consoli, schon als Ihr Landsmann Romano Prodi ins Amt kam, beklagte sich API über die schlechte Pressearbeit.
Lorenzo Consoli: Prodi war zunächst Tony Blairs Kandidat. Ein schwacher Kommissionspräsident, abhängig vom Wohlwollen der Mitgliedstaaten. Doch in dem Maß, wie er sich zum echten Europäer gemausert hat, wurde auch die Pressearbeit offener. Schade, dass er nach fünf Jahren durch einen Mann ersetzt wurde, der wieder eine Marionette der Mitgliedstaaten war - und das bis heute geblieben ist. Unter Barroso hat die Kommission jede Eigeninitiative aufgegeben.
Was bedeutet das für die Pressearbeit?
Da Barroso jedem Konflikt mit den Mitgliedstaaten aus dem Weg geht, fehlt der Stoff, aus dem gute Geschichten gemacht werden. Es gibt deutlich weniger Gesetzesvorschläge und deutlich weniger Vertragsverletzungsverfahren als früher - und sie ziehen sich ewig hin.
Derzeit gibt es ein gutes Beispiel dafür hier in Belgien …
Ja genau. Nur wenige Kilometer von diesem Presseraum entfernt werden belgische Staatsbürger daran gehindert, öffentlich geförderte Wohnungen zu kaufen, weil sie kein Flämisch sprechen. Das ist ganz klar Diskriminierung - und die Kommission tut nichts. Ebenso wenig in Italien, wenn Roma rechtswidrig ausgewiesen werden.
Lorenzo Consoli ist Mitarbeiter der italienischen Nachrichtenagentur APCOM und Präsident des Internationalen Journalistenverbandes API. Seit 1991 ist er politischer Korrespondent in Brüssel. Zuvor war er Praktikant der EU-Kommission und Mitarbeiter im Sprecherdienst. Seit 23 Jahren lebt er in der EU-Hauptstadt.
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Ist der Mangel an Konfliktstoff das einzige Problem? Oder hat Barroso außerdem ein gestörtes Verhältnis zu offener Berichterstattung?
Die EU-Kommission glaubt ihre Offenheit zu beweisen, indem sie alles ins Netz stellt oder über den Satelliten sendet. Doch das ist ein falsches Verständnis von Transparenz. Es braucht gute Journalisten, die diese Informationsflut filtern und die Informationen bewerten können.
Steckt dahinter ein finsterer Plan?
Das glaube ich nicht. Aus der Logik der Institution heraus ist das transparent - aus der journalistischen Logik nicht. Wenn man die Öffentlichkeit mit einer Fülle von Details überflutet, werden die Informationen für den normalen Leser bedeutungslos.
Das sollte doch auch den Herausgebern einleuchten, oder?
Wenn ich für meine Agentur um zwölf Uhr ins Kommissionsbriefing gehe, dann bekomme ich dieselben Pressemitteilungen, die zeitgleich online zu haben sind. Dann stelle ich meine Fragen, rede mit den Sprechern, schreibe meinen Bericht. In der Zwischenzeit hat aber zu Hause in Rom bereits ein Redakteur die Pressemitteilung übersetzt, bearbeitet und online gestellt. Diesen Wettlauf kann ich nicht gewinnen.
Was fordern Sie von der EU-Kommission?
Wir wollen die Pressemitteilungen und Materialien vorab haben, unter Embargo. Außerdem brauchen wir zusätzlich Hintergrundinformationen, die uns helfen, die Kommissionspolitik besser einzuordnen. Nur wenn wir hier einen echten Mehrwert zu bieten haben, werden sich die Herausgeber überzeugen lassen, dass es sich lohnt, Journalisten nach Brüssel zu schicken. Kurzzeitig hatte die Kommission sogar vor, ihre eigene Nachrichtenagentur zu gründen. Dagegen hat API natürlich heftig protestiert.
Verstößt die Kommission nicht gegen ihre eigenen Wettbewerbsregeln, wenn sie Mediendienste subventioniert?
Wir lassen juristisch prüfen, ob es sich dabei um unerlaubte Subventionen handelt. Aber natürlich verweist die Kommission darauf, dass es in allen Mitgliedsländern Parlamentsfernsehen oder andere öffentlich geförderte Medien gibt. Eins muss aber klar sein: Es muss bei unbearbeitetem Rohmaterial bleiben. Wenn die Kommission redaktionell bearbeitete Artikel und Filme verteilt, wäre das das Ende des unabhängigen EU-Journalismus.
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