20 Jahre „DSDS“: Aufhören, wenn's am schlimmsten ist
Unsere Autorin war lange Fan von „Deutschland sucht den Superstar“. Das funktioniert nicht ohne Dieter Bohlen, mit ihm aber auch nicht. Beendet sie!
Bevor sie auch nur einen Ton gesungen hat, wird Jill Lange schon gedemütigt. Die 22-Jährige ist Kandidatin der 20. Staffel „Deutschland sucht den Superstar“, die aktuell bei RTL ausgestrahlt wird. In der vierten Episode wird Lange auf ihre Teilnahme bei Datingshows angesprochen. Jury-Mitglied Pietro Lombardi fragt: „Du hast mit mehreren Männern was gehabt?“ Als sie das bejaht, muss ihr Freund, der ebenfalls an der Datingshow teilgenommen hat, kommentieren, wie er das denn findet. Doch mit seltsamen männlichen Besitzansprüchen ist es hier noch nicht erledigt, Dieter Bohlen legt nach und fragt: „Hast du irgendwas Normales gemacht? Oder hast du nur Abi und dich durchnudeln lassen?“
Diese Szene reicht um zu verstehen, warum DSDS abgeschafft gehört. Sieht man Szenen aus Shows vergangener Jahrzehnte wie „Wetten, dass..?“, denke ich regelmäßig: krass, dass so etwas damals ausgestrahlt wurde. Denn der Geschmack des Sagbaren hat sich verändert. Doch auf DSDS trifft das nicht zu: Hier werden Sexismen und Rassismen vergangener Zeiten immer wieder aufs Neue reproduziert. Die Show ist nicht mehr zu retten – und das sage ich nicht leichtfertig, sondern schweren Herzens.
Ich war 11 Jahre alt, als die erste Staffel lief, zu jung, um am Wochenende auszugehen und vor allem zu jung, als dass meine gut zwei Jahre ältere Schwester noch mit mir spielen wollte. Doch dank DSDS saßen wir jeden Samstagabend zusammen vor dem Fernseher, um unseren Lieblingskandidat*innen die Daumen zu drücken. Ich genoss die gemeinsamen Abende, doch nicht nur das. Ich wurde zu einem DSDS-Ultra.
Montags in der Schule gab es kein wichtigeres Gesprächsthema als die aktuelle Folge DSDS oder wie wir sagten DeSuDeSu. Ich kaufte mir das gedruckte Magazin zur Sendung, dachte mir mit meiner Cousine Tanzperformances zu Daniel Küblböcks „You Drive Me Crazy“ aus, kaufte das Album der Top 10 und lernte ohne Englischkenntnisse die Lieder auswendig. Und während viele über Bohlen schimpften, fand ich ihn eigentlich ganz lustig.
Zwanzig Jahre ist es nun her, dass das Finale der ersten Staffel lief und Alexander Klaws der erste Superstar wurde. Eine langweilige Entscheidung, den blonden Sunny-Boy zum Sieger zu küren, gaben andere Kandidat*innen deutlich mehr her. Wie Gracia, die mit einem bunten trägerlosen Jesus-Shirt die Jury provozierte (ja, 2003 war das noch eine Provokation) oder Juliette, die im Gegensatz zu vielen anderen wirklich singen konnte. Oder Daniel Küblböck, der Queerness ins deutsche Fernsehen brachte, als viele noch nicht einmal den Begriff kannten.
Das war eben das Schöne an DSDS: Endlich mal aufregende Charaktere im Fernsehen sehen. Die Sendung war zwar nicht die erste deutsche Castingshow, doch sie veränderte die Fernsehlandschaft und schuf Dutzende popkulturelle Momente. Einer davon: Menderes Bağcı, der ohne Gesangstalent 17 Mal an der Show teilnahm. Superstar wurde er nie, dafür Dschungelkönig, mittlerweile ist er häufiger bei Böhmermanns ZDF Magazin Royale zu sehen.
Doch so lustig wie mit Menderes Bağcı war es nicht immer in der Sendung. Die Beurteilungen der Kandidat*innen durch die wechselnde Jury waren seit jeher eine Gratwanderung des guten Geschmacks. Gefühlt wurde diese Grenze vor allem von Dieter Bohlen immer weiter verschoben: Menschen wurden mehr und mehr vorgeführt, sexistische und exotisierende Kommentare normal.
Irgendwann wurde es selbst RTL zu viel, nach der 18. Staffel schmiss der Sender Dieter Bohlen raus und ersetze ihn durch Florian Silbereisen, der die ganze Show „familienfreundlicher“ machen sollte. Das funktionierte nicht, die Quoten stürzten ab, und RTL holte Bohlen für die Jubiläumsshow wieder zurück.
Dem Sender sollte klar sein: DSDS kann zwar nicht ohne Dieter Bohlen funktionieren – aber auch nicht mehr mit. Das einzig Richtige wäre, DSDS abzusetzen und sich einzugestehen, dass man aufhören sollte, wenn es am schlimmsten ist.
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