AKW-Gegner gegen Nobelpreisträger: Otto Hahn führte Giftgaskrieg
Göttinger Atomgegner fordern, den Nobelpreisträger als Kriegsverbrecher zu brandmarken. Er habe sich an der Entwicklung von Giftgas beteiligt und es eingesetzt.
![](https://taz.de/picture/98805/14/N2-Gaskrieg-4sp-dpa.jpg)
GÖTTINGEN taz | Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs hat das Göttinger „Bündnis Antikriegsforschung“ verlangt, dem Chemie-Nobelpreisträger Otto Hahn die Ehrenbürgerschaft der Stadt Göttingen abzuerkennen und das Otto-Hahn-Gymnasium sowie die Otto-Hahn-Straße umzubenennen. Hahn selbst gehöre als „Kriegsverbrecher“ gebrandmarkt. Ein knappes Dutzend Initiativen und Organisationen unterstützen diese Forderungen.
Hahn, Entdecker der Kernspaltung, und einer der bedeutendsten Chemiker der Geschichte, ist Ehrenbürger von Göttingen. Sein Porträt hängt als Ölgemälde im Ratssaal. Weil er 1956 gemeinsam mit anderen Nobelpreisträgern öffentlich auf die Gefahren der Atombombe aufmerksam machte und ein Jahr später die „Göttinger Erklärung“ von 18 Professoren gegen die nukleare Bewaffnung der Bundeswehr mitverfasste, hat er den Ruf eines Friedensmahners.
Recherchen des Göttinger Historikers Martin Melchert werfen ein Licht auf eine bislang weitgehend unbekannte Seite des Wissenschaftlers: Hahn war zwischen 1915 und 1918 die „rechte Hand“ des „Vaters des Gaskriegs“, Fritz Haber, bei der Entwicklung von Giftgasen wie Phosgen und Zyklon A . Er füllte eigenhändig hunderte Chlorgasgranaten und organisierte im Ersten Weltkrieg deutsche Giftgasangriffe. Melchert beschäftigt sich seit neun Jahren mit deutschen Forschungen zu Atombomben und anderen Massenvernichtungswaffen.
Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia widmet Hahns Wirken im Ersten Weltkrieg gerade einmal zwei Absätze. Erwähnt wird lediglich seine Mitgliedschaft in Habers Spezialeinheit für chemische Kriegsführung. Andere Biografien gehen auf diese Zeit gar nicht ein.
Melchert zufolge hat sich Hahn zu Kriegsbeginn freiwillig zu einem Landwehrregiment gemeldet und bereits nach kurzer Zeit eine Maschinengewehrabteilung geleitet. Gleichzeitig liefen in Deutschland die Vorbereitungen zum Gaskrieg an. Haber zog alle zur Verfügung stehenden Chemiker, unter ihnen Hahn, sowie auch Physiker und Meteorologen zusammen, um die Forschung zu bündeln.
Der erste große Gasangriff begann am 22. April in Flandern. Auf einer Breite von 20 Kilometern schraubten deutsche Soldaten Tausende Gasflaschen zeitgleich auf. 170 Tonnen Chlorgas trieben als Wolke auf die feindlichen Schützengräben zu. Die kanadische Division und algerische Kolonialsoldaten wurden überrascht, das Gas verätzte ihre Atemwege, es entstand Panik. Hahn war als Mit-Organisator und „Frontbeobachter“ vor Ort. Seine Mitarbeiterin Lise Meitner gratulierte ihm zu dem „schönen Erfolg bei Ypern“.
Weitere Gasattacken in Flandern und an der Ostfront in Galizien folgten. Dort war Hahn „nicht nur beim Angriff persönlich anwesend, er trieb die zögerlichen Angreifer auch regelrecht voran“, schreibt Melchert. Hahn selbst erinnerte sich: „Der Angriff wurde ein voller Erfolg; die Front konnte auf sechs Kilometern Breite um mehrere Kilometer vorverlegt werden.“
Bis in die letzten Kriegstage hinein war Otto Hahn mit der Erforschung neuer Giftwaffen befasst. Im Oktober 1918 erhielt er den Auftrag, auf einer Halbinsel vor Danzig Experimente mit einer neuen Geheimwaffe durchzuführen. Nach den ersten Versuchen wollte Hahn Bericht erstatten. Das Kriegsende kam ihm zuvor.
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