34.-35. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Der Militärchef packt aus
Paul Rwarakabije sagt gegen seinen Präsidenten aus und belastet ihn stark. Er ist einer der ehemaligen FDLR-Milizionäre, die aus Ruanda nach Stuttgart geflogen werden.
STUTTGART taz | Paul Rwarakabije ist ein kleiner, zierlicher Mann, der viel lächelt. Wenn am Oberlandesgericht Stuttgart die Richter, Bundesanwälte und Verteidiger im Kriegsverbrecherprozess gegen zwei ruandische Milizenführer ihn befragen, reagiert der Mann im beigen Anzug höflich, antwortet schnell, ruhig und freundlich. Seine Körpersprache und Mimik wirken sehr kontrolliert.
Kein Wunder: Rwarakabije ist Soldat. Bis 2003 war er Militärchef der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Verteidigung Ruandas), deren Präsident und Vizepräsident, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, seit Mai in Stuttgart vor Gericht stehen. Rwarakabije ist aus Ruanda als Zeuge eingeflogen worden, um gegen seinen ehemaligen Präsidenten auszusagen. Mit seinem Auftritt tritt das Verfahren vor dem Oberlandesgericht, das in den letzten Monaten eher dahingeplätschert war, in eine neue, brisantere Phase ein, in der einstige Mitkämpfer der Angeklagten aussagen sollen.
Rwarakabije ist der wohl prominenteste der mittlerweile nach seinen Angaben 10.000 FDLR-Angehörigen, die die Ränge ihrer teils von Tätern des ruandischen Völkermordes kommandierten Miliz verlassen haben und aus dem kongolesischen Busch nach Ruanda zurückgekehrt sind. Er leitet heute Ruandas Gefängnisbehörde.
"Das letzte Wort hatte er"
Obwohl Murwanashyaka in Deutschland lebte, das stellt Rwarakabije in seiner Aussage klar, war er als FDLR-Präsident auch für militärische Angelegenheiten zuständig - etwas, das die Verteidigung des Angeklagten immer wieder zu bestreiten versucht. Planungen der FDLR, aus dem Kongo heraus Ruanda anzugreifen, seien von Murwanashyaka entwickelt worden; er habe "Leitlinien" entwickelt, und nach militärischen Aktionen "haben wir ihm Berichte gegeben", erinnert sich Rwarakabije. "Murwanashyaka gab Feedack, damit wir wussten, was wir machen sollten", schildert er die Rolle des Präsidenten. "Das letzte Wort hatte er." Den Blickkontakt zu Murwanashyaka, nur wenige Meter entfernt auf der Anklagebank, vermeidet er.
Rwarakabijes Aussage stützt den Vorwurf der deutschen Anklage, wonach Murwanashyaka und Musoni Verantwortung für eine Reihe von Racheangriffen der FDLR gegen kongolesische Zivilisten im Jahr 2009 tragen. Der größte davon ist ein Angriff auf das Dorf Busurungi, bei dem laut Anklage in der Nacht zum 10. Mai 2009 FDLR-Milizionäre mindestens 96 Zivilisten "erschossen, erstachen, erschlugen oder zerhackten". Danach, so der Anklagesatz weiter, erstattete ein Kommandeur "dem Angeschuldigten Bericht".
Vom Massaker in Busurungi erfuhr Rwarakabije in Ruanda, wohin er bereits 2003 geflohen war und wo er danach repatriierte FDLR-Deserteure betreute. Rückkehrer, die die Reihen der FDLR verlassen hatten und in ihr Heimatland zurückgekehrt waren, hätten ihm berichtet, dass der Befehl von Verantwortlichen gekommen sei. "Murwanashyaka und andere Verantwortliche können erzählen, wie es war, damit diese Sachen ans Licht kommen und die Täter bestraft werden", sagt Rwarakabije. "Ich kann nicht weggehen, ohne das hier zu erzählen. Wenn diese Organisation so arbeitet, sollte es sie nicht mehr geben."
Die FDLR entstand 2000 als Sammelbecken für ruandische Hutu-Soldaten, die nach dem von ihnen verübten Völkkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo geflohen waren und danach in den Kongokriegen kämpften. Rwarakabije berichtet detailliert über die Umstände der Gründung der Organisation. Eine Vorgängerorganisation ALIR (Ruandische Befreungsarmee) war nach einem Massaker an europäischen Touristen im ugandischen Bwindi 1999 ins Zwielicht geraten; die FDLR sei also in Abgrenzung davon entstanden. Beide Gruppen hätten im Januar 2002 fusioniert; betrieben habe dies Alois Ntiwirigabo, der zuvor aus Kongos Hauptstadt Kinshasa heraus die ruandischen Hutu-Kämpfer im Westen Kongos kommandiert hatte - also diejenigen, die zusammen mit Kongos Regierungsarmee sowie Simbabwe an der Front gegen ostkongolesische Rebellen und die mit diesen verbündete Armee Ruandas kämpften.
Nach dem Friedensschluss im Kongo 2002-03 wurden die westkongolesischen Kämpfer mit jenen im ostkongolesischen Busch zusammengelegt und im Ostkongo zusammengeführt. Das war der Punkt, an dem es Spaltungen gab: ein Führer setzte sich nach Sudan ab, und im November 2003 verließ Rwarakabije die Organisation, als sie Pläne entwickelte, in einer Großoffensive aus dem Kongo heraus in Ruanda einzumarschieren.
Gegen Angriff auf Ruanda
Rwarakabije lehnte den Angriff auf Ruanda ab. Er befahl sogar den Stopp des Einmarsches, sagt er aus. Die FDLR habe ihn als Verräter bezeichnet; da habe er mit etwa 100 Soldaten die Grenze überquert, in Absprache mit Ruandas Regierung. Murwanashyaka habe von diesen Auseinandersetzungen um den abgeblasenen Einmarsch in Ruanda nichts erfahren können, sagt er. Warum? "Das ist mein Geheimnis." Der Richter bohrt nach: Ich möchte es trotzdem wissen; deswegen sind Sie ja hier. "Es gibt Sachen, die Sie nie erfahren werden", beharrt Rwarakabije.
Aber er schildert auf Nachfrage die Einzelheiten seines Übertritts am 14. November 2003. Er lief im ostkongolesischen Bukavu zu Fuß bis an die Grenze, fuhr dann ins ruandische Cyangugu, nach sieben Stunden sei ein Hubschrauber des ruandischen Generalstabs gekommen und habe ihn nach Kigali gebracht, wo er mit Ruandas Regierung und der Führung der UN-Mission im Kongo (Monuc) sprach.
Ruandas Militärs hätten allerdings mehr gewusst über die FDLR-Strukturen als er selbst, sagt er. Das Signal Ruandas, dass die FDLR ins Land zurückkommen soll, habe ihm gezeigt, dass Ruanda die Armee nicht mehr bekämpfen würde. Ihm sei wichtig gewesen, dass Rückkehrern nichts passiert.
Aus Rwarakabijes Sicht war die FDLR vor 2003, als er noch das Sagen hatte, viel disziplinierter als heute. Verbrechen an der kongolesischen Zivilbevölkerung habe es damals nicht gegeben. Viel Zeit wird in der Befragung für die Klärung der genauen Organisationsstrukturen und Kommandoabläufe verwendet. Rwarakbije hat Schaubilder mitgebracht, die die FDLR-Struktur zeigen. Es habe zwei Arten der Weitergabe von militärischen Befehlen gegeben, sagt er: normalerweise mündlich, bei Treffen oder per Telefon oder Funk; bei großen Operationen auch schriftliche Befehle. Berichte von unten nach oben über Kampfhandlungen seien jeden Tag erstellt worden und an den Präsidenten gegangen, also Murwanashyaka.
Vor 2003, so der einstige Militärchef, habe sich die FDLR durch "Zusammenarbeit mit der kongolesischen Regierung" finanziert, also "Unterstützung für Waffen und Munition". Dies sei später weggefallen. Die Soldaten selbst lebten von Kleinhandel und Landwirtschaft. Man habe sich meist mit der Zivilbevölkerung arrangiert - "es gab ein gutes Zusammenleben mit der Zivilbevölkerung, denn sie sollte den Soldaten zu essen geben" - aber man habe auch geplündert, wenn die Bevölkerung nichts freiwillig abgab. Rwarakabije berichtet auch über die internen Disziplinarverfahren der FDLR, ohne allerdings ins Detail zu gehen.
Nach 2003 und insbesondere um 2009 sei die FDLR offenbar disziplinloser geworden, sagt Rwarakabije auf der Grundlage seiner Gespräche mit Rückkehrern - er hat nach seiner Rückkehr nach Ruanda immer wieder mit ehemaligen FDLR-Kombattanten gesprochen, meist in Gruppen, wenn sie sich in der Demobilisierung im ruandischen Lager Mutobo befanden. Rwarakabije spricht von "Disziplinlosigkeit auch unter den Führern auf der Ebene der Bataillonsführung" und sagt: "Was von diesen Führern angeordnet war, waren schlechte Dinge, sie sollten bestraft werden."
"Ich bin kein Kind"
Die Verteidigung will wissen, von wem Rwarakabije über das Massaker von Busurungi unterrichtet wurde. Rwarakabije schlägt vor, dem Senat eine Liste zu erstellen, damit die Informanten als Zeugen geladen werden können. Die Verteidigung will auch herausfinden, ob Rwarakabije, der sich als "Soldat der Regierung von Ruanda" bezeichnet, in irgendeiner Weise beeinflusst wurde, unter Druck steht oder auch bei seiner Aussage in Deutschland kontrolliert werde.
"In Kigali hat mir niemand gesagt, was ich machen soll", sagt Rwarakabije dazu. "Was ich hier sage, kann ich überall sagen. Es gibt keine zwei Wahrheiten." Und einmal entnervt: "Ich bin kein Kind. Was ich erzähle, ist meine persönliche Geschichte. Niemand hat mir gesagt, was ich sagen soll."
Die Verteidigung würde Rwarakabije gerne viel mehr fragen. Er ist nur für zwei Tage geladen - am Ende des zweiten Tages hat die Befragung durch die Verteidigung gerade erst begonnen. Je länger es dauert, desto genervter erscheinen die übrigen Prozessbeteiligten. Der Vorsitzende Richter Hettich fragt schließlich am Abend des 26. Oktober den Zeugen, ob er noch könne. "Bitte helfen Sie mir, damit ich zurückfliege", antwortet Rwarakabije und kündigt an, dass er zurückkommen werde.
Die Befragung wird beendet. Viele Fragen sind beantwortet. Andere bleiben noch offen. Aber viele weitere ehemalige FDLR-Kämpfer sollen in den nächsten Wochen aussagen. Es dürften lange Verhandlungstage werden.
Redaktion: Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen