17.000 weitere Stasi-Spitzel: Die Geheimen im öffentlichen Dienst

Tausende ehemalige DDR-Geheimdienstler sind in ostdeutschen Behörden beschäftigt. Und das bleibt wahrscheinlich ohne Konsequenzen.

Stasi-Unterlagenbehörde, sauber abgeheftet. Bild: ap

Lange war es ruhig um das Thema Stasi. Doch nachdem bekannt wurde, dass 17.000 ehemalige Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes noch in ostdeutschen Verwaltungen beschäftigt sind, rumort es. Gesetze verschärfen, ein einheitliches Handeln der Bundesländer und ein konsequenteres Vorgehen der Gemeinden - das fordern Experten und Opfer gleichermaßen.

"Es sieht so aus, als hätte die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht", sagt Carl-Wolfgang Holzapfel, Vizevorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. "So kann die Aufarbeitung des DDR-Rechts einfach nicht funktionieren."

Schuld an den Versäumnissen sei auch die mangelnde Bereitschaft, sich mit den Verbrechen der Staatssicherheit zu befassen, glaubt Gerhard Ruden, der Stasi-Unterlagen-Beauftragte von Sachsen-Anhalt. "Die Zahlen hätte jeder ungefähr kennen können, der in die Tätigkeitsberichte der Landtagsbeauftragten geschaut hat", sagt der 62-Jährige.

Allein in seinem Land arbeiteten laut einem Bericht der Financial Times Deutschland 4.400 von den rund 68.000 Bediensteten der Landesverwaltung früher für die Staatssicherheit. Laut Angaben des Innenministeriums sind darunter auch etwa 100 ehemalige DDR-Personenschützer oder Antiterrorspezialisten.

Damit beschäftigt Sachsen-Anhalt die meisten ehemaligen Stasi-Leute. In Sachsen sind es 4.101 (von rund 78.000 Mitarbeitern in der Landesverwaltung insgesamt), in Brandenburg über 2.942 (rund 52.600), in Berlin 2.733 (117.400), in Mecklenburg-Vorpommern 2.312 (rund 37.000) und Thüringen 800 (65.400).

Im Dezember 1988 arbeiteten laut einer Statistik der Stasi-Unterlagen-Behörde insgesamt etwa 109.000 Inoffizielle Mitarbeiter für den Geheimdienst und 90.000 Hauptamtliche Mitarbeiter. Von Letzteren gehörten etwa 13 Prozent zu den denen, die selbst in der Spionage tätig waren und IMs führten. "Viele Mitarbeiter waren auch Putzfrauen, Sekretärinnen oder Hausmeister", sagt Ruden, "ohne die Zugehörigkeit zum eigenen Haus beschäftigte das MfS eigentlich niemanden".

Dass heute noch so viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter für die öffentlichen Verwaltungen arbeiten, liegt nach Ansicht von Martin Sabrow unter anderem an einem Wirrwarr von Kriterien: "In den einzelnen Bundesländern wurde nach der Wende sehr unterschiedlich aufgearbeitet", sagt der Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Postdam. Während die Historiker an den Universitäten zu etwa zwei Drittel abgewickelt worden seien, hätten viele Geschichtslehrer im Dienst bleiben können.

Wer gehen musste und wer bleiben durfte, hing auch oft vom Bundesland ab. "Und zu guter Letzt haben sich viele wieder in ihren Job eingeklagt", erklärt Sabrow. "So kommen die heutigen Zahlen zustande."

Die etwa 17.000 ehemaligen DDR-GeheimdienstmitarbeiterInnen heute noch zu überprüfen, dürfte kaum gelingen. Denn 2006 hat der Bundestag das Stasi-Unterlagen-Gesetz so geändert, dass nur noch Mitarbeiter in herausgehobenen Positionen überprüft werden oder Menschen, die ein Abgeordnetenmandat anstreben.

Der Sachsen-Anhalter Ruden hält das für einen Fehler: "Auch einfache Polizisten und Lehrer sind Vertrauenspersonen", sagt er. "Mit dieser Regelung hat der Bundestag es aus der Hand gegeben, ehemalige Stasi-Spitzel aus solchen Positionen zu entfernen." Ein verschärftes Gesetz will er deshalb aber nicht.

Da vertritt der Verband der Opfer des Stalinismus eine deutlich härtere Haltung. "Entweder das bisherige Recht muss strikter angewendet werden", sagt Carl-Wolfgang Holzapfel "oder wir brauchen hier eine Novelle eines zu weichen Gesetzes."

Mit einem solchen Vorhaben dürfte er es allerdings schwer haben - denn selbst die zuständige Abgeordnete bei der CDU-Bundestagsfraktion ist davon wenig begeistert. Maria Michalk hat die Gesetzesänderung von 2006 mit ausgehandelt und sagt: "Unser Ziel war es, Stasi-Mitarbeiter nach dem Auslaufen der regelmäßigen Überprüfungen auch weiterhin aus sensiblen Teilen der Gesellschaft fernzuhalten, und das ist uns weitgehend gelungen."

Zwar muss das Gesetz in der nächsten Legislaturperiode wieder auf den Prüfstand, weil es 2012 ausläuft. Doch Michalk hält es "für wenig realistisch, dass wir die Regelung wieder verschärfen." Selbst in ihrer Partei sei es wohl schwer, für dieses Vorhaben eine Mehrheit zu finden.

Unterdessen verlangen Experten wie Sabrow, sich in der Debatte um die DDR-Aufarbeitung weniger auf die Staatssicherheit zu konzentrieren. "Ich verstehe, dass die anthropologische Kategorie des Verrats den Menschen besonders anzieht", sagt der Zeithistoriker. "Dennoch sollten Forschung und Öffentlichkeit ihren Fokus mehr auf die Rolle der SED als staatstragende Partei lenken."

So sieht es auch Michael Beleites, der sächsische Beauftragte für die Stasi-Unterlagen. "Die DDR war mehr als das Ministerium für Staatssicherheit", sagt Beleites. "Die Funktionsträger haben ganz offiziell für das MfS gearbeitet, nur gab es über sie keine Mitarbeiter-Akte." Aus diesem Grund blieben die alten Kader weitgehend unbehelligt, während sich alle Welt mit den ehemaligen Truppen von Erich Mielke beschäftige.

Sabrow betont, es gebe kein Recht, alle Ex-MfSler unter Generalverdacht zu stellen: "Diese Menschen mussten sich einer Einzelfallprüfung unterziehen", sagt der Historiker, "da muss man sehr genau hinschauen."

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