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40 Jahre taz: Technik und FortschrittAus Tradition vorn – taz digital

Falls die taz 2022 das Papier einspart, muss sich die Redaktion ganz neu erfinden. Ein Gründungs-Fieber wie in Bremen im Jahre 1986 ist gefragt!

Technische Avantgarde: Die Bremer Redakteur*innen nutzten „Texis“ statt Schreibmaschinen Foto: Archiv

Bremen taz | Eindeutig sensationell, die Technik der Bremer taz damals, 1986, bei der Gründung: dicke 17-Zoll-Röhrenbildschirme (flache waren noch lange nicht erfunden), die man drehen konnte.

So was gab es in keiner Zeitung, (noch) nicht mal in der Zentrale der taz berlin. Mit einem kräftigen und zugleich feinfühligen Griff beider Hände ließ sich der ganze Monitor von Quer auf Hoch bringen, getippte Texte verwandelten sich ins Ganzseiten-Layout.

Wir RedakteurInnen (auch das Binnen-I hatte die taz gerade erfunden) schrieben nicht auf Schreibmaschinen, sondern stolz digital – auf kleinen Texterfassungsgeräten mit 8-Zeilen-Display; wir konnten weder Setzer noch Layouter bezahlen. Internet, Mail, Smartphones waren noch nicht erfunden. Die Bremer Redaktion war damit die technische Avantgarde der taz – im Dienste des bedruckten Zeitungspapiers.

32 Jahre später hat jetzt Kalle Ruch als Geschäftsführer der Mutter-taz gewohnt gelassen angekündigt, dass in vier Jahren die Print-taz eingestellt werden soll, um die Kosten für Druck, Speditionen und Trägerdienste zu sparen. Nur an den Wochenenden werden sich wohl weiterhin viele eine teurere gedruckte Zeitung leisten, sagen Beobachter des Digitalisierungs-Prozesses, und dafür wird seit Jahren die „taz am Wochenende“ als Marke entwickelt.

Zur Autorin

Susanne Paas war taz-Redakteurin von 1986 bis 1993

Tablet-Lektüre kann Spaß machen

In meiner Generation Ü60 wird das Anfass-Erlebnis und das Rascheln des Zeitungspapiers allgemein für ziemlich unverzichtbar gehalten. Aber daneben wächst die Erkenntnis unaufhaltsam: Tablet-Zeitungslektüre kann richtig Spaß machen, und ganz ohne Phantomschmerz. In der Ü20-Generation meiner Tochter kommen Zeitungen nur auf Notebooks bzw. Smartphones vor – mit Links über soziale Medien verbreitet und geteilt, auf bestimmte Themen bezogen.

Zeit für Nostalgie-Debatten bleibt ohnehin kaum; für die Bremer taz wird der rechtzeitige Umgang mit den Perspektiven entscheidend sein. Derzeit ist eine digitale Begegnung mit ihr eher kompliziert und wenig inspirierend. taz-bremen ist im Internet als Unter-Unterseite der Mutter-taz erreichbar, mit allerlei Klicks und Scrolls, und Analysen sagen, dass solche Unterseiten sehr selten geklickt werden.

Die Online-taz ist immer noch 1:1 vom Papier her gedacht und erscheint wie die abfotografierte Zeitung, taz-bremen hinten dran. Eine digitale „Zeitung“ ist aber kein Papier-Ersatz ohne Rascheln. Erfolg kann nur eine richtige Neugründung haben, ein ganz anderes Produkt, das die Lesegewohnheiten, Chancen und Verbreitungsformen im Netz bedient.

Mit einem Klick auffindbar

Internet-Informationen leben von aktuellen Schlagzeilen und Bildern/Videos, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und für die anspruchsvollen taz-LeserInnen wäre dahinter richtig viel Platz für Hintergründe, Recherche-Ergebnisse, Dokumente, Videos, Bilder, Gegentexte und Links zu weiteren Artikeln zum Thema. Und vor allem muss diese neue „taz bremen 2.0“ mit einem einzigen Klick auffindbar sein und braucht Bremer Beiboote bei Facebook / Twitter / Instagram und allem, was kommt.

Wenn die neue 1-Klick-Adresse für die taz bremen lange vor dem „Tag X“ in jeder Bremer Print-Ausgabe zu finden ist, dann können die Papier-LeserInnen sich schon mal reinklicken und zu dem, was sie lesen, Hintergründe und Bilder finden, Zugewinn entdecken statt über Verlust zu trauern. Damit die Bremer taz im digitalen Zeitalter nicht verlorengeht. Zu Recht ist die taz stolz darauf, dass sie sehr viel mehr LeserInnen als AbonnentInnen hat – gut für die digitale Neugründung mit langem Atem. Bremen braucht neben dem Weser Kurier eine zweite Informationsplattform.

„Wir arbeiten in der taz heute fast so, als sei das Internet nicht erfunden worden“, bekannte die taz Anfang des Jahres, „mit Abgabetermin am Nachmittag für einen aktuellen Text bis hin zur Layout-Abteilung, die mit Webdesign nichts zu tun hat.“

Das E-Paper als Abbild der gedruckten Zeitung ist aber ein Produkt von gestern, und die digitale Zeitung muss Themen und Geschichten ins Zentrum rücken und alle Veröffentlichungsplätze nach ihrer eigenen Logik bedienen. Denn online will zum Frühstück niemand die Nachrichten vom Vortag lesen, und die neue taz muss den ganzen Tag aktuell sein für die kurzen großen Neuigkeiten und die langen Hintergrund-Texte. Das kann ja spannend werden – wie die Gründung 1986!

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1 Kommentar

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  • Das kann man alles nur dreimal unterstreichen, auch wenn es nicht so aussieht, als ob diese Thesen in Berlin-Kreuzberg schon breit diskutiert würden. Die taz mutet technisch wie die SPD der Medienwelt an muss dringend internetfähig werden.