ADF-Rebellen im Kongo: Der Krieg, den keiner versteht
Vor einem Monat verkündete Kongos Armee den Sieg über die ADF-Rebellen. Seitdem ist die Gewalt brutaler denn je, Hunderttausende fliehen.
„Seit meiner Jugendzeit bin ich Politiker“, seufzt er und versinkt in seinem Sessel, „ich war sogar Minister. Aber so einen Druck wie heute habe ich noch nie verspürt. Wir sind eigentlich überfordert, aber wir versuchen irgendwie durchzuhalten.“
Jede Woche werden im Umland von Beni Bauern getötet, zu Dutzenden. Als Täter wird immer die einst ugandische Rebellenbewegung ADF (Allied Democratic Forces) genannt, die seit vielen Jahren in den Bergen um Beni aktiv ist. Im Jahr 2013 hatte Kongos Armee in einer Großoffensive die ADF aus dem Semliki-Flusstal nahe der Grenze zu Uganda vertrieben, die Rebellen verzogen sich in die Wälder. Mal blieb es ruhig – mal gab es neue Überfälle.
Mal verdächtigte die lokale Bevölkerung die Armee, selbst hinter den Massakern zu stecken – mal ging sie zur Unterstützung ihrer Soldaten auf die Straße, vor allem im August 2019, als neue Armeekommandanten ernannt und pompös eine „Endoffensive“ verkündet wurde. Aber danach wurde es nicht besser, sondern schlimmer.
Ursprung in Uganda: Die Allied Democratic Forces (ADF) entstehen 1995 als Zusammenschluss mehrerer ugandischer Rebellengruppen unter muslimischer Führung. Sie setzen sich in den Rwenzori-Bergen an der Grenze zum Kongo fest und rekrutieren Kämpfer unter der Volksgruppe, die in Uganda Bakonzo und im Kongo Nande heißt. Der Kampf gegen sie ist ein Grund für Ugandas Militärpräsenz im Kongo 1998–2003.
Krieg im Kongo: Nach Ugandas Rückzug wird die ADF rein kongolesisch und setzt sich im Semliki-Flusstal fest. Kongos Armee führt ab 2013 mehrere Offensiven gegen sie. Ihr Chef Jamil Mukulu sitzt seit 2015 in Uganda in Haft.
Hartnäckige Präsenz: Offiziell gilt die ADF heute als Teil islamistischer Netzwerke. Inoffiziell gilt sie als Front für illegale Aktivitäten kongolesischer Generäle und Geschäftsleute. (taz)
„Wir hatten Hoffnung, aber man hat uns verarscht“, sagt Jugendaktivist Kambale Musubyo von der Protestgruppe „Veranda Mutsanga“ in Beni.
Ab Oktober warf die Armee alles in den Krieg gegen die ADF, was sie hatte. Ein Generalstab wurde in Beni installiert, elf Generäle mit roten Epauletten und großen Schutztruppen. In diesem Januar wurden gigantische Siege verkündet, so die Einnahme des ADF-Hauptquartiers Medina. Die Bevölkerung jubelte. Wenige Wochen später gingen die Massaker erneut los, doppelt so heftig wie zuvor und auch in bisher friedlichen Gegenden.
„Will man uns für dumm verkaufen?“, ärgert sich Mulyata Kaghotse aus dem Dorf Mayimoya, das fünfmal überfallen worden ist. „Erst wird der Sieg verkündet, dann gibt es noch mehr Massaker. Früher wurde nie auf der Westseite der großen Straße getötet. Aber jetzt ist es überall. Wie kann das sein, wo doch 21.000 Soldaten als Verstärkung entsandt worden sein sollen? Was machen die eigentlich?“
Verwirrende offizielle Stellungnahmen
Die Armee schweigt. Ihr Sprecher Mike Hazukay wurde in die Hauptstadt Kinshasa versetzt. Das Schweigen vergrößert die Unsicherheit. Die wenigen Verlautbarungen sind widersprüchlich. Anfang vergangener Woche erklärte Benis Bürgermeister, er befürchte eine Infiltration seiner Stadt durch die Killer. Am nächsten Tag bezeichnete eine Presseerklärung der Armee die Stellungnahme des Bürgermeisters als Lüge. Wenige Tage später wurde das Dorf Pasisi angegriffen, nur fünf Kilometer nordwestlich der Stadt.
Auch die UN-Mission im Kongo (Monusco) verhält sich unklar. Anfang Februar verkündete sie, über 40 ADF-Rebellen gefangengenommen und an Kongos Armee übergeben zu haben. Als lokale Gruppen das anzweifelten, gestand die UN-Mission, sich sowohl zur Anzahl als auch zur Identität der Gefangenen geirrt zu haben.
Die Armee hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren. Als im November Dutzende von Menschen in Benis Stadtvierteln Baykene und Masiani massakriert wurden, jagten die Soldaten nicht die Rebellen, sondern die Hinterbliebenen, um sie daran zu hindern, die Leichen selbst zu bergen. „Wir dürfen nicht trauern“, empört sich die Kusine eines Toten, die anonym bleiben möchte.
Artillerie in den Wald
Die Militärstrategie gegen die ADF überzeugt niemanden. Erst beschoss die Armee den Wald mit Artillerie. Dann stießen die Soldaten in den Wald vor und verkündeten spektakuläre Siege, ohne Nachweis. Früher war das anders, erinnert sich ein lokaler Journalist, der diesen Konflikt seit Langem beobachtet: „General Lucien Bauma ging selbst an die Front, und bei jedem Sieg lud er die Presse ein, um sich selbst zu überzeugen. Heute werden einfach Siege behauptet, ohne Zeugen.“
Ein pensionierter Offizier bemängelt: Die Armee konzentriere sich auf das Gebiet östlich der Fernstraße, die Ostkongo hier von Nord nach Süd durchzieht, und habe übersehen, dass die Rebellen längst auf der Westseite aktiv sein. „In einem Guerillakrieg muss man seinen Feind kennen. Wenn er da zuschlägt, wo es am wenigsten erwartet wird, verliert man die Moral. Das ist, was in Beni passiert. Die Soldaten konzentrieren sich auf den Wald Mayangose und haben Rückzugskorridore Richtung Westen unbewacht gelassen. Der Feind ist sehr mobil, er zieht sich aus dem Osten des Gebiets zurück und schlägt nach Belieben im Westen zu.“
„Beni ist von Killern umringt“
Auf diese Weise sind seit Mitte Januar über 200 Menschen Massakern zum Opfer gefallen. Wer die Täter genau sind, ist Objekt von Verschwörungstheorien. Soldaten aus Ruanda hätten Kongos Armee infiltriert und seien entweder Komplizen der ADF oder würden selbst als ADF auftreten, lautet eine Theorie – antiruandische Ressentiments sind in diesem Landesteil tief verankert. Sogar der katholische Kardinal von Kinshasa denunzierte „eine Politik der Landnahme durch Ausländer im Hinblick auf eine Balkanisierung dieses Landesteils“.
Die Parlamentsabgeordnete Jeannette Kavira Mapeta sagt: „Solange unsere Armee infiltriert ist, bleibt es schwer, diesen Krieg zu gewinnen.“ Ihr Amtskollege Kasereka Kizerbo behauptete jetzt in lokalen Medien: „Die Stadt Beni ist von Killern umringt, die bald in großem Maßstab zur Tat schreiten werden.“
Der Kommandeur der Armeeoperation gegen die ADF, General Jacques Nduru, hat am Wochenende verkündet: „All jene, die sich mit der Waffe gegen die Republik erhoben haben, werden in den kommenden Tagen vernichtet.“
Verkompliziert wird die Lage aber dadurch, dass es neben Armee und ADF noch mehr bewaffnete Akteure gibt. Lokale Selbstschutzmilizen, die unter dem Sammelbegriff „Mai-Mai“ bekannt sind, greifen jetzt ebenfalls die Armee an, weil sie wütend über deren Ineffizienz sind. „Wir müssen diese jungen Leute daran erinnern, dass ihre Pflicht wäre, der Armee zu helfen statt sie anzugreifen“, ärgert sich der Wahlkreisabgeordnete von Beni, Jean-Paul Ngahangondi.
Auch bei den Mai-Mai ist zuweilen unklar, wer genau sie sind. „Manchmal greifen sie die Soldaten an, manchmal die ADF, aber man kennt weder ihre Führer noch ihre Motivation“, erklärt der lokale Journalist Patriote Taypa, der diesen Krieg seit Jahren beobachtet.
Dazu kommt, dass Beni noch immer unter der Ebola-Epidemie leidet, die über 2.250 Tote gefordert hat. Und zu Tausenden drängen jetzt verängstigte Dorfbewohner in die Stadt, die in Beni auf Sicherheit hoffen, aber keine Hilfe bekommen. Tagsüber hängen sie herum, nachts schlafen sie mit Angst im Bauch.
„Als habe die Welt uns vergessen“
Der Dachverband der Zivilgesellschaft der Stadt spricht von über 200.000 Vertriebenen in Gastfamilien ohne jede Unterstützung. „Es ist, als habe die Welt uns vergessen“, sagt Kizito Bin Hangi, Präsident des Dachverbandes.
In Oicha, 30 Kilometer nördlich von Beni, wechseln sich Schüler und Kriegsflüchtlinge auf den Bänken der Schulen ab: Tagsüber werden Kinder unterrichtet, bei Sonnenuntergang verwandeln sich die Klassenzimmer in Schlafräume bis zum Morgengrauen. „Es sind unerträgliche Bedingungen“, empört sich Noella Muliwavyo von der lokalen Zivilgesellschaft. „Wo sind UNHCR und die anderen Hilfsorganisationen? Wo ist der kongolesische Stadt?“
Die internationale Gemeinschaft ist auf den Kampf gegen Ebola fixiert – die Vertriebenen müssen warten. Zu Wochenbeginn ist Kongos Parlamentspräsidentin Jeanine Mabunda nach Beni gereist. Sie hat ein wenig Hilfe für die Vertriebenen von Oicha mitgebracht – aber „ein paar Kartons mit Sardinen und ein paar Flaschen Speiseöl bringen keinen Frieden“, findet Muliwavyo. „Der Staatspräsident ist gekommen, der Generalstabschef – aber die Lage wird immer schlimmer.“
Noch während Mabunda in der Region weilte, überfielen die Killer in der Nacht zum Dienstag das Dorf Halungupa 15 Kilometer außerhalb von Beni und töteten zehn Bauern. Ein Ende der Tragödie ist nicht in Sicht.
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