500. Ausgabe des DDR-Comics „Mosaik“: Ostkobolde im Westen integriert
Seit 62 Jahren existiert das in der DDR gegründete Comic „Mosaik“. Auch in der 500. Ausgabe wird noch auf spielerische Weise Wissen vermittelt.
Gerade läuft „Valerian“ im Kino, der teuerste europäische Film aller Zeiten (200 Millionen Dollar). Mit der Verfilmung des Comics „Valerian & Laureline“ hat sich der 58-jährige französische Regisseur Luc Besson einen Kindheitstraum erfüllt. Die Comic-Helden hatten ihn damals fasziniert, weil er sich mit ihnen identifizieren konnte. Keine Superkräfte, sondern Helden, die gegen das Böse kämpfen, zum Identifizieren. Schön, wenn man als Erwachsener den richtigen Job und die Kohle hat, den prägenden Abenteuergeschichten aus der Kindheit ein gigantisches Denkmal in einem anderen Medium zu setzen.
Millionen Ostdeutsche, die in etwa so alt sind wie Besson, würden die Kinos stürmen, hätte irgendein ein ostsozialisierter Geldkrösus die Verfilmung der Geschichten aus dem Mosaik finanziert, jenes DDR-Monats-Comic, in dem drei gnubbelnasige Figuren ab 1955 auf Abenteuerreise durch Raum und Zeit gingen. Sie hießen Dig, Dag und Digedag, ausgedacht vom freiberuflichen Zeichner Johannes Hegenbarth alias Hannes Hegen. Die Mosaik-Hefte galten als größter Schatz auf dem DDR-Printmarkt (bis zu einer Million Auflage), den man als Abonnent nicht wieder hergab.
Die liebevollen, witzigen Zeichnungen waren ein einziger Bilderrausch voller Details in den legendären Wimmelbildern, jedoch ohne versteckten Zeigefinger, der sonst auch in den Kinderpublikationen üblich war. Wenn die Kobolde in DDR-fernen Welten unterwegs waren, standen sie stets dem niederen Volk zur Seite. Im alten Orient spielten sie den Herrschenden Streiche, im Amerika der Bürgerkriegszeit halfen sie entlaufenen Sklaven. Es sind diese Geschichten, die das humanistische Weltbild vieler Ossis prägten (aber klar, einige Mosaik-Leser dürften heute auch Pegida-Fahnen schwenken).
Die Digedags endeten abrupt und auf typische DDR-Weise. Kein Leser wusste, was los war, als sie 1976 plötzlich durch die Abrafaxe ersetzt wurden. Redaktionsleiter Hegen hatte den Verlag aus Unzufriedenheit verlassen. Die neuen Figuren Abrax, Brabax und Califax und ihre Abenteuer erinnerten jedoch sehr an die Vorgänger. Kein Wunder: Sie wurden vom selben Zeichner- und Autorenkollektiv im Junge Welt-Verlag entworfen.
Durch Weltepochen reisen und dabei Wissen vermitteln
So setzte sich die Erfolgsstory fort. Sogar nach der Wende, nachdem Klaus D. Schleiter, Chef einer Westberliner Werbeagentur, die Rechte von der Treuhand erworben hatte. Der neue Verleger verzichtete auf eine Westanpassung des Konzepts (plus Spielzeuge als Kaufanreiz), ließ die Abrafaxe weiterhin durch verschiedene Weltepochen reisen und die Leserschaft durch Wissensvermittlung nebenher ein wenig klüger werden. In einem Wissensteil im Heft werden noch mal speziell technische, natürliche und gesellschaftliche Phänomene erklärt: „singende Gläser“, religiöse Geschäftsmodelle wie der Ablasshandel oder die Entstehung von Spekulationsblasen. Anhand einer „Puppenkrise“ im Mittelalter wurde kurz nach der Finanzkrise 2008 das Spekulationswesen so gut erläutert, dass die Deutsche Bank die komplette Restauflage aufkaufte, um sie an Kunden zu verschenken.
Mit dieser eher ungewöhnlichen Comic-Strategie wurde das Mosaik der längsten Fortsetzungscomic der Welt und mit rund 75.000 verkauften Exemplaren zugleich der auflagenstärkste Comic deutscher Produktion. Seit neun Jahren gibt es vierteljährlich auch ein Mädchen-Mosaik, in dem quasi Abrafaxe-Schwestern Abenteuer zum Beispiel von deutschen Amerika-Auswanderern aus der Frauenperspektive erzählen.
Was fürs Leben lernen, dafür stand Mosaik schon immer
Zu den Hauptpersonen im nunmehr 500. Abrafaxe-Heft gehören Martin Luther und Maler Lucas Cranach, was das Alleinstellungsmerkmal gut illustriert, wie der künstlerische Leiter Jörg Reuter, ein 57-jähriger Graubartträger mit der Späthippie-Aura, findet: „Weil das Alter unserer Leser von zwölf bis Open End geht, legen wir die Geschichten in mehreren Ebenen an. In die für die Kinder bringen wir auch Begriffe ein, bei denen sie auch mal ihre Eltern fragen oder im Internet nachgucken müssen. Bisschen was fürs Leben lernen ist doch nicht schlecht. Dafür stand das Mosaik schon immer, und es hebt uns von anderen ab.“ Im Übrigen auch, dass Leute wie Joschka Fischer, Sigmund Freud oder Bob Dylan gelegentlich in die Geschichten geschmuggelt werden.
Interessant ist auch die Analog-digital-Verbindung über eine kostenlose App, mit der man via Smartphone Zusatzinformationen bekommen kann, was aber nur funktioniert, solange man auf das Heft guckt. Das Herzstück des Mosaik-Erlebens bleibt jedoch wie seit 62 Jahren die Papierwelt. Die sieben Zeichner und eine Zeichnerin in der Verlagsvilla in Berlin-Westend arbeiten nicht an elektronischen Tablets, sondern nach wie vor mit Pinsel und Tinte.
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