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Bürgerrechtler Templin über Stasi-Muff"Wir haben 1968 noch vor uns"

Der ehemalige Oppositionelle Wolfgang Templin sagt: 17.000 Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind eine ganze Menge.

"Eine Überprüfung hätte in der Regel die Einstellung verboten. Insofern war diese Überprüfung unzureichend." Bild: ap

taz: Herr Templin, 17.000 Mitarbeiter der Staatssicherheit sollen in Ostdeutschland noch im öffentlichen Dienst arbeiten. Eine überraschende Zahl?

Wolfgang Templin: Die Zahlen haben mich schon überrascht. Ich ging immer davon aus, dass es ein Überdauern im öffentlichen Dienst gab, aber nicht in dieser Dimension.

Heißt das: Stasi raus?

Ich würde es anders formulieren. Man muss überprüfen, um wen es geht und in welcher Funktion er oder sie tätig war. Der Apparat hatte ja viele Ebenen. Es ist ein Unterschied, ob es sich um Leute vom Wachregiment "Feliks Dzierzynski", um Reinigungskräfte oder um Offiziere aus den operativen Einheiten handelt.

Trotz Überprüfung kamen 17.000 Mitarbeiter in den öffentlichen Dienst. Kann man da von einer sinnvollen Überprüfung sprechen?

Wenn bei Einstellungen Unterlagen angefordert wurden, dann muss daraus hervorgegangen sein, dass derjenige beim MfS gearbeitet hat. Da hätte eine Überprüfung in der Regel die Einstellung verboten. Insofern war diese Überprüfung unzureichend.

Es gab im Jahr 1989 allein rund 91.000 Hauptamtliche Mitarbeiter. Klingt da die jetzige Empörung nicht zumindest historisch naiv?

Das sehe ich nicht so. Ich kenne die Argumente noch aus den Neunzigerjahren. Damals wurde von den Hauptamtlichen Mitarbeitern gesagt, die würden es gar nicht erst versuchen, in den öffentlichen Dienst zu kommen. Sehr schnell hat sich die Aufmerksamkeit auf die IMs gerichtet. Leute, die mit der Materie vertraut waren, wussten von der größeren Verantwortung der Hauptamtlichen Mitarbeiter. Bekannte IMs schafften es nicht in den öffentlichen Dienst, in dem Hauptamtliche heute verantwortliche Positionen einnehmen. Das ist ein Skandal.

Zeigen die heftigen Reaktionen auf die aktuellen Fälle, dass das Kapitel Aufarbeitung nicht geschlossen ist?

Ich war immer Anhänger der These: Das Thema ist nicht erledigt. Die Öffentlichkeit ist sensibel. Dass die Aufarbeitung lange dauern würde, dass es Zwischenphasen gibt und Rückschläge, wusste ich. Aber ein Jahr wie dieses, in dem sich die Aufmerksamkeit konzentriert, ist da gar nicht schlecht.

Ist eine Auseinandersetzung der Nachgeborenen mit den Tätern wie 1968 möglich?

Wiederholungen wird es nicht geben. Ich glaube, wir haben dieses 68er-Moment der inneren Auseinandersetzung der Generationen noch vor uns. Das ist bisher nur in Einzelfällen eingetreten.

INTERVIEW: KAI SCHLIETER

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14 Kommentare

 / 
  • A
    anke

    1968 ging es um nicht weniger als um die Schuld an:

     

    60 Millionen Kriegsopfern (davon allein 17 Mio zivilen Toten in der Sowjetunion)

    dem Völkermord an mehr als 6 Millionen Juden

    der vollständigen oder teilweisen Zerstörung weiter Teile Europas und Asiens einschließlich der Großstädte Dresden und Köln

    der Teilung der Welt in Ost und West und

    der Entwicklung und am Einsatz der ersten Atombombe

     

    Das alles fand statt vor der Kulisse eines totalen Zusammenbruchs und einer anschließend geräuschvoll wiedererwachten Spießbürgerlichkeit.

     

    Man braucht kein Zyniker zu sein um anzunehmen, dass sich 1968 nicht wiederholen wird aus Anlass der Enttarnung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Die DDR nämlich hat weder einen Weltkrieg angefangen noch hat sie ganze Völker massakriert. Bevor sie von ihren eigenen Bürgern abgeschafft wurde, hat die DDR 164 Todesurteile vollstreckt, darunter auch welche gegen mehrfache Kindermörder. Nach 1990 hat es rund 30.000 Ermittlungsverfahren gegen Stasi-Mitarbeiter gegeben, wovon einige sogar zu Verurteilungen geführt haben. Die Jugend anno 2009 hat kaum unter spießigen Eltern zu leiden. Eher unter solchen, die dank Hartz IV kein hohes Taschengeld zahlen können, obwohl sie das gern tun würden. Schon weil es immer weniger junge Leute gibt. Nein, es wird kein '68.2 geben. Wer darauf hofft, der hat wohl weder '68 noch '89 verstanden – und 2009 schon gar nicht.

  • S
    SMT

    Damit es ein zweites "68" gibt muss es erstmal ein ehemaliges SED mitglied geben das Bundeskanzler wird. Oder reicht dafür jemand der von dem DDR universitätsystem provitiert hat? Und auserdem, wie soll ein zweites, "ostdeutsches" "68" aussehen? Arbeitslose plattenbaubewohner die von der trinkbude aus zum rathaus marschieren und sich straßenschlachten mit ehemaligen Stasi mitarbeitern, jetzt polizisten liefern? Sich zehn jahre später hauptsächlich mit der verhinderung von braunkohle aufbereitungsanlagen beschäftigen und nochmal zwei jahre später eine zeitung mit viel titten und wenig hirn erfinden und sie "Blöd" nennen?

    Finds aber super das wie wieder jemanden haben auf den wir einkloppen können, die ganzen Nazis sterben ja langsam aus. Wie stehts eigendlich um die aufarbeitung der Gestapo akten? Ach so, der ihre opfer konnten ja meistens nicht mehr akteneinsicht nehmen.

  • W
    Wack

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Ich halte den zugrunde gelegten Vergleich DDR/NS-Staat für obszön. Wo ist das Auschwitz der DDR? Wo der Weltkrieg?

  • EA
    ebenfalls ausgewanderter Facharbeiter

    Kann dem Vorschreiber nur zustimmen. Eine Revolte bzw. einen Aufstand kann es gar nicht geben, da ein Großteil der Gutausgebildeten und ein Großteil der Jugend die Heimat verlassen hat und in den "goldenen Westen" rübergemacht hat...Und das die gehobenen Stellen, mit sicheren Einkünften in der Bürokratie von Cliquen mit teilweise fragwürdigem Hintergrund besetzt ist und auf Jahre besetzt bleiben wird ist auch nicht neu. Es ist sogar Teil des Porblems, Inovationen bleiben aus, festgefahrene Arbeitsweisen halten sich etc. etc., aber solange es keinen Aufstand ala 68 gibt...wen interessierts - makaber, makaber

  • M
    M.Eskandani

    Es ist mit der Nach-DDR-Zeit fast so wie mit der Nach-DrittesReich-Zeit in Westdeutschland: die Verantwortlichen haben sich dafür entschieden, im Sinne einer "Volksversöhnung" und Integration wenig am Thema Stasi zu rütteln, vor allem, was ehemalige Mitarbeiter anging.

    Dabei hat Südafrika vorgemacht, dass ein anderer, aktiver Weg sinnvoll ist, weil er nämlich den Opfern die Gelegenheit gibt, sich mit den Tätern auseinanderzusetzten, UND andersherum! Dies, auch wenn er durchaus nicht konfliktfrei und widerspruchsfrei verläuft. Es handelt sich um die südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Vielleicht ist es dafür noch nicht zu spät.

    Siehe auch:

    http://www.bpb.de/publikationen/KV8XBA,0,Trauma_und_Vers%F6hnung_Lehren_aus_S%FCdafrika.html

  • AF
    Ausgewanderter Facharbeiter

    1968 wird es im Osten mangels Junger Fachkräfte nicht geben.

    alleine Sachsen Anhalt wird in den nächsten 20 Jahren

    die Hälfte der Einwohner (Junge Fachkräte) wegen mangel

    an Arbeitsplätzen verlieren.

    Die einzigen Zuwanderer sind unterversorgte Ausländer die

    dann mangels Arbeitsplätzen auch nicht weiterkommen und ebenfalls

    am ende Auswandern werden.

    eine 68ger geht von Humanistischen Idealisten aus.

    Wohl kaum von Rentern...

  • M
    manfred (57)

    Weshalb hat die taz Herrn Templin nicht gefragt, was er dagegen zu tun gedenkt, daß sich ein solches Spitzelsystem wie das der Staatssicherheit heute wieder etabliert, ja, eigentlich längst etabliert hat? Das wäre doch mal interessant. Das wäre die praktische Anwendung von Erfahrungen aus der Geschichte. Nur merkwürdig, daß man zu diesem Thema weder von Herrn Templin noch von Birthler & Co. etwas hört. Vielleicht hängt ja die Definition von Bürgerrechten eben doch davon ab, auf welcher Seite der Abhöranlagen man gerade sitzt. Oder wie meine Oma sagte: Wes Brot ich eß', des Lied ich sing.

  • A
    anke

    1968 ging es um nicht weniger als um die Schuld an:

     

    60 Millionen Kriegsopfern (davon allein 17 Mio zivilen Toten in der Sowjetunion)

    dem Völkermord an mehr als 6 Millionen Juden

    der vollständigen oder teilweisen Zerstörung weiter Teile Europas und Asiens einschließlich der Großstädte Dresden und Köln

    der Teilung der Welt in Ost und West und

    der Entwicklung und am Einsatz der ersten Atombombe

     

    Das alles fand statt vor der Kulisse eines totalen Zusammenbruchs und einer anschließend geräuschvoll wiedererwachten Spießbürgerlichkeit.

     

    Man braucht kein Zyniker zu sein um anzunehmen, dass sich 1968 nicht wiederholen wird aus Anlass der Enttarnung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Die DDR nämlich hat weder einen Weltkrieg angefangen noch hat sie ganze Völker massakriert. Bevor sie von ihren eigenen Bürgern abgeschafft wurde, hat die DDR 164 Todesurteile vollstreckt, darunter auch welche gegen mehrfache Kindermörder. Nach 1990 hat es rund 30.000 Ermittlungsverfahren gegen Stasi-Mitarbeiter gegeben, wovon einige sogar zu Verurteilungen geführt haben. Die Jugend anno 2009 hat kaum unter spießigen Eltern zu leiden. Eher unter solchen, die dank Hartz IV kein hohes Taschengeld zahlen können, obwohl sie das gern tun würden. Schon weil es immer weniger junge Leute gibt. Nein, es wird kein '68.2 geben. Wer darauf hofft, der hat wohl weder '68 noch '89 verstanden – und 2009 schon gar nicht.

  • S
    SMT

    Damit es ein zweites "68" gibt muss es erstmal ein ehemaliges SED mitglied geben das Bundeskanzler wird. Oder reicht dafür jemand der von dem DDR universitätsystem provitiert hat? Und auserdem, wie soll ein zweites, "ostdeutsches" "68" aussehen? Arbeitslose plattenbaubewohner die von der trinkbude aus zum rathaus marschieren und sich straßenschlachten mit ehemaligen Stasi mitarbeitern, jetzt polizisten liefern? Sich zehn jahre später hauptsächlich mit der verhinderung von braunkohle aufbereitungsanlagen beschäftigen und nochmal zwei jahre später eine zeitung mit viel titten und wenig hirn erfinden und sie "Blöd" nennen?

    Finds aber super das wie wieder jemanden haben auf den wir einkloppen können, die ganzen Nazis sterben ja langsam aus. Wie stehts eigendlich um die aufarbeitung der Gestapo akten? Ach so, der ihre opfer konnten ja meistens nicht mehr akteneinsicht nehmen.

  • W
    Wack

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Ich halte den zugrunde gelegten Vergleich DDR/NS-Staat für obszön. Wo ist das Auschwitz der DDR? Wo der Weltkrieg?

  • EA
    ebenfalls ausgewanderter Facharbeiter

    Kann dem Vorschreiber nur zustimmen. Eine Revolte bzw. einen Aufstand kann es gar nicht geben, da ein Großteil der Gutausgebildeten und ein Großteil der Jugend die Heimat verlassen hat und in den "goldenen Westen" rübergemacht hat...Und das die gehobenen Stellen, mit sicheren Einkünften in der Bürokratie von Cliquen mit teilweise fragwürdigem Hintergrund besetzt ist und auf Jahre besetzt bleiben wird ist auch nicht neu. Es ist sogar Teil des Porblems, Inovationen bleiben aus, festgefahrene Arbeitsweisen halten sich etc. etc., aber solange es keinen Aufstand ala 68 gibt...wen interessierts - makaber, makaber

  • M
    M.Eskandani

    Es ist mit der Nach-DDR-Zeit fast so wie mit der Nach-DrittesReich-Zeit in Westdeutschland: die Verantwortlichen haben sich dafür entschieden, im Sinne einer "Volksversöhnung" und Integration wenig am Thema Stasi zu rütteln, vor allem, was ehemalige Mitarbeiter anging.

    Dabei hat Südafrika vorgemacht, dass ein anderer, aktiver Weg sinnvoll ist, weil er nämlich den Opfern die Gelegenheit gibt, sich mit den Tätern auseinanderzusetzten, UND andersherum! Dies, auch wenn er durchaus nicht konfliktfrei und widerspruchsfrei verläuft. Es handelt sich um die südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Vielleicht ist es dafür noch nicht zu spät.

    Siehe auch:

    http://www.bpb.de/publikationen/KV8XBA,0,Trauma_und_Vers%F6hnung_Lehren_aus_S%FCdafrika.html

  • AF
    Ausgewanderter Facharbeiter

    1968 wird es im Osten mangels Junger Fachkräfte nicht geben.

    alleine Sachsen Anhalt wird in den nächsten 20 Jahren

    die Hälfte der Einwohner (Junge Fachkräte) wegen mangel

    an Arbeitsplätzen verlieren.

    Die einzigen Zuwanderer sind unterversorgte Ausländer die

    dann mangels Arbeitsplätzen auch nicht weiterkommen und ebenfalls

    am ende Auswandern werden.

    eine 68ger geht von Humanistischen Idealisten aus.

    Wohl kaum von Rentern...

  • M
    manfred (57)

    Weshalb hat die taz Herrn Templin nicht gefragt, was er dagegen zu tun gedenkt, daß sich ein solches Spitzelsystem wie das der Staatssicherheit heute wieder etabliert, ja, eigentlich längst etabliert hat? Das wäre doch mal interessant. Das wäre die praktische Anwendung von Erfahrungen aus der Geschichte. Nur merkwürdig, daß man zu diesem Thema weder von Herrn Templin noch von Birthler & Co. etwas hört. Vielleicht hängt ja die Definition von Bürgerrechten eben doch davon ab, auf welcher Seite der Abhöranlagen man gerade sitzt. Oder wie meine Oma sagte: Wes Brot ich eß', des Lied ich sing.