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ALTER INHALT, NEUE FRAU: STOIBER SETZT AUF FAMILIENPOLITIKERIN REICHEDas Progressivste ist ihr Familienstand

Noch nie in diesem Wahlkampf war Edmund Stoiber so locker und lässig wie gestern bei der Vorstellung von Katherina Reiche als neuestem Mitglied seines „Kompetenzteams“. Kein Wunder: Mit der Berufung der 28-jährigen ledigen Mutter als allein zuständiger Expertin für die Familienpolitik ist Stoiber ein glänzend inszenierter Coup gelungen.

Mutiger als erwartet zielt Stoiber auf eine Wählergruppe, bei der die Union vor vier Jahren am meisten verlor und die die SPD als sichere Bank ansah: die jungen, berufstätigen Frauen der Mitte. Stoiber hat aus eigenen Fehlern, aber auch aus den Fehlern von Gerhard Schröder gelernt. Während der Kanzler die Familienpolitik zu Beginn seiner Amtszeit als „Gedöns“ abtat, erklärte Stoiber die Nominierung Reiches gestern zu einer „Grundsatzentscheidung des Kanzlerkandidaten“.

Im Nachhinein hat Stoiber die absurde Diskussion in der Union um eine Beschneidung von Reiches Kompetenzen sogar geholfen. So konnte der ewige Zauderer endlich mal ein „Machtwort“ sprechen. Die dadurch neu gewonnene Autorität war ihm wichtiger als die Irritationen, die seine Entscheidung an der Basis auslöst, die sich an die christlichen Traditionen der Union klammert. Und hätte es die Bedenkenträger nicht gegeben, die eine ledige Mutter immer noch für unzumutbar hielten, dann hätte sich Stoiber nicht so effektvoll als Modernisierer präsentieren können, der seine Partei an die Realität heranführt. An die Realität der meisten WählerInnen, wohlgemerkt. Wenn es um Menschen geht, die nicht wählen dürfen, wie in der Ausländerpolitik, pflegt Stoiber weiter alte Klischees und schürt alte Ängste.

Auch die inszenierte Wende in der Familienpolitik ist natürlich ein Bluff. Inhaltlich ist die Union lange nicht so weit, wie es jetzt scheint. Das Progressivste an Reiche ist ihr Familienstand. Das Unionsprogramm zur Kinderbetreuung ist äußerst vage. Das „Familiengeld“ fördert nur das Kinderkriegen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinkt die Union hinter der SPD her, die immerhin 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen einplant. Trotzdem: Reiche wirkt jung und frisch. Dagegen sieht Schröders Familienministerin Christine Bergmann erst mal alt aus. LUKAS WALLRAFF

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