„52 beste Bücher“ wird abgeschafft: Was die Kultur tatsächlich bedroht
Immer wenn „Reformen“ anstehen, wird es gefährlich. Das Schweizer Radio will die beliebte Literatursendung aus dem Programm nehmen.
Gängigen Gerüchten zufolge ist die Vielfalt und Substanz der Kultur bedroht – durch Denkverbote, wie sie angeblich von links erhoben werden, und durch die „politische Korrektheit“, die Rechte und Konservative überall wittern, wo es um Kultur geht, die ihnen nicht in ihr vernageltes Weltbild passt.
Beide Diagnosen beruhen auf verzerrten Wahrnehmungen oder schlichten Übertreibungen. Tatsächlich wird die kulturelle Substanz und Vielfalt von innen her gefährdet – selten von den journalistischen oder künstlerischen Machern selbst, meistens von den administrativ und/oder politisch Verantwortlichen, die im Namen von „Reformen“ Struktur- und Programmänderungen verlangen, die aber durchwegs nur auf finanzielle Einsparungen oder Ressourcenumverteilung hinauslaufen.
Ein exemplarischer Fall ist das Kulturprogramm des Schweizer Radios (SRF). Bei der „Reform“, die Nathalie Wappler, die neue Direktorin, anstrebt, geht es in erster Linie darum, die Gelder, die durch „Reformen“, die beim analog-linear ausgestrahlten TV- und Radioprogramm eingespart werden, in die digitale Zukunft umzuleiten.
Das Risiko, dass dabei notorisch in Kauf genommen wird, ist hoch und unvermeidlich. Ohne Qualitäts-, Profil- und Niveauverluste beim Programm sind solche Umverteilungen nicht zu haben.
Ende der Radiokultur
Im Fall des Radiokulturprogramms wird das deutlich. Die Literatursendung „52 beste Bücher“, die wöchentlich ausgestrahlt wird, soll aus dem Programm gekippt werden. Das Format umfasst ein einstündiges Gespräch zwischen einer Journalistin oder einem Journalisten mit einer Autorin oder einem Autor, wobei der Interviewer das zur Debatte stehende Buch wirklich und ganz gelesen hat. Das unterscheidet das Format von eingeblendeten Zwei-bis-drei-Minuten-Instant-Spots aus vorproduzierten Interviews über Literatur im aktualitätsfixierten Normalbetrieb.
Die Sendung war bei den Machern und den Autorinnen und Autoren gleichermaßen beliebt, denn in einer vollen Stunde kann man auf ein Buch anders eingehen als in kurzen Gesprächsmitschnitten von Interviews, für die Interviewer das Buch oft nur angelesen haben, was häufiger vorkommt, als man denkt.
Gegen die Einstellung der Sendung „52 beste Bücher“ protestieren jetzt zwei Dutzend Schriftsteller aus der Schweiz, der BRD und Österreich – darunter Gertrud Leutenegger, Jonas Lüscher, Martin Suter, Adolf Muschg, Alain Claude Sulzer, Eva Menasse, Sibylle Berg, Nora Gomringer, Ingo Schulze und andere.
In ihrem Brief an die Direktorin schreiben sie: „Das Ende von ‚52 beste Bücher‘ trifft zum einen Ihre äußerst professionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen wir seit vielen Jahren zusammengearbeitet haben, es trifft aber auch uns Autoren und Autorinnen, denen damit eine wichtige Plattform wegbricht.
Keine Werbe-Statements
In dieser Sendung ging es immer um mehr als „kurze Werbe-Statements“, nämlich um das Gespräch zwischen Autoren und Autorinnen auf der einen und Literaturkundigen auf der anderen Seite. Ein solches Gesprächs- und Informationsformat ist im deutschsprachigen Raum einmalig, und die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefes verstehen das durchaus als ein „Privileg, um das uns viele ausländische Kolleginnen und Kollegen beneidet haben. […] Wir können und wollen auch nicht glauben, dass die zahllosen Zuhörer und Zuhörerinnen, die uns immer wieder auf die Sendung angesprochen haben, darauf verzichten wollen“.
Sie bitten deshalb die Direktorin „eindringlich, Ihre Entscheidung zu überdenken oder allenfalls adäquate Sendplätz zu schaffen, auf denen Literatur den Platz bekommt, den sie braucht“.
Kenner der Entscheidungsabläufe bei SRF halten es für möglich, aber eher unwahrscheinlich, dass das als „Reform“ kostümierte Sparprogramm gestoppt wird. Die Planer und Exekutoren der qualitativen Verflachung in der kulturellen Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Medien sitzen in der Schweiz wie auch hierzulande nicht bei der privaten Konkurrenz, sondern in den Chefetagen der eigenen Institution.
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