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1989 starben 96 Liverpooler Fußballfans„Jetzt kennen wir die Wahrheit“

1989 starben 96 Menschen im Hillsborough-Stadion von Sheffield. Daran waren die Liverpool-Fans nicht schuld, wie Polizei und Presse behaupteten.

Angehörige der Opfer vor dem Gerichtssaal begrüßen die Ergebnisse der langjährigen Untersuchung Foto: reuters

Dublin taz | Nach 27 Jahren sind sie endlich rehabilitiert. Die 96 Fußballfans aus Liverpool, die am 15. April 1989 beim Halbfinalspiel um den englischen Pokal zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest im Hillsborough-Stadion von Sheffield zu Tode gequetscht wurden, seien „widerrechtlich getötet“ worden. Zu diesem Ergebnis kamen die Geschworenen im Gericht von Warrington am Dienstag.

Als das Spiel angepfiffen wurde, versuchten noch rund 2.000 Liverpool-Anhänger ins Stadion zu gelangen. Schließlich öffnete die Polizei das Tor und ließ die Fans in den bereits überfüllten Stehplatz-Block. Der Block war an drei Seiten von über zwei Meter hohen Stahlgittern umgeben – aus dem Gedränge gab es kein Entkommen mehr. Viele versuchten, über das Gitter zu klettern, doch die Polizei schlug auf sie ein.

Die Polizei machte danach Hooligans für die Katastrophe verantwortlich. Nur vier Jahre zuvor waren alle englischen Mannschaften von den Europapokalspielen ausgeschlossen worden, nachdem Liverpooler Fans beim Europapokal-Endspiel gegen Juventus Turin in Brüsseler Heysel-Stadion eine Massenschlägerei angezettelt hatten, die 39 Menschen das Leben kostete.

„Wir haben euch gesagt, dass sie lügen“

Auch die Sun gab den Liverpool-Fans die Schuld an der Katastrophe: Sie hätten auf die tapferen Polizisten uriniert, die Ärzte behindert und die Toten beraubt. Zwar entschuldigte sich der damalige Chefredakteur Kelvin MacKenzie später, aber das Blatt wird heute noch in weiten Teilen Liverpools boykottiert. Vor dem Gerichtssaal erinnerten die Verwandten mit Spruchbändern an den unsäglichen Artikel: „Wir haben euch gesagt, dass sie lügen!“

Nun kam die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich der damalige Einsatzleiter David Duckenfield der „groben Fahrlässigkeit“ schuldig gemacht habe. Die Fehler der Polizei hätten die gefährliche Situation im Stadion verschärft. Darüber hinaus hätten Polizei und Rettungsdienste zu lange gewartet, bis sie den Katastrophenalarm auslösten, so dass die Rettungsmaßnahmen verzögert wurden. Die Richter stellten ausdrücklich fest, dass die Fans des FC Liverpool keine Schuld treffe.

Die Angehörigen der Opfer feierten das Urteil mit langem Applaus. Vor dem Gerichtssaal sangen sie die Hymne des FC Liverpool: „You’ll Never Walk Alone“. Der Labour-Abgeordnete Andy Burnham, der seit Jahren eine unabhängige Untersuchung gefordert hatte, sagte: „Jetzt kennen wir endlich die Wahrheit. Als nächstes muss die Verantwortlichkeit kommen. 27 Jahre lang hat sich diese Polizei selbst geschützt, statt die Opfer von Hillsborough zu schützen. Jetzt müssen die Leute zur Verantwortung gezogen werden.“

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2 Kommentare

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  • Wird es zum Gedränge-Unglück bei der Loveparade in Duisburg 2010 jemals eine vergleichbare Untersuchung geben?

    Auch dort hatte die Polizei ganz wesentlichen Einfluß auf die Abläufe genommen:

    - Die Polizei hatte ohne jede Absprache und entgegen der Planungen, fast 15% der gesamten Fläche für eine Art "Polizeiwagenburg'" besetzt und damit den sowiso schon zu knappen Raum auf dem eigentlichen Gelände weiter eingeengt.

    - Die Polizei hatte entgegen der Planungen auf der sowiso schon zu engen Zugangsrampe einen Polizeigrupenwagen gestelllt, und die Rampe durch das Aufstellen von weiteren Gittern um diesen Wagen nochmals weiter eingeengt.

    - Die Polizei hatte auf den Zugangswegen vom Bahnhof zum Loveparadengelände (dem ehemaligen Bahnhof) alle! Seitenwege und Zugänge zu Parkanlagen etc. gesperrt und blockiert (um eine Verschmutzung, Vermüllung zu unterbinden) und damit jedes Ausweichen der TeilnehmerInnen von dem einen markierten Weg komplett augeschlossen und damit wiederum den Zugangdruck auf den Zugang zum Gelände ganz wesentlich erhöht.

    - Die Polizei hatte letztlich den unkontrollierten Zugang von Personen völlig freigegeben.

    - Die Polizei war mit einem Polizeiwagen in den schon komplett überfüllten "Tunnel" /Unterführung gefahren und hatte genau mit diesem Fahrzeug die Personenwelle ausgelöst, die letztlich zu dem Unglück führte.

    - Die Polizei spricht bis heute völlig fälschlich von einer "Massenpanik" die es nie gegeben hat. Handy-Videos beweisen demgegenüber, dass die Menschen sich nach Kräften rational und vernünftig verhielten.

    • @Wagenbär:

      Definieren Sie bitte "rational und vernünftig" im Zusammenhang mit sogenannten Mega-Events.