: 26 Jahre Knast für Landlosenführer in Brasilien
■ José Rainha wurde wegen Doppelmordes an einem Großgrundbesitzer und einem Militärpolizisten verurteilt – mit windigen Beweisen, und trotz eines Alibis
Rio de Janeiro (taz) – Brasiliens Justiz hat den populärsten und charismatischsten Führer der Landlosenbewegung MST, den 36jährigen José Rainha Junior, wegen Beteiligung an einem Doppelmord zu 26 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Zu dem insgesamt 17stündigen Prozeß waren aus dem ganzen Land MST-Mitglieder nach Pedro Canario im Teilstaat Espirito Santos marschiert – die Verkündung des Urteils war von heftigen Protesten begleitet.
Laut Anklage hat Rainha 1989 während einer Landbesetzung nahe Pedro Canario einen Großgrundbesitzer und einen Militärpolizisten erschossen. Rainha erklärte stets, für den betreffenden Zeitraum ein Alibi zu haben – er sei über eintausend Kilometer entfernt im östlichen Teilstaat Ceara gewesen. Dafür gibt es über zehn Zeugen, fünf davon waren zwecks Anhörung ins Prozeßgebäude gekommen, wurden jedoch nicht vernommen.
Auf die Zeugen der Anklage, darunter jenen Mann, der Rainha am Tatort gesehen haben will, wurde ebenfalls verzichtet. Indessen las die Staatsanwältin seine Aussage vor: Danach wird Rainha als Mann mit rundem Gesicht, relativ dick und mit kastanienfarbenem Haar beschrieben – der MST- Führer hingegen ist seit jeher mager, hat ein längliches Gesicht und schwarze Haare.
Die Anklage focht nicht an, daß selbst Politiker, die dem MST und Rainha nicht gerade nahestehen, sein Alibi bestätigten. Von insgesamt elf Angeklagten wurde nur Rainha verurteilt, zehn weitere sollen flüchtig sein, einer starb inzwischen.
Das Urteil der Jury fiel angesichts der Beweislage keineswegs einstimmig: Im Fall des Mordes an dem Großgrundbesitzer hielten vier Rainha für schuldig, drei dagegen nicht; im Fall des Militärpolizisten stand es fünf zu zwei.
Rainhas Verteidiger, darunter der sehr bekannte Anwalt Luiz Eduardo Greenhalgh, der zur links-sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT zählt, sprachen von einem politischen Schauprozeß – der erfahrene MST-Führer sei unrechtmäßig entgegen der Beweislage verurteilt worden.
Rainha selbst erklärte, nicht er, sondern die MST sei verurteilt worden. „Gerechtigkeit und Demokratie gibt es in Brasilien nur für ein halbes Dutzend Leute.“ Laut brasilianischem Recht hat Rainha Anspruch auf ein zweites Verfahren, das im September stattfinden soll – bis dahin bleibt er auf freiem Fuß.
Der beim Prozeß anwesende PT-Chef Luiz Ignacio „Lula“ da Silva sprach von der „größten juristischen Absurdität in der Geschichte Brasiliens“, auch der stärkste Gewerkschaftsdachverband CUT sandte sofort eine Solidaritätsadresse an Rainha.
Der Staatschef und Großgrundbesitzer Fernando Henrique Cardos, wollte das Urteil nicht kommentieren. MST-Aktionen der jüngsten Zeit hatte er indessen stets heftig verurteilt.
Rainha gilt als der MST-Führer, der in ganz Brasilien die größte Zahl an Besetzungen nichtgenutzter Latifundien leitete. Deshalb wurde er bereits mehrfach eingesperrt, kam indessen auch auf Druck internationaler Proteste stets wieder frei. Patricia Sholl
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