26 Stunden im IC: „Vereiste Leitungen, Feierabend“
Der CDU-Politiker Thorsten Schatz wollte heim nach Berlin, dann fror sein Zug fest – über 26 Stunden lang. Ein Interview auf der Strecke.
taz: Hallo Herr Schatz, alles in Ordnung?
Thorsten Schatz: Ja, muss ja.
Sie wollten von Ostfriesland zurück in Ihre Heimat Berlin fahren. Jetzt sitzen Sie schon die ganze Nacht in einem eingefrorenen Zug fest. Wieso steigen Sie nicht aus?
Was sollte das bringen? Zum einen standen wir die meiste Zeit ja ohnehin auf offener Strecke, und außerdem gibt es hier ja weit und breit nichts. Nein, nein, ich will mal nicht meckern: Immerhin ist es warm hier im Zug.
Wo stehen Sie denn gerade?
Jetzt gerade rollen wir wieder.
Ach, das ist ja schön.
Mal gucken, wie lange noch.
Und wo sind Sie?
Gerade bin ich in Hude.
Sie haben eine ganze Nacht in diesem IC verbracht. Was war denn da los?
Ich war über Silvester auf Norderney und bin am Sonntagnachmittag in Norddeich in den Zug gestiegen, Richtung Berlin, fünfeinhalb Stunden, eigentlich. Wir kamen aber nicht sehr weit. Auf einem Feld zwischen Norddeich und Emden war Schluss. Vereiste Oberleitungen, Feierabend. Nach vier Stunden kam die Feuerwehr. Nach fünfeinhalb Stunden hatten sie uns dann abgeschleppt in den Marinehafe. Da gab es ein paar Getränke. Nach acht Stunden saßen wir wieder im Zug.
Wieso das denn?
Wir mussten ja irgendwo schlafen, da saßen immerhin 600 Leute in dem Zug.
Und wo haben Sie dann geschlafen?
Wir haben die Nacht dann zu fünft in einem Bahnabteil verbracht, haben uns zu zweit eine Pritsche geteilt, und dann haben wir es uns in den kuscheligen Decken vom Roten Kreuz gemütlich gemacht. Ich bin ja kirchentagserfahren. Da ist man es gewöhnt, zu improvisieren und zusammenzurücken, wenn es nötig ist.
Oweia. Und kannten Sie die Person, die neben Ihnen lag, schon vorher oder haben Sie sich kennengelernt?
Ich kannte die Person sehr gut, immerhin.
Und wie ging es dann am nächsten Morgen weiter?
Am Montagmorgen um 7 Uhr sollte eine Lok aus Bremen kommen und den Weg eisfrei machen. Die Lok traf um 8.30 Uhr ein, wurde angekoppelt, und nach 20-minütiger Diskussion fuhr die Lok dann ohne uns ab. Der Grund: Die Lok hatte keinen Auftrag, uns abzuschleppen.
Aha.
Ja. Das scheint ein Kommunikationsproblem zwischen zwei Tochtergesellschaften der Bahn gewesen zu sein. Dann fuhr der Zug irgendwann aus eigener Kraft weiter. Dann blieb er nach hundert Metern aber wieder stehen. Problem: Da lag vor uns noch eine Regionalbahn auf den Gleisen. Dann fuhren wir wieder rückwärts gen Norddeich.
Aber jetzt fahren Sie ja wieder.
Ja, genau. Gleich bin ich bei Hannover, also hoffentlich.
Glückwunsch. Und was haben Sie gelernt?
Ich weiß jetzt, dass es in bestimmten Situationen hilfreich sein kann, sich beim Sitzen und Stehen abzuwechseln, damit die Gesamtstimmung einer Gruppe nicht übermäßig getrübt wird.
Anmerkung der Redaktion: Um 17 Uhr am Montag erreichte Herr Schatz tatsächlich den Bahnhof Berlin-Spandau - nach 26 Stunden Fahrt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird