7.000 Flüchtlinge betroffen: Regierung schiebt nach Syrien ab
Ein Rücknahmeabkommen mit Syrien ermöglicht die Abschiebung tausender Flüchtlinge. Pro Asyl spricht von "Kollaboration mit Folterstaat".
BERLIN taz Mahmud Ezldin macht sich große Sorgen. Seit acht Jahren lebt der staatenlose Kurde, der aus Syrien stammt, mit seiner Familie im nordrhein-westfälischen Düren. Dort war Ezldin mit seiner Frau und den sechs Kindern nach der Flucht gestrandet. Die Familie hatte Syrien verlassen, als bei ihnen Publikationen der verbotenen kurdischen Linkspartei gefunden wurden. Der heute 41-jährige Vater war in der Partei aktiv und befürchtete Folter und Haft.
Sein Asylantrag in Deutschland aber wurde abgelehnt, die Behörde zweifelte die Echtheit seiner Papiere an. Seit fünf Jahren ist die Familie geduldet. Abgeschoben werden konnte sie nicht - Syrien nahm Menschen wie die Ezldins nicht auf. Jetzt aber droht ihnen wie insgesamt bis zu 7.000 Menschen aus Syrien, die ausreisepflichtig sind, die Abschiebung. Der Grund: Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat bereits im Sommer mit seinem syrischen Kollegen ein Rücknahmeabkommen unterzeichnet. Darin verpflichtet sich Syrien, abgeschobene Flüchtlinge aufzunehmen - auch aus Syrien stammende Staatenlose wie die Ezldins.
"Unverantwortlich" sei das, kritisieren zahlreiche Flüchtlingsorganisationen nun in einem gemeinsamen Aufruf. "Syrien ist ein Folterstaat, in dem elementare Menschenrechte nicht zählen und jede politische Opposition brutal unterdrückt wird", heißt es in dem Papier, das Pro Asyl, zahlreiche Flüchtlingsräte und andere Organisationen unterzeichnet haben. Am kommenden Mittwoch wollen sie in Berlin gegen das Rücknahmeabkommen demonstrieren.
Die meisten der von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge sind KurdInnen. Diese seien in Syrien "seit Jahrzehnten staatlicher Repression ausgesetzt", so die Flüchtlingsorganisationen. Vielen von ihnen hat Syrien in den 1960er-Jahren die Staatsbürgerschaft aberkannt. Deshalb sind auch die Ezldins staatenlos.
"Das Rücknahmeabkommen ist direkte Kollaboration mit einem Folterstaat", sagt auch Bernd Mesovic von Pro Asyl und verweist auf einen Lagebericht über Syrien aus dem Auswärtigen Amt. "Schon im normalen Polizeigewahrsam sind körperliche Misshandlungen an der Tagesordnung", heißt es darin. "Insbesondere bei Fällen mit politischem Bezug wird physische und psychische Gewalt in erheblichem Ausmaß eingesetzt." Die Misshandlungen dienten dabei der Gefügigmachung und der Erzwingung von Geständnissen, der Nennung von Kontaktpersonen und der Abschreckung. "In den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste ist die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung noch größer."
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble weist die Vorwürfe zurück. "Das Rücknahmeabkommen gilt nur für den Personenkreis, dessen Ausreisepflicht zuvor in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt wurde", sagt ein Ministeriumssprecher. Persönliche, humanitäre Gründe, die für ein Abschiebeverbot sprechen könnten, würden dabei geprüft. Der Regierung sei die "Menschenrechtslage in Syrien bekannt". Bei allen "hochrangigen Gesprächen fordert sie die Verbesserung der Lage nachdrücklich" ein.
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