20 Jahre Frontex: Abschottung wird erwachsen
Die EU-Grenzschutzpolizei Frontex wurde vor zwei Jahrzehnten gegründet. Klar ist: Festung Europa und Menschenrechte – das geht nicht zusammen.
![Menschen im Schlauchboot mit Parole "Push back Frontex" Menschen im Schlauchboot mit Parole "Push back Frontex"](https://taz.de/picture/7318522/14/36858436-1.jpeg)
Z wanzig Jahre alt wird heute Frontex, die EU-Grenzschutzagentur, und was soll man sagen, nach den Jugendjahren, in denen schließlich fast jeder über die Stränge schlägt, schaut sie nun einer wahrhaft glänzenden Zukunft als europäische Grenzschutzpolizei entgegen.
Ein „einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau“ – das wollten die EU-Regierungschefs, als sie an diesem Samstag vor genau 20 Jahren den Aufbau von Frontex beschlossen. Aber Grenzschutz galt da noch als nationale Angelegenheit. Schmale sechs Millionen Euro gab es für Frontex, um die damals 25 Staaten beim sichern von fast 14.000 Kilometern EU-Außengrenze zu „unterstützen“, wie es im Mandat hieß.
Aber die Zeiten, als Druckerpapier selbst mitgebracht werden musste und Büros ungeheizt blieben, sind vorbei. 924 Millionen Euro bekommt Frontex, mittlerweile ein klares Lieblingskind unter den EU-Behörden, in diesem Jahr. Grenzschutz ist heute Top-EU-Priorität, das Budget wird künftig noch dicker. „Smarte Grenzen“, KI, schlaue Drohnen, Daten von Spionagesatelliten und Flugzeuge – die Agentur kann sich heute leisten, was gut und teuer ist.
Erwachsenwerden ist nicht leicht, bei Frontex war das nicht anders. Denn es war nicht nur das Geld, das in jungen Jahren knapp war. Widersprüchliche Anforderungen und Eltern, die zu viel wollen – das tut Heranwachsenden nicht gut. Frontex sollte die Grenzen dicht halten und gleichzeitig die Menschenrechte achten. Wie das gehen soll, weiß keiner. Identitäts- und Rollenkonflikte waren absehbar, Überforderung und Liebesentzug ebenso. Frontex geriet früh auf die schiefe Bahn, war in ständige Prügeleien verwickelt, nicht nur in Griechenland.
Vermeintlich verweichlicht
Und trotzdem, auch das ist ja eine Erfahrung, die viele in der Jugend machen müssen, wird man schnell mal gebullied, wie man heute so sagt, oder vielleicht besser: ausgegrenzt. Frontex erging es etwa in Polen und Kroatien so. Die Regierungen wollten sie beim Grenzschutz nicht mitspielen lassen. Sie fürchteten, die vom EU-Recht vermeintlich verweichlichte Agentur würde nur stören bei ungehemmten Massenpushbacks, und lehnte Frontex’ Hilfe ab. So weit muss es auch erst mal kommen.
Jugendliche kriegen es schon mal mit Polizei und Jugendamt zu tun, das war bei Frontex ganz ähnlich. Das Parlament setzte mit einem Fundamental Rights Officer schon früh eine Art Erziehungsbeihilfe ein, doch die rief eher Trotzreaktionen hervor. Es wurde schlimmer, die EU-Antibetrugsbehörde Olaf und der Spiegel knöpften sich Frontex vor. Betrug, Lügen, Pushbacks, Gewalt: Am Ende musste Direktor Fabrice Leggeri gehen.
Leggeris Nachfolgerin, die Finnin Aija Kalnaja war gerade acht Wochen im Amt, da wurde sie das erste Mal verklagt: Am 8. Oktober 2022 ging beim EU-Gerichtshof in Luxemburg die Klage des Kongolesen Jeancy K. ein. Der wollte in Griechenland Asyl beantragen, stattdessen wurde er „gewaltsam entführt, auf ein ‚Todesfloß‘ gebracht, kollektiv ausgewiesen und in Seenot ausgesetzt“, schreibt die NGO Front-LEX, die die Klage formulierte. K. sei Opfer „mehrerer solcher Mordversuche“ geworden. Einmal habe er zusehen müssen, wie sein Freund ertrank.
Dies sei nur einer von mindestens 43.000 solcher Pushbacks allein in der Ägäis, die seit Januar 2020 „von der griechischen Küstenwache und Frontex gemeinsam durchgeführt“ worden seien. Front-LEX ist eine NGO, die auf Menschenrechtsklagen gegen Frontex spezialisiert ist. So was hat auch nicht jeder.
Ein schönes Listenplätzchen
Auch bei der Empathieentwicklung zeigten sich früh Defizite. Und was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, sagt man. Da wundert es nicht, dass Human Rights Watch zwei Tage vor Frontex’ 20. klagt, diese würde, wenn sie Migrantenboote im Mittelmeer in Seenot entdeckt, normalerweise nur staatliche Stellen informieren, aber keine Notrufe an alle Schiffe in der Nähe ausgeben. Das habe zu „tragischen Schiffbrüchen“ beigetragen sowie dazu, „dass Menschen zwangsweise in Länder zurückgeschickt werden, in denen sie misshandelt werden.“
In diesem Frühjahr ergatterte der geschasste Ex-Direktor Leggeri dann ein schönes Listenplätzchen für die EU-Wahl beim rechtsextremen Rassemblement National. Wie ein europäischer Hans-Georg Maaßen kann er als Abgeordneter nun fünf Jahre lang gegen alles wettern, was seinen Ex-Untergebenen womöglich im Weg steht.
Was will man mehr? Und dass Menschenrechte und geschlossene Grenzen zusammengehen, das glaubt heute in der EU kaum jemand noch ernsthaft. So kann Frontex heute, im jungen Erwachsenenalter, tun, wofür sie in die Welt gebracht wurde. Als einzige ihrer Behörden, die die EU für würdig erachtet, eine Uniform zu tragen, soll sie auf Dauer die Grenzen dichthalten, patrouillieren in und abschieben aus Transitstaaten, Fluchtrouten überwachen und blockieren, auch weit vor den Toren Europas.
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