piwik no script img

20 Jahre nach dem Mord an Jitzhak RabinUnpolitisches Gedenken

Luftballons statt Transparente, Schimon Peres darf nicht reden. Die Veranstalter wollten ein Fest der Einheit und sie bekamen es auch.

Zehntausende sind dort zusammengekommen, wo Jitzhak Rabin ermordet wurde. Foto: dpa

Tel Aviv taz | Explizit unpolitisch sollte die Kundgebung auf dem Jitzhak-Rabin-Platz sein, so verlangten es die Veranstalter. Rund 100.000 Israelis versammelten sich am Samstagsabend in Tel Aviv, um des vor 20 Jahren ermordeten Regierungschefs zu gedenken.

Rabin starb durch die Hand des jüdischen Extremisten Igal Amir. Dieser Mord sollte „dem ganzen Volk“ eine Mahnung sein, erklärte Barak Sela, einer der Organisatoren der Kundgebung, am Sonntag auf telefonische Anfrage. „Nicht die Pistole darf über Meinungsdifferenzen entscheiden, sondern Demokratie und freie Wahlen.“ Eine breite Koalition israelischer Jugendbewegungen übernahm die Organisation in Zusammenarbeit mit dem Jitzhak-Rabin-Zentrum in Tel Aviv.

Parteipolitische Plakate von Rabins Arbeitspartei oder der linken Meretz blieben indes rar. Anstelle von Transparenten hielten die Leute weiße Luftballons in die Luft. Rabins Tod ist Konsensthema in Israel, solange die Motive seines Mörders außen vor bleiben. Linke und Rechte, arabische Staatsbürger, fromme Juden und sogar Siedler fühlten sich angesprochen, nach Tel Aviv zu kommen, um überwiegend unpolitische Reden und Lieder zu hören.

„Für Igal Amir, Rabins Mörder, hat es sich gelohnt“, resümierte Sahava Galon, Parteivorsitzende der Meretz, nach der Kundgebung zynisch. Gerade die Politiker, die Verantwortung hätten übernehmen sollen, „schaffen es, aus der Gedenkveranstaltung für Rabin eine Veranstaltung der Einheit zu machen, auf der nicht über Politik diskutiert wird“.

US-Präsidenten als Mahner

Nur der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der auf Einladung von Dalia Rabin, der Tochter des ermordeten Premierministers, gekommen war, sprach über den Frieden mit den Palästinensern, für den Rabin sterben musste. Per Video-Schaltung meldete sich gegen Ende der Veranstaltung auch noch der amtierende US-Präsident Barack Obama zu Wort. „Eine Kugel kann einem Menschen das Leben nehmen, aber nicht seine Seele“, erklärte Obama und mahnte beide Seiten, die notwendigen Kompromisse und Risiken einzugehen, um „die einzige reale Lösung – zwei Staaten für zwei Völker“ zu ermöglichen.

Rabin und sein Parteifreund, der frühere Außenminister Schimon Peres, waren die ersten israelischen Politiker, die gemeinsam mit den Palästinensern versuchten, eine Lösung voranzutreiben. Peres wäre gern ans Rednerpult getreten. Die Veranstalter entschieden sich indes für seinen Nachfolger, den heutigen Staatspräsidenten Reuven Rivlin, einen erklärten Gegner der Zweistaatenlösung.

Desillusioniert zeigte sich Jonathan Ben-Artzi, ein Enkel Rabins und der einzige Familienangehörige, der ans Mikrofon trat, über die Tatsache, dass „20 Jahre danach kein Frieden in Sicht ist“. Ben-Artzi warnte, dass in absehbarer Zeit zwischen Mittelmeer und Jordan eine „arabische Mehrheit“ leben werde, was einen jüdischen und gleichzeitig demokratischen Staat ausschließen werde, wenn „die eine und einzige Lösung“ nicht zur Umsetzung komme. Der Enkel Rabins rief deshalb die israelische Regierung zur „sofortigen und bedingungslosen Anerkennung des Staates Palästina“ auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Worte, hat Georg Löwitsch grade in der taz behauptet, wären Taten in der Politik. Vermutlich hat er recht damit. Wie ließe es sich sonst erklären, dass das Wort "unpolitisch" dermaßen polarisierend wirken kann?

     

    Die israelische Gesellschaft ist heute tiefer gespalten, als jede Grenze sie spalten könnte. Es geht dabei um eine echte Glaubensfrage: Hilft die Gewalt, oder kann sie nur schaden? Sahava Galon hat sich geirrt. Der Mord hat sich für niemanden gelohnt. Auch nicht für Rabins Mörder. Die Spaltung hat noch niemandem zum (endgültigen) Sieg verholfen. Es wird noch immer diskutiert und auch gestritten. Wenn schon nicht auf dieser Veranstaltung, dann doch im Nachhinein. Und nicht nur das. Es wird sogar gekämpft um die vermeintlich "einzig wahre Lösung" - und leider immer noch dafür getötet und gestorben.

     

    Egal, was die Zielstellung der Veranstalter gewesen sein mag: Wer 100.000 Menschen zu friedlichem Gedenken versammelt, kann damit gar nicht unpolitisch handeln. Erst recht nicht in Tel Aviv. Wer so was unterstellt, versteht nichts von uns Menschen.

     

    Der Mensch “tickt“ nämlich so: Wenn ich einer von 100.000 bin, die sich auf einem Platz versammelt haben, um eines Toten zu gedenken, und niemand mir erklären darf, dass mein Weg nicht begehbar ist, dann bilde ich mir sehr leicht ein, dass alle 100.000 um mich her das wollen, was ich selber will. Das Prinzip Hoffnung ist universell. Ob ich auf Liebe hoffe oder auf den Hass, ist dem Prinzip egal. Die 100.000 um mich rum machen mich stark und also etwas mutiger. Sie sagen mir (ganz ohne wirklich was zu sagen), dass ich ne echte Chance hab, weil ich ja nicht alleine bin. Und wenn ich an die Chance glaube, dann engagiere ich mich auch. Jeweils auf meine ganz ureigne Art.

     

    Ob Rabin das gefallen hätte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es alles andre ist als völlig "unpolitisch".

    • @mowgli:

      Hallo Mowgli,

      dem kann ich nur zustimmen. Tatsächlich ist eine Forderung für eine Zwei Staaten Lösung und für ein friedliches Miteinander höchst politisch. Gerade in einer Zeit der Anspannung und Hetze. Die Jugendorganisation Hanoar Haoved Vehalomed hat eine Ausstellung auf arabisch hebräisch und englisch mit den politischen Werten von Rabin gezeigt. Es waren sehr viele, sehr junge Menschen anwesend. Jüdisch und arabisch zugleich. Sie zeigten die Plakate und Zeichen ihrer - durchaus politischen Organisation. Die bereits erwähnte Hanoar Haoved Vehalomed, Hashomer Hatzair, Mahanot Haolim aber auch Peace Now,...

      Nur weil Parteifahnen nicht erwünscht sind, bedeutet dies nicht, dass es nicht politisch ist. Letztlich ist zu erwähnen, das der Sprecher der Hanoar Haoved Vehalomed, Toni Nasser, die arabische Sektion der Organisation vertritt und eine bewegende und politische Rede gehalten hat. Als einer der 100.000 hat die Veranstaltung sehr politisch gewirkt und Hoffnung gemacht.