piwik no script img

5 Rhythmen und kein Pisco SourWenn Gudrun mit ihrem Arm spricht

Statt in einer Bar landet die Autorin in einem Eso-Schuppen und soll sich „freitanzen“. Dort lernt sie auch, dass „wir alle sterben müssen“.

„Jaaaaaa, oh, jaaaaaaaa.“ Die Frau neben mir stimmt einen orgiastischen Gesang an Foto: imago

M it schwingenden Bewegungen tänzelt sie heran, barfuß, in weiten, bunten Hosen, die Haare mit einem Tuch steil nach oben gebunden. Sie reicht mir die Hand und haucht mit erotisierender Stimme: „Hallo. Ich bin die Gudrun. Und wer bist du?“

Eine Freundin in München nahm mich kürzlich mit zu den „5 Rhythmen“, eine Art Tanzperformance, bei der jede und jeder mitmachen kann. Eigentlich wollten wir in die angesagteste Bar der Stadt gehen. Aber dann entschied meine Freundin kurzerhand, dass Tanzen so gut sei wie ein Pisco Sour. Ach was, sogar besser als das peruanische Nationalgetränk aus Traubenbrand, Limettensaft, ein wenig Zuckersirup und einem Spritzer Angostura. Obendrauf kommt ein Klecks Eiweißschaum, der der Säure ein wenig von ihrer Intensität nimmt.

Okay, dachte ich, warum nicht? Einfach mal abhotten, sich auspowern – was gibt es Besseres nach einem langen Tag im Homeoffice? Ich stellte mir diese 5 Rhythmen so ähnlich vor wie Tanzen in einem Klub. Nur eben nicht in einem dunklen, verschwitzten Keller mit Soul, Rock, Hiphop, sondern – wie sie mich vorwarnte – in einem alternativem Kulturzentrum. Also beruhigend ausgeleuchtet, ohne DJ – und ohne Pisco.

Aber dann war da Gudrun. Und da waren all die anderen Tanzenden. Frauen und Männer, die meisten etwas älter, in wallenden Hosen und Röcken, weiten Batik-Oberteilen, selbstgestrickten Socken. Mehr Frauen als Männer, eine Grauhaarige mit Zöpfen, ein Mann, der auf Frauen starrt. Die 5 Rhythmen, erklärt Gudrun zu Beginn, stehen für die fünf Lebensphasen eines jeden Menschen: Geburt, Kindheit, Jugend, Erwachsenendasein, Tod. Je nach „Energie, Kraft und Lebensphase“ sei die Musik aufgebaut: Die Geburt beginnt ruhig, die Kindheit ist schon aufregender, in der Jugend rebelliert sie, danach wird es ganz wild, bevor die letzte Ruhe einkehrt.

Gudrun singt ihre Erklärungen ins Mikro, dreht, hüpft, wiegt sich in den Hüften, ruft: „Lasst es raus, lasst alles raus. Befreit euch von schlechter Energie, schöpft frische.“ Sie tanzt mit dem Mikro, liebkost es. „Seht ihr meinen Arm?“ Sie reißt ihren linken Arm nach oben, lässt ihn hastig kreisen, schüttelt ihn. „Er will mir etwas sagen. Ich weiß zwar nicht, was, aber er sagt mir etwas.“

Manche Frauen und Männer drehen sich um die eigene Achse, andere rennen durch den Raum, die nächsten hüpfen auf der Stelle. Gudrun stöhnt ins Mikro: „Jaaaaaa, oh, jaaaaaaaa.“ Die Frau neben mir stimmt einen orgiastischen Gesang an. Ein Mann mit Filzkappe auf dem Kopf greift nach einer Frau, die gerade an ihm vorbeiwackelt, drückt sie an sich, fasst ihr an den Hintern, streicht darüber. Die Frau lacht, laut, noch lauter, hört gar nicht mehr auf. Ein anderes Paar wälzt sich auf dem Boden übereinander. Der starrende Mann schiebt sich eng an den Frauen vorbei.

Eine Frau raunt mir ins Ohr: „Es ist so schade, dass du nicht mit uns tanzt.“ „Ist schon okay.“ „Befrei dich!“ „Wovon?“ „Wir müssen alle sterben. Aber heute sind wir noch einmal zusammengekommen, um miteinander zu tanzen.“

Das Ganze kostet 15 Euro.

Draußen im Vorraum steht eine Wasserkaraffe mit Steinen auf dem Grund. Früher schwammen mal Zitronenscheiben in Karaffen mit Leitungswasser, bestenfalls Rosmarinzweige, Minzblätter, Blaubeeren. Aber seit einigen Jahren hält sich hartnäckig der Trend zum Stein in Wasserkaraffen, selbst in Cafés jenseits von Eso-Kiezen. Der „gemeine Wasserstein“ – Rosenquarz, Amethyst, Bergkristall – soll das Wasser energetisch aufladen. Vorher muss der Stein natürlich aufgeladen werden, am besten bei Vollmond. Wenn man von dem Wasser trinkt, fließt die Energie der Steine in den Körper. Sagen die Esoteriker:innen.

Ganze besondere Energie im Apfelsaft

Und sie sagen, dass auch Saft gut für die Spiritualität sei. Falls Sie demnächst Orangen-, Apfel- oder Pfirsichsaft trinken, nehmen Sie ganz besondere Energie auf. Welche? Keine Ahnung, Sie werden es sicher merken. Und natürlich soll Alkohol kontraproduktiv für den Energiehaushalt sein.

Falls Sie doch mal aus Versehen ein Glas Wein trinken sollten, können Sie Ihren vernachlässigten Energiehaushalt leicht wieder auffüllen. Mit Milch indischer Kühe. Die soll „spirituell ungeheuer vorteilhaft“ sein. Sagen die Spiritualist:innen.

Nun sind Kühe in Indien bekanntermaßen heilig. In dem südasiatischem Land dürfen sie alles. Einmal ruhte sich eine Kuh auf der Autobahn, die von Delhi nach Agra führte, aus, ich saß in dem Bus, der an der Kuh nicht vorbeikam. Hinter uns bildete sich ein Stau. Und die Inder:innen? Blieben sämtlich gelassen, die im Bus genauso wie die in den Autos. Wer schon mal in Indien war, weiß, dass dort unablässig gehupt wird. Nur eben nicht, wenn eine Kuh auf der Autobahn schläft.

Irgendwann holte ein Inder eine Flasche aus seinem Beutel. Es war Feni, ein indischer Schnaps, der aus Cashewäpfeln gebrannt wird. Eine Spezialität aus Goa. Feni schmeckt fruchtig-süß, manche verdünnen ihn mit Limonade, andere würzen ihn zusätzlich mit Salz oder Chili. Ein Schluck genügt und in den Körper dringt Wärme. Wärme ist – physikalisch gesehen – Energie. Und die Kuh stand auch irgendwann auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Fragen über Fragen. Vorrangig jedoch: was passiert im Obstwein?

    Eliminieren sich dort die positiven Schwingungen der Frucht und die negativen des Alkohols in einer Art quantenphysikalischer Paarvernichtung, oder wie bei einem Noise-Cancelling-Kopfhörer?

    Oder wird das Eine vom Anderen potenziert, wie die Jünger der Hahnemannsekte von ihren wucherpreisigen Laktosepastillen behaupten?

    Oder passiert gar nichts, so wie jener homöopathische Globulus trotz verschärftem und wiederholtem Klopfen auf ein Rosshaarkissen müsterijoserweise selbst die Tollwut heilen können soll, niemals jedoch zu forciertem Schneidezahn- und Nasenwachstum sowie fulminantem Hirsutismus entlang der Nackenmittellinie führt?

    "Der Narr stellt Fragen, die der Weise nicht beantworten kann" - Philosoraptor, übernehmen Sie!

  • Warum wird sich hier über andere Menschen lustig gemacht die gerne tanzen, "du" sagen, Energien in Kristallen spüren und sich frei fühlen wollen? Die Autorin weiß nicht wovon sie sich befreien soll? Vielleicht ist das einfach nicht ihr Ding. Muss sie ja auch nicht, sie kann ja exotisch gemischten Alkohol trinken.

  • Irgendwann hat die Autorin wohl den Faden verloren(?). Die Verrenkungen welche in diesem Kulturzentrum physisch wie metaphysisch ausgetanzt wurden provozieren schließlich unmittelbar den Reflex des Fremdschämens, oder falls wir den regressiven Schammodus rausholen dann erweckt die Szene Mitleid ...

    Hier vermute ich setzt Frau Schmollacks Abschweifung ein...



    es wird sonst wirklich zu traurig für alle Beteiligten. Was sich in jedem Fall aufdrängt. Die Körper- und Psychoarbeit der Eso-Szene versteckt unter dem Deckmäntelchen der befreienden Selbsterfahrung Grenzverletzungen gegen die Autonomie der Teilnehmenden. Sie dürfen sich selbst entgrenzen, während andere starren und grapschen während die Anleiterin durch platte küchenpsychologische Unterweisung glänzt.

    Da ist vergleichsweise jeder promillehaltige Drink für nicht Vorbelastete eine geistige und körperliche Labsal.



    Hm, sie können natürlich auch beides haben, ab zum Ballhaus Schwof und in ihrem Glas warten höchstens glitzernde Weinstein Kristalle auf sie.

    • @LuckyLulu :

      Ich denke auch, im Grunde geht es hier um Scham. Das Fremdschämen ist aus meiner Sicht ein Selbstschämen über den Umweg des Anderen. Scham ist ein basales, starkes Gefühl mit Erstarrungstendenz und Isolierung. Auf den eigenen Körper angesprochen zu werden kann das Gefühl der Beschämung hervorrufen. Vielleicht wäre das eine Richtung bei sich selbst zu forschen. Mit dem Wunsch etwas Freier zu werden.

  • „Befrei dich!“ „Wovon?“ !



    Ick warte lieber in der Bar.



    flickr.com/photos/...WpJn-AhWtyM-PHrzXb